Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 94 Minuten

Regie: Manfred Oldenburg

Der internationale Männerfußball ist für homosexuelle Menschen weiterhin eine feindliche Umgebung. Der Dokumentarfilm beleuchtet Homophobie im Profifußball, lässt aktive und ehemalige schwule Spieler zu Wort kommen und zeichnet das tragische Schicksal des ersten offen schwulen Fußballers Justin Fashanu nach. Mittels älterer und aktuellerer Archivmaterialien sowie kleiner für den Film gedrehter Reportagen und Interviews analysiert der Film facettenreich, wie eine konservative Interpretation von Männlichkeit, offene Feindseligkeit, aber auch Profitgier und mangelnde Solidarität von Funktionären dazu führen, dass schwule Fußballprofis unter enormen psychischen Druck geraten und bis heute ihre Sexualität geheim halten. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Broadview
Regie
Manfred Oldenburg
Buch
Manfred Oldenburg
Kamera
Jonas Julian Köck
Musik
Stefan Döring
Schnitt
Dirk Hergenhahn
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Doku über Homophobie im Profifußball der Männer, wo Leistungsdruck, Vorurteile und Feindseligkeit ein Coming-out immer noch schwer machen.

Diskussion

Der englische Turmspringer Tom Daley postet auf Instagram regelmäßig Fotos von seinen Strickkünsten, macht Werbung für Kosmetikprodukte oder veröffentlicht Familienbilder mit seinem Ehemann und seinen Kindern. Dafür erhält der schwule Spitzensportler Hunderttausende von Likes. Auch über lesbische Fußballerinnen regen sich nur relativ wenige Menschen auf. Warum aber wird Homosexualität im Männerfußball auch in scheinbar toleranten Ländern immer noch tabuisiert? Dass das Thema seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner in den Medien ist, zeigt an, dass es auf diesem Gebiet kaum Fortschritte gibt. Warum haben sich von den Tausenden schwuler Fußballprofis auf aller Welt bislang nur sieben öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt? Woher rühren die Ängste schwuler Fußballer, und was haben Trainer, Funktionäre, Fans oder Sponsoren damit zu tun?

Psychischer Druck & zerplatzte Träume

Diesen Fragen widmet sich der Dokumentarfilm „Das letzte Tabu“ von Manfred Oldenburg. Schon mit „Kroos“ hatte Oldenburg sich in die Welt des Fußballs begeben und mit der Beobachtung des deutschen Fußballstars Toni Kroos eine Erfolgsstory nachgezeichnet. „Das letzte Tabu“ erzählt hingegen von psychischem Druck, zerplatzten Träumen und offener Feindseligkeit, die den britischen Fußballer Justin Fashanu sogar in den Tod getrieben haben. Er war der erste Profi, der 1990 ein Coming-out wagte, mitten in der Thatcher-Ära samt ihrer berüchtigten „Clause 28“, welche die sogenannte „Förderung der Homosexualität“ durch lokale Behörden verbot. Fashanus Coming-out erscheint im Rückblick umso mutiger. Denn von seinem homophoben Trainer wurde Fashanu gemobbt, von seinem eigenen Bruder verleugnet und von der Presse verunglimpft.

Im Alter von 37 Jahren beging Fashanu 1998 Selbstmord, nachdem ein ehemaliger Sexpartner ihn erpresst hatte. Jahrelang hatte der Stürmer private und öffentliche Feindseligkeiten ertragen müssen. Dadurch litt auch seine Karriere. Als erster schwarzer Spieler im englischen Profifußball erzielte er eine Ablösesumme von einer Million Pfund, als er 1981 von Norwich City zu Nottingham Forest wechselte. Sein ehemaliger Partner Peter Tatchell, ein LGBTQ-Aktivist, schildert ihn als feinfühligen und klugen Menschen, der sich für viele Themen abseits des Rasens interessierte. Archivbilder zeigen Fashanu als Spieler und Gast von Talkshows – athletisch und redegewandt zugleich. Fanashus Nichte Amal betreibt heute eine Stiftung, die schwule Spieler berät. 

Homophobie ist Alltag

Bildtechnisch alterniert der Film zwischen weiter zurückliegenden und aktuelleren Archivmaterialien, kleineren für den Film gedrehten Reportagen und Interviews mit Ex-Spieler:innen und Expert:innen – darunter auch der Sportreporter Rolf Töpperwien oder die Beraterin Tatjana Eggeling. Sie sind als Talking Heads zu sehen, und ihre Erkenntnisse sind zumeist ernüchternd. Denn in den Fankurven oder auf dem Trainingsplatz gehören homophobe Bemerkungen noch immer zum Alltag; „schwul“ wird dort weiterhin als Schimpfwort verwendet. Weil tiefverwurzelte Vorurteile homosexuellen Männer unterstellen, irgendwie „verweichlicht“ zu sein, wird ihnen ein physisch ruppiges Spiel wie Fußball nicht zugetraut, sagt der schwule englische Fußballtrainer Matt Morton. Er trainiert Amateure der neunten englischen Liga und brauchte anderthalb Jahre, bevor er sich in seinem Club als schwul outete. Inzwischen wird er von seinen Spielern akzeptiert. Doch anderswo, insbesondere im Profisport, führen abfällige Bemerkungen in der Kabine oder von Funktionären dazu, dass schwule Spieler ein ewiges Versteckspiel betreiben.

Ein halbes Jahr nach dem Ende seiner Profikarriere entschloss sich der deutsche Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der wegen seines strammen Schusses „The Hammer“ genannt wurde, 2014 zu seinem Coming-out, mit dem er lange gehadert hatte. Heute kämpft er für Toleranz und Diversität im Fußball.

Bei anderen Talenten war die Karriere durch Homophobie schon zu Ende, ehe sie richtig anfing. Der Ex-Fußballer Marcus Urban (Jahrgang 1971) wurde in der DDR als Talent entdeckt und wollte ein internationaler Fußballstar werden. Schon als 14-Jähriger spielte er in der Jugendauswahl der DDR, später dann bei Rot-Weiß-Erfurt. Doch der ewige Druck, vor Mitspielern und Funktionären seine Homosexualität zu verbergen, wurde irgendwann zu groß. Urban war persönlich und gesundheitlich am Ende und kämpfte mit Suizidgedanken. Nach der Wiedervereinigung hätte er Profi werden können; doch mit Anfang 20 entschied er sich, zu sich selbst zu stehen. Er beendete den Sport, der ihm alles bedeutete, und sprach erst Jahre später in einem Interview über seine Homosexualität.

Das große Geld macht Coming-out nicht leichter

Dass der Druck im Fußball auch für Heterosexuelle generell enorm ist, bezeugt in „Das letzte Tabu“ auch Per Mertesacker, der von Essproblemen und Lampenfieber vor Spielen in vollen Stadien erzählt. Der Schiedsrichter Babak Rafati unternahm 2011 sogar einen Suizidversuch, weil er an Depressionen litt. Für schwule Fußballer ist der Druck noch höher. Auch die immensen Summen, die im Profifußball auf dem Spiel stehen, tragen dazu bei. Homosexuellen Spielern wird wegen Sponsorenverträgen und Transfers von Beratern und Trainern von einem Coming-out abgeraten. Auch die FIFA versagt, wenn es um Menschenrechte und damit auch um die Rechte queerer Personen geht. Dass die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar ausgetragen wurde, wo homosexuelle Handlungen von Muslimen sogar mit der Todesstrafe geahndet werden, wirft ein schales Licht auf die Sportfunktionäre. Dario Minden, schwuler Fanvertreter der Fangemeinschaft „Unsere Kurve“, prangerte auf einer DFB-Veranstaltung offen die Scheinheiligkeit und Profitgier des weltweiten Fußballgeschäfts an.

Dabei scheinen in Zeiten von Regenbogen-Fanclubs und Awareness-Veranstaltungen im europäischen Fußball die Zuschauer zuweilen weiter zu sein, als die Funktionäre es wahrhaben wollen. Als der schwule Fußballprofi Jakub Jankto von Sparta Prag im März 2023 im Spiel gegen den Erzrivalen FC Baník Ostrava auflief, verzichteten die gegnerischen Fans auf homophobe Sprechgesänge. Auch der brasilianische Mega-Star Neymar äußerte sich positiv über das Coming-out von Jankto. Die Fußballwelt könnte sich daran ein Beispiel nehmen.

Kommentar verfassen

Kommentieren