Dokumentarfilm | Palästina/Norwegen 2024 | 95 Minuten

Regie: Yuval Abraham

Von 2018 bis zum Oktober 2023 filmt ein israelisch-palästinensisches Kollektiv die Auseinandersetzungen um das Dorf Masafer Yatta südlich von Hebron, das einem militärischen Übungsplatz der israelischen Armee weichen soll. Im Zentrum stehen der palästinensische Aktivist Basel Adra und sein israelischer Freund, der Journalist Yuval Abraham. Sie dokumentieren die Schikanen und Übergriffe durch das Militär und radikale Siedler und kämpfen gegen Hass und Verachtung. Der im Stil des Direct Cinema gedrehte Dokumentarfilm folgt den Protagonisten und verstärkt den Eindruck der Unmittelbarkeit durch eine dynamische Ästhetik, zu der auch Handyaufnahmen, Musik und das Sounddesign beitragen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NO OTHER LAND
Produktionsland
Palästina/Norwegen
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Yabayaya Media/Antipode Films
Regie
Yuval Abraham · Basel Adra · Hamdan Ballal · Rachel Szor
Kamera
Rachel Szor
Musik
Julius Pollux · Jonas Rothlaender
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarfilm über die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland aus der Perspektive der Menschen des palästinensischen Dorfes Masafar Yatta.

Diskussion

„No Other Land“ ist kein journalistischer Film, der abwägt oder sich um Ausgewogenheit bemüht. Er bezieht eindeutig Position, denn er wurde von palästinensischen und israelischen Aktivist:innen gedreht, um auf die Situation in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten im Westjordanland aufmerksam zu machen. Im Mittelpunkt stehen der Palästinenser Basel Adra und der israelische Journalist Yuval Abraham. Der Film begleitet die zunehmende Eskalation rund um das kleine palästinensische Dorf Masafer Yatta, südlich von Hebron über einen Zeitraum von fünf Jahren zwischen 2018 und Anfang Oktober 2023. Die bestialischen Massaker der Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 spielen keine Rolle mehr. Im Epilog wird lediglich gezeigt, wie militante israelische Siedler Ende Oktober den Cousin von Basel Adra erschießen. Die Gewaltspirale dreht sich weiter.

Die Palästinenser leben seit langem in Masafer Yatta. Trotz des kargen, steinigen Bodens ist es seit Generationen ihre Heimat. Nun will die israelische Armee daraus aber einen militärischen Übungsplatz machen. Sie beginnt Ställe und Häuser mit Bulldozern einzureißen. Den Palästinensern bleibt kaum Zeit, ihre Habseligkeiten zu retten. Diese werden hektisch zusammengesammelt und vor den Gebäuden aufgestapelt. Die Menschen setzen sich mit gewaltfreiem Widerstand zur Wehr, blockieren Straßen und werden weggetragen. Nachts bauen sie neue Hütten, die wieder eingerissen werden. Sie bestreiten auch den juristischen Weg und klagen gegen die Enteignung ihres Landes. Doch ohne Erfolg. Das Gericht gibt dem Militär recht.

Im Stil des Direct Cinema

Der Debütfilm eines palästinensischen Kollektivs – neben den beiden Protagonisten sind es die israelische Filmemacherin und Kamerafrau Rachel Szor und der palästinensische Fotograf Hamdan Ballal – zeigt die Vorgänge über einen langen Zeitraum als teilnehmende Beobachtung. In den Bildern geht es nicht nur um die Zerstörung von Ställen, Häusern und sogar einer Schule, sondern ebenso um die menschenverachtenden Schikanen und Erniedrigungen des Militärs, das sich überlegen fühlt. Die Palästinenser werden gedemütigt und ihre Anliegen in keiner Weise ernst genommen. Der Konflikt eskaliert. Das Militär und militante jüdische Siedler erschießen Palästinenser, ohne dass diese Morde untersucht oder geahndet würden. Um ihr Land nicht ganz aufzugeben, ziehen sich die Palästinenser zum Teil in Höhlen zurück, die dunkel und feucht sind.

Im Mittelpunkt von „No Other Land“ steht die Freundschaft zwischen Basel Adra und Yuval Abraham, die sich trotz aller Widerstände und Anfeindungen entwickelt. Sie geben die Hoffnung, dass es zu einem friedlichen Zusammenleben kommen kann, nicht auf. Jenseits von Hass und Verachtung. Dafür kämpfen sie gemeinsam. Ein Siedler bezeichnet Abraham als Verräter und bedroht ihn offen mit Folgen, die sein Handeln haben werde. Abraham schreibt auch Artikel über die Vertreibungen der Palästinenser, sieht sich in Israel aber nicht genug wahrgenommen. Deshalb entstand die Idee, diesen Film zu machen, der sich am Stil des Direct Cinema orientiert. Die Kamera von Rachel Szor ist immer nah am Geschehen und folgt den beiden Akteuren zum Teil mit wackeliger Handkamera. Als Zuschauer ist man bei den Ereignissen unmittelbar dabei. Es ist eine dynamische Ästhetik, ergänzt von Handyaufnahmen, deren emotionale Wirkung durch Sounddesign und Musik noch verstärkt wird. Der Film berührt nachhaltig.

Die Preisverleihung und ihr Nachhall

„No Other Land“ ist eine palästinensisch-norwegische Co-Produktion, die bei der Berlinale 2024 mit 19 anderen Produktionen aus allen Sektionen für den Dokumentarfilmpreis nominiert war. Zur Jury gehörten die französische Filmemacherin Véréna Paravel, der iranisch-französische Regisseur Abbas Fahdel und der deutsche Regisseur Thomas Heise. Sie zeichneten „No Other Land“ als besten Dokumentarfilm aus. Bei der Preisverleihung kritisierten Yuval Abraham und Basel Adra die israelische Besatzungspolitik und forderten die Bundesregierung auf, Israel keine Waffen mehr zu liefern. Abraham wies darauf hin, dass er als Israeli auch im Westjordanland den vollen Schutz seiner Rechte genieße, während Adra unter dem Besatzungsrecht lebe und beispielsweise in seiner Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt sei. In diesem Zusammenhang verwendete Abraham den einst für das südafrikanische System strikter Rassentrennung geprägten Begriff „Apartheid“. Dieses fahrlässig verwendete Reizwort statt einer differenzierten Kritik an der israelischen Politik, der sich in Israel durchaus viele Menschen anschließen würden, war einer der Gründe, um im Nachgang zur Preis-Gala mancherorts antisemitische Vorwürfe zu erheben und von einem riesigen Skandal zu sprechen. Dabei hatte die Festivalleiterin Mariette Rissenbeek zu Beginn der Preisverleihung klar Position auch zur palästinensischen Gewalt bezogen und auch das TinyHaus-Projekt erwähnt, in dem während des Festivals ein Israeli und ein Palästinenser mit den Besuchern diskutierten. Doch die Zeiten für einen offenen Dialog über die verfahrene Lage im Nahen Osten scheinen auch in Deutschland schwierig geworden zu sein.

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