El rapto - Die Entführung

Drama | Argentinien/USA 2023 | 95 Minuten

Regie: Daniela Goggi

Argentinien in den 1980ern: Nach dem Ende der Militärdiktatur haben die Kräfte des alten Regimes auch in der jungen Demokratie noch Macht und Einfluss. Ein während der Diktatur ins Exil geflohener Mann kehrt in seine Heimat zurück, um die Geschicke des Familienunternehmens zu leiten. Dann aber wird sein Bruder entführt; obwohl die Familie den Lösegeldforderungen nachkommt, bleibt er verschwunden, und es beginnt ein zähes Ringen um seine Rettung. Ein langer, schmerzhafter Abstieg beginnt. Ein mit klugem Bedacht atmosphärisch dicht inszeniertes Thriller-Drama ums Nachwirken der argentinischen Militärdiktatur über ihr Ende hinaus, festgemacht an der Leidensgeschichte einer Familie und eindrucksvoll fühlbar gemacht durch einen starken Hauptdarsteller. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL RAPTO
Produktionsland
Argentinien/USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Infinity Hill/Paramount+/Rei Cine
Regie
Daniela Goggi
Buch
Andrea Garrote · Daniela Goggi
Kamera
Fernando Lockett
Musik
Pablo Borghi
Schnitt
Eliane Katz
Darsteller
Rodrigo de la Serna (Julio Levy) · Julieta Zylberberg (Silvia Levy) · Germán Palacios (Miguel Levy) · Jorge Marrale (Elías Levy) · Andrea Garrote (Alicia Levy)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Politthriller | Thriller
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Thriller-Drama um einen Mann, der nach dem Ende der argentinischen Militärdiktatur aus dem Exil in seine Heimat zurückkehrt, dann aber mit der Entführung seines Bruders konfrontiert wird.

Diskussion

Julio (Rodrigo de la Serna) liegt im Gras und blickt schwermütig in den Himmel. Im Hintergrund sind die Stimmen des Familienfests zu hören, das im Garten stattfindet: Bruder, Vater und die Familien. Es geht um Politik. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die Kamera ist direkt über Julio und fixiert ihn, als könnte sie die inneren Vorgänge aufsteigen lassen, die der Körper so gut zu verstecken weiß. Dann kippt sie nach rechts weg, legt sich im Gras ab. Das Gesicht ragt nun von links ins Bild. In ebendiese Bewegung hinein steht Julio auf und schreitet in diesen Umsturz eines Bildes hinein.

Diese großartige, weil sich selbst so bewusste Szene ist eine Vorankündigung. Die heile Welt, die man sich für ein paar Tage erträumen wird, all die Hoffnungen, die mit der Rückkehr nach Argentinien verbunden waren – sie können nicht überdecken, dass man das Gleichgewicht noch nicht gefunden hat. Und so schreitet dieser Mann in seinen eigenen Sturz hinein, für den er am Ende keine Schuld trägt, aber alle Verantwortung auf sich nehmen wird.

Die Schatten des alten Regimes liegen auf der jungen Demokratie

„Die Entführung“ ist ein Film über einen Zerfall während des Aufbaus, über den Nachhall reaktionärer Kräfte, die überall ihre Tunnel gebaut haben und die Gesellschaft unterwandern und schröpfen. Zwischen 1976 und 1983 befand sich Argentinien im festen Griff einer rechten Militärdiktatur. Erst eine Wirtschaftskrise und die empfindliche Niederlage im Falklandkrieg gegen England führte dazu, dass die Demokratie wieder ins Land einziehen konnte.

Demokratische Strukturen aber müssen erst wachsen, und die vielen Arme des alten Regimes waren zwar offiziell aus ihren Ämtern vertrieben, schafften sich aber eine Schattenwirtschaft aus Korruption, Erpressung und Entführung. Von eben einer solchen Entführung und ihren Folgen handelt Daniela Goggis atmosphärisch dichter Film, der seine Weltpremiere 2023 auf den Filmfestspielen in Venedig hatte und nun auf Paramount+ zu sehen ist.

Eine Rückkehr in die Heimat mit tragischen Folgen

Man ist gerade wieder zurück im Land. Es ist 1983. Als Unterstützer der Peronisten und als eher linksgerichtete Industrielle musste ein Großteil der Familie Levy das Land verlassen. Nun soll das Familienunternehmen wieder zum Laufen gebracht werden. Doch wenige Tage nach der Ankunft in Argentinien wird Julios Bruder Miguel (Germán Palacios) auf offener Straße vor dem Firmensitz entführt. Zwar gibt es eine Lösegeldforderung, der die reiche Familie nachkommt – Miguel aber wird nicht freigelassen.

Folglich richtet sich Julio an die Regierung, bittet um Hilfe und wird an im Halbschatten agierende Männer verwiesen, die gut vernetzt sind, jedoch finanzielle Anreize bräuchten. Geld wechselt die Besitzer. Mehrmals. Der Bruder aber taucht nicht auf. Schließlich gerät auch das Familienimperium in Schieflage und Julio beginnt zunehmend körperlich und psychisch zu zerfallen.

Kein gutes Erwachen aus dem Albtraum

Daniela Goggis politisches Drama ist eine schwermütige Ballade in Moll. Die Bilder werden im Verlauf immer erdiger, während Hauptdarsteller Rodrigo de la Serna unter der Last der Ereignisse vor den Augen der Kamera zu altern scheint – kettenrauchende Kurzatmigkeit und eine sich vergrößernde Körpermitte erzählen als physische Verschleißerscheinungen von dem inneren Druck.

Unendliche Tage werden vergehen, die zunehmend von lange verdrängten, familiären Spannungen durchzogen sind. Geld ist am Ende Geld, und auch in einem Familienunternehmen gilt es, die Bücher sauber zu halten. „Er habe doch immer in guter Absicht gehandelt“, sagt Julio an einer Stelle zu seinem Anwalt. Aus dem Albtraum eines Landes, das sich langsam wieder aufrichten will, gibt es nicht für alle ein gutes Erwachen.     

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