Shanghai Serenade

Drama | VR China/Frankreich 1995 | 109 Minuten

Regie: Zhang Yimou

Die aus dem "unschuldigen" Blickwinkel ihres 14jährigen Dieners geschilderten letzten sieben Tage einer unnahbaren Sängerin und Tänzerin, die sich 1930 für eine Intrige gegen ihren Liebhaber, einen mächtigen Triaden-Boß, einspannen läßt. Hinter der spannenden, prunkvoll und routiniert inszenierten Fabel um Verrat und Sühne offenbaren sich allegorische Bezüge zum China der 90er Jahre. Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft reiben sich dabei am Bild des ewigen Kreislaufs von Macht, Verführung und Unterdrückung und umschreiben die Austauschbarkeit des einzelnen in der chinesischen Gesellschaft. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
YAO A YAO YAO DAO WAIPO QIAO | SHANGAI TRIAD
Produktionsland
VR China/Frankreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Shanghai Films Studio/Alpha/UGC Images/La Sept Cinéma
Regie
Zhang Yimou
Buch
Bi Fei Yu
Kamera
Lu Yue
Musik
Zhang Guangtian
Schnitt
Du Yuan
Darsteller
Gong Li (Xiao Jinbao) · Li Bao-Tian (der Pate) · Wang Xiao Xiao (Shuisheng) · Sun Chun (Song Er Ye) · Li Xui Jian (Liu Shu)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Der chinesische Schriftsteller Li Xiao bringt in seinem Roman "Regeln" ("Mengui") die überlieferten Riten und Gebräuche auf den Punkt, die das "Reich der Mitte" auch noch nach Revolution, Kulturrevolution und der Einleitung der Modernisierungsphase im auslaufenden 20. Jahrhundert überschatten. Von den Mächtigen für ihre Zwecke instrumentalisiert, von den Beherrschten als Heilsbringer und Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft in den Stand von Geboten erhoben, bestimmen sie seit jeher Leben und Handeln der Menschen. So auch in Zhang Yimous Verfilmung von Li Xiaos Roman, der dieses - seine Filme leitmotivisch durchziehende - Thema zum zentralen Gegenstand des Films bestimmt hat. Indem er den "Regeln" jedoch den Filmtitel "yao a yao, yao dao waipo qiao" ("Heim zu Großmutters Brücke") nach einem von Sehnsucht und Heimweh geprägten populären Kinderlied gegenüberstellt, steckt er gleichzeitig die wesentlichen Antagonismen der chinesischen Gesellschaft ab. Aus ihr schöpfen die Motive des Films, speisen sich die gesellschaftskritischen Absichten Zhangs ebenso wie seine Hoffnung auf Rückgewinnung des chinesischen Nationalcharakters und eine aus den Wurzeln der eigenen Kultur zugestaltende Zukunft.

"Shanghai Serenade" zeichnet sich durch die äußerste Verknappung seiner im Vergleich zu den streng stilisierten frühen Arbeiten Zhang Yimous auffällig nachlässig inszenierten Handlungsstränge aus. Erzählt wird eine sich mäßig dramatisch zuspitzende Gangsfergeschichte um den Kampf zweier Triaden um die Vorherrschaft im mondänen und weltoffenen, von seinen Wurzeln entfremdeten Shanghai der 30er Jahre. Protagonist und zunächst unbeteiligter Beobachter ist der von seinem Onkel an den Triaden-Boß Tang verkaufte und zum Diener der Sängerin Xiao Jin-biao ernannte 14jährige Shuisheng. Aus seiner seit Jahrtausenden unverändert! archaischen Welt des ländlichen Chinas heraus stößt er mit seiner noch unverfälschten Naivität sowie seiner Fähigkeit zum Staunen auf eine Umgebung von Prunk und Reichtum - und mit ihm die Kamera, die: seine unbeteiligte Perspektive brillant einnimmt und: den unschuldigen Blick auf das Geschehen nachvollziehbar macht. Doch ungeachtet aller Schönfärberei seitens der Diener seiner Herrin offenbart sich diesem Repräsentanten des ursprünglichen Chinas schnell die einmal in die Unglück verheißende rote Farbe des Jungfrauenblutes gehüllte, ein anderes Mal in Todesstarre evoziereride Blautöne getauchte - Realität hinter der schönen Fassade. Shuisheng muß erkennen, daß selbst die (von Gong Li, der Diva des chinesischen Kinos, als teuer und unnahbar dargestellte) vom Publikum gefeierte, von ihren Bediensteten verehrte Herrin nicht mehr ist als eine Dienerin. Sie offenbart sich als beliebig austauschbare Puppe ihres Herrn, hat ihre Persönlichkeit für die zweifelhaften Versprechungen von Ruhm und Reichtum verkauft und wandelt ihre aus der Ernüchterung erwachsene Verzweiflung in Grausamkeit und Zynismus um. So quält sie ihre Diener und wird dennoch zur Mitleid erweckenden Identifikationsfigur. Ihr im Theater wie in ihrer Lebensrealität zur Schau getragener Bühnenglanz löst sich in nachtlicher Einsamkeit und unbeobachtet geglaubten Momenten in Emotionsausbrüchen auf, bevor sie ihre Fassung wiedergewinnt und das Spiel, in das sie unausweichlich verfangen ist, glänzend fortzusetzen versteht.

Der Triaden-Boß Tang hingegen steht für die Herrschenden der Geschichte im Großen wie im Kleinen. Sich auf die Dogmen der Tradition und die Parolen der Ideologie berufend, haben sie das Volk zu willenlosen Iristrumenten ihrer Macht erzogen. Doch auch an das Volk selbst richtet Zhang Yimou seine Kritik. Denn gerade von der blinden Unterwürfigkeit der Menschen, ihrem Opportunismus und ihrer Verführbarkeit nährt sich die Macht der Herren. Zumindest auf dieser Ebene, auf der die Grenzen zwischen dem Shanghai der 30er Jahre und dem heutigen China sichtbar werden, tritt auch ein gewisser Wiedererkennungseffekt des gebeutelten chinesischen Volkes ein. Dieser ist es, auf den sich in der aristotelischen Bedeutung von "Mitleid und Furcht" Zhang Yimous ungebrochene Hoffnung begründet, mit seiner Kunst auch über deren immanente Bedeutung hinaus eine gesellschaftliche Wirkung zu erzielen) Im Triaden-Boß Tang und den Schergen, die er als Handlanger um sich schart, spiegeln sich die feudalen Kaiser, die ihre autokratische Herrschaft genauso abgesichert haben wie Map Zedong oder die kommunistischen Herren der 90er Jahre, die in unvorstellbarem Ausmaß den Gott des Konsums beschwören. Auf sie und diejenigen, die die neuen Parolen zur Lebensmaxime erheben, zielt Zhang Ylmou mit diesem Film in der durch die Zensur geprägten Tradition des "Schattenschießens".

Doch weniger in der bewußt vereinfachenden und in den Hintergrund gedrängten Handlung als in der in wenigen Moment- und Großaufnahmen um so wirkungsvoller inszenierten subtilen Charakterzeichnung der Figuren und in der Umgebung ihres Handelns kulminieren die kultur- und gesellschaftskritischen Aussagen dieser Allegorie auf das China der 90er Jahre. Immer wieder stoßen die Gegensatzpaare Land und Stadt, Tradition und Moderne, Vertrautheit Und Entfremdung Familie und Einsamkeit, Traum und Desillusionierung, Unschuld und Schuld aufeinander: in den Herrschenden wie in den beherrschten Personen, den zur Einheit mit der Natur gelangten Bauern und den in die unberührte bäuerliche Welt eindringenden und sie zerstörenden Städtern, den abstoßenden Bildern aus Shanghai und seinen Nachtclubs und den von der Musik der Pipa und Guzheng untermalten berückenden Aufnahmen vom See Taihu, den unschuldigen Gesängen der Bauern und den: verruchten Liedern in den Amüsierquartieren. Auf dieser Deutungsebene ist "Shanghai Serenade" ein überaus chinesischer Film, der den Sieg der Harmonie (he) über das die Filmbilder beherrschende Chaos (huan) in Gestalt einer "Rückkehr zu den Wurzeln", als Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft in den Vordergrund rückt.

In der Realität der heutigen Gesellschaft ist ein solcher Sieg allerdings kaum abzusehen. Das macht Zhang Yimpulim trägischen Finale unmißverständlich deutlich. Denn bereits vor der Ermordung seiner Favoritin hat der Triaden-Boß eine Nachfolgerin für sie ausgesucht, um den ewigen Kreislauf von Macht, Verführung, und Unterdrückung aufrecht zu erhalten und die willkürliche Austauschbarkeit des einzelnen in einer Gesellschaft festzuschreiben, die trotz ungebremster Übernahme westlicher Lebensformen noch immer die Ideologie der Masse predigt und ihre Mitglieder zu bedingungsIoser Konformität erzieht.
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