Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2020 | 88 Minuten

Regie: Luc Peter

Ein 38-jähriger Bauleiter aus Chicago kam als neunjähriges Kind mit seinen Eltern und Brüdern aus Mexiko in die USA und lebt dort ohne legale Aufenthaltspapiere. Menschen wie er werden „Dreamer“ genannt und sind stets von der Ausweisung bedroht, was sie in nie endender Sorge leben lässt. Der einfühlsame Dokumentarfilm fängt in klaren Schwarz-weiß-Bildern die paradoxe Situation von Migranten ein, die sich längst erfolgreich in einem reichen Land integriert haben, das sie aber ständig dazu zwingt, sich vor Festnahme und Abschiebung zu fürchten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DREAMERS
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Intermezzo Films/Dirk Manthey Film
Regie
Luc Peter · Stéphanie Barbey
Buch
Stéphanie Barbey · Luc Peter
Kamera
Nikolai von Graevenitz
Musik
Louis Jucker
Schnitt
Florent Mangeot · Aurique Delannoy
Länge
88 Minuten
Kinostart
08.02.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Dokumentarfilm über einen 38-jährigen Bauleiter aus Chicago, dessen Familie vor Jahrzehnten illegal aus Mexiko eingewandert ist und deshalb nur über einen prekären Aufenthaltsstatus verfügt.

Diskussion

Es ist ein befremdlicher, fast paradoxer Schwebezustand, in dem sich 2,5 Millionen Menschen in den USA befinden. Als Kinder kamen sie mit ihren Eltern „illegal“ ins Land und besitzen auch als Erwachsene keine Aufenthaltsberechtigung. „Dreamers“ nennt man diese Immigranten, die beim geringsten Vergehen befürchten müssen, außer Landes verwiesen zu werden, und seien sie auch noch so integriert. „Dreamer“ ist ein Akronym für den „Development, Relief and Education for Alien Minors Act“ (DREAM Act), einen gescheiterten Entwurf für ein Einwanderungsgesetz aus dem Jahr 2001.

Carlos ist ein solcher „Dreamer“. Als Neunjähriger ist er 1993 mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern George, Jesus und Julius aus Mexiko nach Chicago geflogen und dortgeblieben. Die Mutter hatte studiert und in Mexiko als Lehrerin gearbeitet. In Chicago musste sie sich wie ihr Mann mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs begnügen. Weil der Vater die Zumutungen und Belastungen nicht verkraftete und gewalttätig wurde, hat sich die Mutter scheiden lassen. Und da sie 14 Stunden am Tag arbeiten musste, waren Carlos und seine Brüder meist sich selbst überlassen.

Freddy ist in den USA geboren

Carlos ist der Protagonist des Dokumentarfilms „Dreamers“ von Stéphanie Barbey und Luc Peter. Er ist inzwischen 38 Jahre alt und führt durch seinen Alltag. Aus dem Off kommentiert er sein Leben zwischen Arbeit und Familientreffen. Seine gebrechliche Großmutter Juanita sitzt im Rollstuhl und besucht gerne den Zoo, wo sie Bäume aus Mexiko sehen kann, die sie so sehr vermisst.

Die Kamera begleitet Carlos auch zur Geburtstagsfeier seines Neffen Freddy, des einzigen Sohns von George. Freddy war noch ein Baby, als George nach Mexiko deportiert wurde. Wegen einer Verkehrswidrigkeit hatte ein Polizist sein Auto angehalten und ihn festgenommen, da er keinen Führerschein besaß. Am Ende landete George wegen anderer Vergehen für zwei Jahre im Gefängnis und wurde danach abgeschoben. Carlos und seine Familie haben ihn seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Zwei Mal hat George versucht, in die USA zurückzukehren. Vergeblich. Wenn er nochmals erwischt würde, müsste er mit 30 Jahren Haft rechnen. Während er in Mexiko unter schweren Depressionen leidet, kümmern sich die Brüder um Freddy.

Die Filmautoren haben schon früh entschieden, den Film in Schwarz-weiß zu drehen. Ästhetisch greifen sie damit die Schattenwelt auf, in der Menschen wie Carlos sich bewegen. Immigranten wie er gehen zur Schule, arbeiten und zahlen ihre Steuern wie alle anderen US-Bürger, aber als Menschen ohne Ausweispapiere haben sie praktisch keine Rechte. Sie können nicht ins Ausland reisen und müssen jederzeit damit rechnen, beim kleinsten Fehler von der Polizei aufgegriffen und ausgewiesen zu werden.

Der Traum vom besseren Leben

„Selbst ein kaputter Scheinwerfer könnte dazu führen, dass ich abgeschoben werde. Man ist ihnen einfach ausgeliefert. Das ist es, was einen kaputtmacht“, sagt Carlos. Er kontrolliert deshalb penibel, ob Scheinwerfer und Blinker ordnungsgemäß funktionieren. In vielen ruhigen Szenen unterstreicht die leise, poetische Musik von Louis Jucker die melancholische Atmosphäre des Films, der sich gelegentlich auch einige narrative Redundanzen leistet.

In Chicago haben es Carlos und seine Familie noch relativ gut getroffen. Denn im Vergleich zu anderen Staaten ist der Kurs gegenüber illegalen Migranten relativ tolerant. „Wir können den Bundesstaat Illinois nicht verlassen, weil in den USA nicht überall so liberal mit Immigranten umgegangen wird wie in Chicago. Es fühlt sich manchmal trotzdem wie in einem Gefängnis an“, sagt Carlos, der in jungen Jahren ein exzellenter Fußballer war und heute sein Geld als Bauleiter verdient.

„Dreamers“ ist die dritte Zusammenarbeit von Barbey und Peter nach „Magic Radio“ (2007) über die Radioszene von Niger und „Broken Land“ (2014), einem Gruppenporträt von US-Amerikanern, die im Schatten des Grenzzauns zu Mexiko leben.

Der Traum von einem besseren Leben und der Glaube an den „American Dream“ bildet die Brücke zwischen „Broken Land“ und „Dreamers“. Die Filmemacher lassen keinen Zweifel daran, dass die meisten Träume von Carlos und vieler seiner Schicksalsgenossen in der harten Realität zerstoben sind. Denn viele „Dreamer“ stecken in einer Sackgasse, da es keine Aussicht auf eine Verbesserung der restriktiven gesetzlichen Regelung gibt.

Ein kleines Happy End

Für manche gibt es allerdings Auswege aus der Not. Carlos’ jüngerer Bruder Julio hat ein College besucht und eine US-Amerikanerin geheiratet, wodurch er einen US-Pass erhalten hat. Freddy ist in Chicago geboren und dadurch automatisch US-Bürger. Auch für Carlos gibt es am Ende eine kleine Hoffnung, denn seine Braut ist schwanger und das gemeinsame Kind wird ebenfalls die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Der Traum vom sicheren Leben in Freiheit scheint für ihn doch noch in Erfüllung zu gehen.

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