The Boys in the Boat

Drama | USA 2023 | 123 Minuten

Regie: George Clooney

Zur Zeit der Großen Depression versucht eine Gruppe junger Männer, sich fürs Ruderteam der University of Washington zu qualifizieren, da der sportliche Erfolg den Verbleib an der Uni und die Lebensgrundlage sichert. Gegen alle Erwartungen zeigt sich das Team der Konkurrenz der Eliteuniversitäten als überlegen und qualifiziert sich schließlich für die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 in Nazi-Deutschland. Der Historienfilm nach klassischem Sportfilm-Muster erzählt mit Kitsch, Eleganz und Naivität von einer Gruppe junger Proletarier, die dem Prekariat der großen Depression mit Willen und Tatkraft entkommt. Den großen Katastrophen der Geschichte, die sie umgeben, gibt er aber ein allzu harmloses Antlitz. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
THE BOYS IN THE BOAT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Tempesta/MGM/Lantern Ent./Smokehouse/Spyglass
Regie
George Clooney
Buch
Mark L. Smith
Kamera
Martin Ruhe
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Tanya M. Swerling
Darsteller
Joel Edgerton (Trainer Al Ulbrickson) · Callum Turner (Joe Rantz) · Peter Guinness (George Pocock) · Jack Mulhern (Don Hume) · James Wolk (Trainer Tom Bolles)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Drama | Historienfilm | Sportfilm
Externe Links
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Historien-Sportdrama um eine US-amerikanische Universitäts-Rudermannschaft in den 1930ern, für deren Mitglieder der Sport ein Weg aus der Armut ist. Ihr Ziel: Die Olympischen Spiele 1936 im von den Nazis beherrschten Deutschland.

Diskussion

Unbekümmert strahlt die Vergangenheit. Schon die ersten Bilder schimmern in den warmen Messingfarben, mit denen Hollywood gerne die Vergangenheit markiert. Das Wasser spiegelt die Abendsonne, sammelt die Insektenvölker um sich und lässt eines der Ruderboote vorbeiziehen, in dessen Fahrwasser die Kamera blickt. Alexandre Desplats wieder und wieder in den Kitsch abtauchender Soundtrack gibt die dazugehörige Begleitung. Nicht mit Nostalgie, sondern aggressiver Nonchalance nimmt sich George Clooney, der als Regisseur schon immer ein Faible für die amerikanische Geschichte hatte, der 1930er-Jahren an.

Sein Film „The Boys in the Boat“ basiert auf der wahren Geschichte des Washington-Rowing-Teams von 1936, einem Jahr, das weder ohne die Große Depression noch den am Horizont lauernden Zweiten Weltkrieg verstanden werden kann. Die Männer, die den zweiten „Achter“ der Universität von Washington besteigen, sind die Kinder der Wirtschaftskrise, die mit ihrer Leidensfähigkeit direkt in Richtung der Olympischen Spielen von Berlin steuern. Vor der Historie aber steht das klassische Underdog-Narrativ des Sportfilms und das dazugehörige Bildrepertoire: Die erste Montage-Sequenz trennt die einfachen Studenten, die vor den Toren des Bootshauses auf das Probetraining warten, von den neun Auserwählten (acht Ruderer, ein Steuermann), die es tatsächlich ins Team schaffen. Die nächste Bildfolge lässt den Achter, seine sechzehn Ruder und die Männer, die sie bis über die Erschöpfung hinaus durchs Wasser ziehen, zu einer Einheit werden.  Das in den Kragen gestopfte Handtuch, die an den Mund geschnallte Flüstertüte, das handlackierte Ruderboot und die „Greatest Generation“, die es besetzt, kommen zusammen zu einem Film, der alle Voraussetzungen hat, ein Weltgeschichte reflektierendes Sportdrama zu werden.

Die Weltgeschichte wird zur Fußnote

Doch der Film tut sein Bestes, die Weltgeschichte erst einmal auf Abstand zu halten. „The Boys in the Boat“ streicht den am Horizont liegenden Weltkrieg ebenso konsequent aus der Story wie die internationalen und speziell auch amerikanischen Boykottbestrebungen im Vorfeld der Olympischen Spiele in Nazideutschland. Statt einem Nazi-Regime, das Rassegesetze, Pogrome, Antisemitismus und Rassismus hinter einer falschen Weltoffenheit zu verstecken versucht, präsentiert der Film im Vorbeigehen das Publikum, das mit Inbrunst den rechten Arm hebt, und das Unbehagen auf den Gesichtern der US-Jungs im Achter.

Mit der wutschnaubenden Witzfigur Adolf Hitler, der persönlich für das Finale erscheint, um seinen VIP-Platz entnervt mit Faustschlägen zu malträtieren, wird die Historie gänzlich zur albernen Fußnote der Erzählung.

Sport als Weg aus der Armut

Bleibt also der Sportfilm und die aus dem Schatten der Großen Depression tretende Underdog-Erzählung. Die spielerisch anmutende Reduktion des Titels, der der gleichnamigen Dokumentarroman-Vorlage von Daniel James Brown entlehnt ist, verrät gänzlich unironisch, wie der Film die Geschichte ins Visier nimmt. Denn die Jungs, die zur Ruderhoffnung der Vereinigten Staaten aufsteigen, suchen erst einmal nichts anderes als eine Möglichkeit, ihre Studiengebühren für das laufende Semester bezahlen zu können. Im Zentrum steht Joe Rantz (Callum Turner), der Ingenieurswesen an der University of Washington studiert. Ein passender Studiengang, wie der Film mit betonter Eloquenz unterstreicht. Denn der Ingenieur muss sich nicht nur etwas vorstellen und errechnen. Er muss bauen, was er sich vorstellen kann.

Der Weg dorthin, das Bauen, ist für Joe Rantz, Roger Morris (Sam Strike) und viele der Kommilitonen, die ein Boot mit ihnen teilen werden, härter als für die Durchschnittsstudent:innen. Die Jungs sind arm, Joe ist bitterarm. Eine Unterscheidung, die im Film wichtig ist. Joe lebt nicht im Studentenwohnheim, nicht in einem winzigen Zimmer, das er mit zig Mitstudenten teilen muss, sondern in einem notdürftig mit Tuch regenfest und mit Petroleumlampe heimelig gemachten Autowrack. Die Schuhe haben Löcher, für die Mensa fehlt das Geld, die ausgehängten Jobs sind längst besetzt. Was Joe, Roger und viele der anderen Studenten vor die Tore des Bootshauses treibt, ist ihre Armut. Was sie nach vorn bringt, sind nicht etwa die Motivationsreden („Bleibt dran und hofft, dass sie einen Fehler machen“) von Coach Ulbrickson (Joel Edgerton) und Coach Bolles (James Wolk), sondern der Zwang, sich einen Lebenserhalt zu verdienen.

Dem Aufstieg entgegengerudert

Die „Greatest Generation“ schiebt Überstunden, um überhaupt die Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben zu bekommen. In der Vorlesung wird geschlafen, in der Suppenküche das nötige bisschen Essen zusammengeholt – alles begleitet von der Scham, die dem anhängt. Allzu bitter fühlt sich das dennoch nie an. Clooney lässt seinen Film elegant und sanft dahinfließen, hat aber entsprechend wenig Erfolg damit, den Bildern des Prekariats vor der Suppenküche, in der Rekrutierungsschlange und im Obdachlosenlager wirkliche Durchschlagskraft zu geben.

Mit dem Rudersport läuft der Film gemütlich dem Aufstieg entgegen, macht den Sprung vorwärts aus der Armut zu einer Pursuit-of-Happiness-Erzählung, die in ihrer Naivität zwangsläufig in die Vergangenheit gehört. Irgendwie ist „The Boys in the Boat“ damit doch so etwas wie ein Historienfilm. Und unbedarft genug, denjenigen ihre Legende zu schenken, die bereit sind, dafür ordentlich anzupacken.

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