Touki Bouki - Die Reise der Hyäne

Jugendfilm | Senegal 1973 | 89 Minuten

Regie: Djibril Diop-Mambéty

Ein junges senegalesisches Paar träumt von einer Zukunft in Paris. Nachdem mannigfaltige Widerstände in der Heimat überwunden sind, muss es jedoch einsehen, dass ein Leben in Frankreich wohl nur mit einer vagen Hoffnung verbunden ist, die sich kaum erfüllen wird. Afrikanischer Jugendfilm, konzipiert als Tragikomödie voller träumerischer Wahn- und Wunschepisoden, die durch die eigenwillige Inszenierung den Zauber des Kinos beschwören. Trotz seines Alters hat der Film nichts von seiner Faszination und Brisanz verloren. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TOUKI BOUKI
Produktionsland
Senegal
Produktionsjahr
1973
Produktionsfirma
Cinegrit/Studio Kankourama
Regie
Djibril Diop-Mambéty
Buch
Djibril Diop-Mambéty
Kamera
Pap Samba Sow · Georges Bracher
Musik
Josephine Baker · Mado Robin · Aminata Fall
Schnitt
Siro Asteni
Darsteller
Magaye Niang (Mory) · Mareme Niang (Anta) · Aminata Fall (Tante Oumy) · Ousseynou Diop (Charlie)
Länge
89 Minuten
Kinostart
01.06.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Jugendfilm | Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Einmal im Jahr rasen Trucks, Geländemotorräder und Allradautos quer durch die afrikanische Wüste. 1979, als die „Ralley Dakar“ zum ersten Mal stattfand, hieß sie entsprechend der damaligen Streckenführung noch „Ralley Paris-Dakar“. In Paris begann das, was den Teilnehmern als sportliche Herausforderung und eines der letzten großen Abenteuer galt. Immer wieder kam es zu Unfällen, wenn die Fahrzeugkolonnen mit irrwitziger Geschwindigkeit an Einheimischen vorbeirasten, die staunend vor ihren Hütten standen. Ein treffendes, trauriges Bild für den Zusammenstoß der Kulturen aus neokolonialer Perspektive: Afrika als Abenteuerspielplatz adrenalinsüchtiger Geschwindigkeitsfetischisten; ein halber Kontinent als Piste, die es möglichst schnell hinter sich zu lassen gilt. Djibril Diop Mambétys Spielfilm „Touki Bouki“ könnte als Antwort auf diese eurozentrischen Afrikasehnsüchte verstanden werden, weil er die Richtung, welche die Träume von der Fremde einschlagen, umkehrt: Ein junges Paar träumt in Dakar von einem neuen Leben in Paris. Entstanden ist diese Dakar-Paris-Vision aber bereits 1973, sechs Jahre, bevor die Sportsleute aus dem Westen in den Weiten Afrikas erstmals ihre Motoren aufheulen ließen. Die ignorante Haltung freilich, mit der Europäer Afrika bis heute begegnen, kommt in „Touki Bouki“ explizit zum Ausdruck. Gegen Ende des Filmes sieht man weiße Franzosen, Pädagogen, die sich herablassend über ihre senegalesischen Kollegen unterhalten. „Wir verdienen dreimal soviel wie ein einheimischer Lehrer“, stellen sie fest und finden das völlig in Ordnung. Schließlich hätten die Afrikaner ja auch kaum kulturelle Bedürfnisse. „Sie essen nicht wie wir. Ihr Geschmack ist nicht so fein.“ Überhaupt sei „afrikanische Kunst ein Witz“, und: „Wir verließen Dakar nie. Im Senegal gibt es nichts zu sehen.“ Wo es nichts zu sehen gibt, kann man auch getrost mit über 100 Stundenkilometern hindurchrauschen. 13 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit befasst sich „Touki Bouki“ nur in dieser einen, satirisch pointierten Szene unmittelbar mit dem fortgesetzt kolonialherrlichen Blickwinkel. Es ist dennoch eine zentrale Szene, weil mit ihr der Europatraum des jungen afrikanischen Liebespaares zerplatzt. Naive Wunschvorstellungen weichen der Ernüchterung. Mory und seine Freundin Anta träumen von einem anderen Leben. In Dakar sind sie Außenseiter, Gefangene der Tradition und intoleranter Familienclans. Mory wird als Herumtreiber und Nichtsnutz beschimpft, Anta angefeindet, weil sie studiert und nach Frankreich möchte. Von dort aber, sagen die Alten, kommt nichts Gutes, nur „weiße Frauen und Krankheiten“. Mambéty hat mit „Touki Bouki“ einen afrikanischen Jugendfilm geschaffen, dem man nicht nur beim Score die europäischen Einflüsse anmerkt. Mory und Anta lehnen sich gegen die Generation der Eltern auf. Die jugendlichen Rebellen wehren sich das Herkömmliche, sie sehnen sich woandershin. Zielpunkt ihrer Sehnsucht ist Paris, als Chiffre der Moderne. Dort soll alles anders, besser werden. Wie aber dorthin kommen? Um die teure Schiffspassage zu bezahlen, versuchen beide, mit allerhand Tricks und Gaunereien an Geld zu gelangen. Aber Mory scheitert beim Glücksspiel, und in der geklauten Kiste, in der sie die gesammelten Gelder für die Errichtung eines Denkmals zu Ehren von Charles de Gaulle vermuten, kommt nur ein Totenschädel zum Vorschein. Erst als Mory einen schwulen Dandy bestiehlt, haben die beiden das nötige Startkapital beisammen. Doch kaum haben sie das Schiff betreten, das sie ins Land ihrer Träume bringen soll, befallen Mory Zweifel am Sinn seiner Flucht. Das Paris, von dem Mory und Anta fantasieren, wird in Chansons besungen. Immer wieder erklingt der fröhlich beschwingte Refrain, „Paris, Paris...“, doch am Ende zerschlägt sich die Vorstellung von Paris als Paradies, noch ehe die beiden die Stadt überhaupt zu Gesicht bekommen. „Touki Bouki“ mündet in einer Desillusionierung und beginnt auch mit einer. Die erste Einstellung zeigt Afrika wie aus dem Bilderbuch: Ein Junge treibt gemächlich eine Herde Zebu-Rinder durch die Savanne. Dann aber schneidet Mambéty in einer rohen Kontrastmontage auf eine brutale Schlachtszene, in der einem der Rinder die Kehle durchgeschnitten wird. Das Horn eines getöteten Zebu-Rindes ziert später das Mofa Morys, der sich dadurch sinnbildlich im Spannungsfeld von Tradition und Moderne wiederfindet. Mit einer kurzen, vehementen Schnittfolge ist gleich zu Anfang der emotionale Nährboden für das folgende Geschehen bereitet. Vieles ist gesagt, ohne dass ein einziges Wort gesprochen wurde. Auch im weiteren Verlauf bleiben die Dialoge spärlich. In langen, stummfilmartigen Passagen entwickelt der Film stattdessen eine originäre, brachiale Bildsprache. Befreit vom Redeballast, entfaltet er eine visuelle Intensität, die das Korsett einer „realistischen“ Darstellungsweise sprengt. Das expressionistische, pantomimisch-komödiantische Spiel der Protagonisten irritiert nur solange, bis man sich in die eigenwillige, oft groteske Erzählwelt Mambétys eingefunden hat. Brutale, blutige und verstörend direkt abgefilmte Schlachtbilder von Rindern und Schafen werden jäh mit Liebesszenen oder arkadischen Landschaftsaufnahmen verknüpft. Bilder der Wirklichkeit und Traumvorstellungen verbinden sich zu einer lyrisch oszillierenden Tragikomödie. Die gedehnten, träumerischen Wahn- und Wunschepisoden, in welche die Realität unversehens hineingleitet, erinnern an das poetisch schwebende Kino Andrej Tarkowskys. Das rauschende Meer durchdringt ähnlich wie bei „Solaris“ (fd 20 140) den Film als zentrales Leitmotiv. Lange, weite Einstellungen, extreme Auf- und Untersichten fordern eingespielte Sehgewohnheiten heraus und verleihen „Touki Bouki“ einen spröden Zauber, eine ursprüngliche, ungehobelte Kraft. Im gleichförmigen Dauergeflimmer geschwätzig-steriler High-Tech-Produktionen belebt es, zu sehen, dass Kino derart ungestüm sinnlich sein kann – oder zumindest sein konnte. Über 30 Jahre hat es gedauert, bis Mambétys Meilenstein des afrikanischen Films jetzt im Rahmen der von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ und dem „Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit“ konzipierten Filmreihe „Afrika auf der Leinwand“ auch hierzulande endlich in die Kinos kommt. Es ist höchste Zeit dafür.
Kommentar verfassen

Kommentieren