Davos 1917
Serie | Schweiz 2023 | 273 (6 Folgen) Minuten
Regie: Jan-Eric Mack
Filmdaten
- Originaltitel
- DAVOS 1917
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Contrast Film/Letterbox
- Regie
- Jan-Eric Mack · Anca Miruna Lăzărescu · Christian Theede
- Buch
- Adrian Illien · Thomas Hess · Julia Penner · Michael Sauter
- Kamera
- Timon Schäppi · Tobias Dengler
- Musik
- Adrian Frutiger · Marcel Vaid
- Schnitt
- Simon Gutknecht · Benjamin Fueter · Janina Gerkens
- Darsteller
- Dominique Devenport (Johanna Gabathuler) · Jeanette Hain (Ilse von Hausner) · David Kross (Carl Mangold) · Anna Schinz (Mathilde Gabathuler) · Hanspeter Müller-Drossaart (Peter Gabathuler)
- Länge
- 273 (6 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Serie | Thriller
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Im Jahr 1917 angesiedelte Spionage-Dramaserie: Während in Europa der Erste Weltkrieg tobt, spielen im Schweizer Kurort Davos die Geheimdienste der gegnerischen Mächte ihre Machtspiele, und auch die Tochter eines Hoteliers wird in die Intrigen hineingezogen.
Am Anfang eine Geburtsszene in Rot und Weiß – rot wie Blut, weiß wie die adretten Krankenschwesteruniformen im „Curhaus Cronwald“, Sanatorium und Lazarett in Davos, Graubünden. Die Farben der schweizerischen Eidgenossenschaft werden weiterhin eine Rolle spielen in „Davos 1917“ (Idee/Buch: Thomas Hess & Michael Sauter), einem Spionagedrama aus der Spätphase des Ersten Weltkriegs, sehr frei interpretiert entlang der Lebenslinien von Elsbeth Schragmüller. Mit dem Zauberberg Thomas Manns, so viel sei gleich gesagt, hat die Handlung der Serie entgegen einer Ankündigung des Filmmarketings so gut wie nichts gemein – außer dass jenes stattliche Gemäuer eben die historische Schatzalp oberhalb von Davos ist, die da wie dort als gleichsam handelnder Schauplatz fungiert. Schragmüller war in der Tat eine hochinteressante Persönlichkeit, Abkömmling preußischen Adels und Militärs, vielfach begabt, studiert, promoviert und während des Ersten Weltkriegs die Leiterin der deutschen Spionageabteilung gegen Frankreich bei der Obersten Heeresleitung. Was für ein Leben – und unbedingt ein lohnendes, spannendes Projekt für ein deutsches Biopic!
Davos als „City of Spies“
Allerdings steht Schragmüller nicht selbst im Zentrum der Serie, sondern ihre Biografie fungiert nur als Inspiration für ein Amalgam von Figuren und Motiven. Die Hauptfigur ist fiktiv: Johanna Gabathuler (Dominique Devenport), Schweizerin, jüngere Tochter des in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Besitzers von Cronwald (Hanspeter Müller-Drossaart), selbst Krankenschwester und soeben von einem Einsatz an der Front heimgekehrt – schwanger, wie sich bald herausstellt, von einem deutschen Soldaten! Sie gebiert unter lauten Schmerzen, und um einen Skandal zu vermeiden, wird das Kind, ein Mädchen, ihr entzogen und nahebei zu Bauern in Pflege gegeben. Von nun an taugt „das Kind“ allen Beteiligten der Serie als Triggerwort, um nach Belieben dieses oder jenes Verhalten von Johanna zu erpressen. Noch innerhalb der ersten Folge wird sie, in dieser Reihenfolge, Mutter, Verlobte und Agentin – alle Achtung!
Dass derlei so rasch möglich ist, liegt an der fiktionalen Prämisse der Serie: Davos soll damals nämlich den kriegerischen Kosmos im Kleinen beherbergt haben, Deutsche natürlich, aber auch Agenten aller anderen verfeindeten Nationen, die daraufhin vielfach gegeneinander spionierend und intrigierend den Weltkrieg in die Wohn- und Gesellschaftsräume von Cronwald getragen haben sollen, während die Schweiz krampfhaft bemüht gewesen sei, ihre sprichwörtliche Neutralität zu wahren (um gleichzeitig mit allen Seiten weiterhin Geschäfte machen zu können). Sinnbildlich wird dies in der von Vater und Schwester (Anna Schinz) eingefädelten, ja geradezu erzwungenen lukrativen Verbindung Johannas mit Großrat Thanner (Sven Schelker), der einerseits (unwissentlich) die familiäre Schmach der Gabathulers decken und außerdem mit seinem Geld die Firma vor dem Ruin retten soll.
Wie aus dem Boulevardtheater
Ehe sie es sich so recht versieht, ist Johanna zudem angeworben, für die deutsche Agentin Gräfin von Hausner (pikant: Jeanette Hain) zu spionieren, während sie täglich neben dem jungen, sympathischen Dr. Mangold (überzeugend: David Kross) im OP steht, der mindestens ein Auge auf sie geworfen hat und auch nicht genau der ist, der er zu sein vorgibt. Und schließlich ist da noch die exilierte russische Großfürstin Belova (Sunnyi Melles): Dieser Olga von der Wolga ist trotz ihrer überchargierten Operettenpose alles Mögliche zuzutrauen; dazu scheint sie mit ihrem Schoßhündchen verwachsen zu sein wie Blofeld mit seiner Katze.
Nur nach Schauplatz und Figurenensemble her beurteilt dürfte man ein leidlich spannendes, intellektuell anregendes, vielleicht sogar aufschlussreiches historisches Drama erwarten. Doch sehr uneinheitliche Darstellerleistungen, arg klischeehafte Dialoge sowie unfreiwillig komische Situationen wie aus dem Boulevardtheater vergällen einem schnell den Spaß an der Sache. Dazu kommen einige ärgerliche geschichtliche Anachronismen wie etwa ein behauptetes europäisches postkolonialistisches Problembewusstsein (1917!) – so weit sind manche heute noch nicht! Geschmackvolle, weitgehend geschichtstreue Kostüme machen da nicht viel wett. Ein hektisches Hin und Her, Oben und Unten der sich gegenseitig austricksenden Agenten und Knalleffekte wie Lawinenabgänge und Zugsprengungen gemahnen trotz der geschlossenen Schneedecke vor Ort eher an einen Western als an ein seriöses Kriegsdrama. Das grundsätzliche Problem mit diesen liegt doch darin, dass das informierte Publikum ohnehin weiß, wie die Sache ausgegangen ist – wirkliche, anhaltende Spannung kann also nur, um im Bild zu bleiben, auf Nebenkriegsschauplätzen erzeugt werden.
Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Gegenwart
Johannas potenzielle innere Konflikte als eine der „Frauen des Krieges“ (so der Titel einer Episode) – im Felde ansatzweise emanzipiert und ihre medizinische Begabung als wirksam erfahrend; daheim unsicher, wenig selbstbewusst, gefangen in gesellschaftlichen Rollenbildern, die langsam erst erodieren – muss man weitgehend selbst imaginieren; zu wenig leisten hier Buch und Darstellung. Nicht fehlen darf natürlich im öffentlich-rechtlichen Fernsehspiel der dramatische Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung politisch rechtslastige Gegenwart: „Schuld ist nur die Demokratie“, wird da von finster-reaktionärer Seite räsoniert. Für einen Augenblick meint man fast, den Thomas Mann der „Betrachtungen eines Unpolitischen“ zu vernehmen, doch anders als dort wird ein solcher Satz nicht gehörig gewendet und dem Widerstreit argumentativer Logik ausgesetzt, sondern so bald wie möglich von neuen reizenden Schmankerln überspült, zum Beispiel einer rauschenden Ballnacht, im Verlaufe derer niemand Geringer als Lenin höchstpersönlich erscheint, ermordet werden soll und schließlich alle durch echt revolutionären Machismo in Erstaunen setzt – das Ganze während einer semiprofessionellen Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“: eine etwas befremdliche und überambitionierte Szene, gewagt durch die Nähe, in welche sie die Serie hier zum leicht humanitätsduseligen Singspiel rückt.