Satire | Großbritannien 2022 | 165 (3 Folgen) Minuten

Regie: Jon S. Baird

Ab Ende der 1950er-Jahre macht der Brite John Stonehouse (1925-1988) als Labour-Abgeordneter Karriere und bringt es in der Regierung von Harold Wilson bis zum Minister. Insgeheim lässt er sich aber auch vom tschechoslowakischen Geheimdienst anheuern und verheddert sich immer tiefer in ein Netz aus Verrat, Korruption und windigen Geschäften, bis er in den 1970er-Jahren sogar seinen eigenen Tod vortäuschte, um unterzutauchen. Der biografische Mehrteiler entfaltet sich als Mischung aus Sozial- und Politdrama, Spionage- und Kriminalfilm sowie schwarzhumoriger Komödie. Eine ebenso bissige wie amüsante, von einem exzellenten Hauptdarsteller getragene Satire um einen Politiker, der zwar über reichlich Eitelkeit und Ambitionen, aber über keinerlei Sachkenntnis oder moralisches Rückgrat verfügt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STONEHOUSE
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Snowed-In Productions/Clearwood Films
Regie
Jon S. Baird
Buch
John Preston
Kamera
Mark Wolf
Musik
Rolfe Kent
Schnitt
Steven Worsley
Darsteller
Matthew MacFadyen (John Stonehouse) · Keeley Hawes (Barbara Stonehouse) · Kevin R. McNally (Harold Wilson) · Igor Grabuzov (Alexander Marek) · Emer Heatley (Sheila Buckey)
Länge
165 (3 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Satire | Serie | Tragikomödie
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IMDb

Biografischer Mehrteiler über den britischen Labour-Politiker John Stonehouse (1925-1988) und seine Verstrickungen in Spionage, Affären, windige Geschäfte und einen vorgetäuschten Tod.

Diskussion

„Er war stets ein wenig schräg, ja, schräg“, wird am Ende einer Spirale von sexuellen Eskapaden und Skandalen der britische Premierminister Harold Wilson (Kevin McNally) sich selbst sowie seiner Vertrauten Betty Boothroyd (Dorothy Atkinson) versichern, ganz so, als ob nicht er selbst den Labour-Politiker John Stonehouse (Matthew Macfadyen) erst groß gemacht und seinen selbstzerstörerischen Parabelflug befeuert hätte. Wilson, selten anderswo als in seiner dunklen, holzgetäfelten Zentrale in der Downing Street zu erleben und immer mit dem Rücken zur Wand um die knappste aller denkbaren Mehrheiten kämpfend, gemahnt dabei stark an den Winston Churchill des britischen Kriegskabinetts. Nur ganz zu Beginn, im Jahr 1967, kann er das Wahlvolk nachhaltig überzeugen; er wird Premierminister und darf eine neue Labour-Regierung zusammenstellen. Dem Geist der Zeit folgend, ist er auf der Suche nach jungen, unverbrauchten Köpfen; seine Berater empfehlen ihm John Stonehouse, Sohn eines Gewerkschafters, verheiratet und Vater von drei Kindern; im Krieg hat er bei der Royal Air Force gedient. Stonehouse gilt als untadelig und verdient und wird Luftfahrtminister.

Ein englischer Gentleman auf Abwegen

Die biografische Serie „Stonehouse“ (Buch: John Preston; Regie: Jon S. Baird) eröffnet allerdings nicht mit dem steilen Aufstieg des Protagonisten, sondern erst später, im Jahr 1974. Mit einer Szene, die durch den musikalischen Soundtrack und die verwaschen-knalligen Farben den Geist der 1970er-Jahre atmet und von so makabrer Komik ist, dass es die Stimmung für den Genre-Mix aus Sozial- und Politdrama, Spionage- und Kriminalfilm sowie schwarzhumoriger Komödie unverkennbar britischer Abstammung setzt. Der Mehrteiler ist zugleich Biopic und Psychogramm eines englischen Gentlemans auf Abwegen, der von Geld und Sex verführt wird und nicht mehr durch Konventionen oder Moral gehalten wird. Dass all dies überzeugend zusammengeht, verdankt sich weitgehend dem vielseitigen Schauspielertalent von Matthew Macfadyen.

Gleich bei seinem ersten internationalen Einsatz tappt Stonehouse in eine vom tschechischen Geheimdienst geschickt aufgestellte „Honigfalle“. Nach wüstem Sex mit seiner Übersetzerin wird er mit dem dabei entstandenen Filmmaterial erpresst und soll von London aus für die ČSSR spionieren. Stonehouse erste und einzige Frage in der Sache: „Werde ich dafür bezahlt?“

In der Folge gelingt ihm das durchaus beachtliche Kunststück, weiter an politischem Gewicht zuzulegen, in der Partei und der Regierung aufzusteigen und sich gleichzeitig immer tiefer in den Sumpf der moralischen Korruption hineinzureiten. Die tschechischen „Judaspfennige“ legt er auf einer Vielzahl von Konten im In- und Ausland höchst riskant an. Außerdem engagiert er mit Sheila Buckley (Emer Heatley) eine junge Büroleiterin, deren scheuem Charme er alsbald erliegt.

Der Spion, der sich liebte

Die Serie führt den Protagonisten und den Politiker-Typus, den er repräsentiert, genüsslich als eitel, halbgebildet und voller hohler Phrasen vor. Erstaunlicherweise ist dies auch das Geheimnis seines Erfolgs. Seine Eitelkeit motiviert ihn jeden Tag aufs Neue, im richtigen Moment „Ich, ich, ich!“ zu rufen, wobei ihm seine Phrasen mehrmals den Hals retten, als man seinen Umtrieben beinahe auf die Schliche kommt. Dass er von nichts wirklich etwas versteht, enerviert sogar seinen tschechischen Führungsoffizier Alexander Marek (Igor Grabuzov). Hinter dessen melancholischer Kultiviertheit lauert allerdings eine nur mühsam gebändigte kalte Grausamkeit. „Sie sind der mieseste Spion, der mir jemals untergekommen ist!“, herrscht er Stonehouse geradezu ungläubig an, was dieser geknickt wie ein getadelter Schuljunge als Fundamentalkritik akzeptiert.

Doch irgendwann wird selbst Stonehouse alles zu viel: der Job, das Geld, die Spionage und womöglich sogar die Frauen. Deshalb heckt er einen in seinen Augen wasserdichten Plan aus. Bei einer Reise nach Florida täuscht er einen tödlichen Badeunfall vor, nur um 100 Meter weiter wieder aus den Fluten zu steigen und sich nach Australien abzusetzen. In Down Under benimmt er sich dann so offensichtlich wie ein Angehöriger der britischen Upperclass, als wolle er geradezu enttarnt werden. Überhaupt scheinen sich die Lust an der Übertretung und die an der Bestrafung bei Stonehouse beinahe die Waage zu halten.

Einmal Politiker, immer Politiker

Für kurze Zeit gelingt es ihm sogar, in Australien eine absurde Ménage-à-trois zu installieren, mit Sheila Buckley und seiner bis dato treu zu ihm stehenden Ehefrau Barbara (Keeley Hawes). Dann aber wird er nach England abgeschoben, wo die Parlamentsmehrheit wieder einmal von einer einzigen Stimme abhängt. Doch als dann die Tories die Macht übernehmen und man Stonehouse der Unterschlagung und Steuerhinterziehung in großem Stil überführen kann, wandert er für lange Jahre in den Knast. Doch einmal Politiker, immer Politiker. Selbst aus dem Knast heraus taktiert Stonehouse, wird vorzeitig entlassen und beweist durch sein kurzzeitiges Engagement bei der English National Party („Wake up, England!“) einmal mehr, dass seinem politischen Kompass nicht zu trauen ist. Die letzten Einstellungen zeigen John Stonehouse vor dem Spiegel: eine klassische (Theater-)Szene für den großen Monolog der Selbstbefragung und -vergewisserung. Doch Stonehouse bleibt stumm. Der Politiker als Resonanzraum und Darsteller – seiner selbst und nichts weiter. Seinen Versprechungen ist nicht zu trauen, auch seiner finalen nicht.

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