Nah am Wasser

- | Deutschland 1995 | 89 Minuten

Regie: Marc Ottiker

Ein unbeholfener Möbelpacker gefällt sich in der Rolle des rassistischen Spießers, die ihn ebenso unsympathisch wie erbarmungswürdig erscheinen läßt. Durch eine unglücklich verlaufende Liebe wird bei ihm der Prozeß der Menschwerdung in Gang gesetzt. Ein genau beobachtender Film über die Banalitäten des deutschen Alltags, mit Gespür für die Sensation des Unscheinbaren und der Kunst, diese Banalitäten spannend darzustellen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Jost Hering Prod.
Regie
Marc Ottiker
Buch
Marc Ottiker
Kamera
Michael Bertl
Musik
Nikko Weidenmann · Iwa Sanjek
Schnitt
Andreas Herder
Darsteller
Sven Pippig (Günther Schmidt) · Barbara Philipp (Franziska Bäcker) · Christoph Krix (Heiner Baumann) · Heinz-Werner Kraehkamp (Mausi) · Veronika Nowag-Jones (Schnuggelchen)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Zum derzeitigen deutschen Filmschaffen mag dieser Film über einen Möbelpacker in Berlin-Neukölln so gar nicht passen, und doch ist er ein durch und durch deutsches Produkt, das in den 70er Jahren gedreht sein könnte, würde es nicht während der Fußball-WM 1992 spielen. Ähnlich einem kargen Dokumentarspiel schildert er den Alltag des Klavierpackers Günther Schmidt: tagsüber harte Maloche, abends Abhocken vor dem Fernseher in der Stammkneipe und nur selten ein Highlight, z.B. der Besuch eines Vortragsabends der rechtsradikalen Republikaner. Dabei versucht der Film, ein Psychogramm einer gesellschaftlichen Randexistenz zu entwickeln, die anfällig für reaktionäre Parolen ist, sie unreflektiert übernimmt und aggressiv in ihr Umfeld hineinträgt und so mitverantwortlich wird für eine ausländerfeindliche Atmosphäre. Nicht durch seine Arbeit ist Günther zum Außenseiter geworden. Dafür nennt der Film andere Gründe: dominanter Vater, alkoholkranke Mutter, schlechte Schulbildung, mangelnder Wirklichkeitssinn, dumpfe Genügsamkeit, Sprachschwierigkeiten etc. Doch hat all dies für den Zuschauer nicht so viel Gewicht wie die Häßlichkeit Günthers. Sie hat ihn isoliert - eine fatale Wirkung. Es stellt sich die Frage, ob Marc Ottiger mit Sven Pippig einen Hauptdarsteller gewählt hat, der allein durch seine Physiognomie dem Anliegen des Films entgegenwirkt. Die Geschichte entwickelt sich behutsam: Günther lernt in seiner Stammkneipe Franziska, eine Bürokauffrau, kennen und verliebt sich. Es scheint Günthers erste große Liebe zu sein - eine ungestüm unbeholfene Liebe. Aus ihr entsteht eine zarte, zerbrechliche Freundschaft. Unabsichtlich zerstört Günther sie, indem er für ein gemeinsames Wochenende am Meer ein Auto raubt. Ab diesem Punkt wird der Film zur melodramatischen Tragödie. Stilistisch ist dies ein Bruch. Aber dadurch gelingt es endlich, Günther Schmidt weniger als sozialpsychologisches Phänomen und mehr als Menschen zu betrachten. Sven Pippig mimt diesen so eindringlich, daß der Film trotz aller Schwächen von Buch und Regie als Seelen- und Stimmungsbild Lebensnähe ausstrahlt. - Ab 16 möglich.
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