Das Handbuch des jungen Giftmischers

Komödie | Großbritannien/Deutschland/Frankreich 1994 | 99 Minuten

Regie: Benjamin Ross

Anfang der 60er Jahre in einem Londoner Vorort: Ein 14jähriger Hobby-Chemiker entdeckt seine Liebe zur Giftmischerei und benutzt Freunde und Familie als Versuchskaninchen. Als seine Stiefmutter Opfer seiner Experimente wird, wird er wegen Mordes verurteilt und in die Psychiatrie eingeliefert. Nach Jahren auf Bewährung entlassen, verfällt er schon bald wieder seiner Passion. Ein auf einer wahren Begebenheit beruhender Film, der seine makabre Geschichte mit schwarzem Humor und bissigen Seitenhieben auf das englische Spießbürgertum erzählt. Besonders in der Hauptrolle eindrucksvoll gespielt, besticht der Film auch durch einen außergewöhnlichen Soundtrack, der an klassische amerikanische Thriller erinnert, ohne sie zu kopieren.
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Filmdaten

Originaltitel
THE YOUNG POISONER'S HANDBOOK
Produktionsland
Großbritannien/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Mass/Kinowelt/Haut et Court
Regie
Benjamin Ross
Buch
Jeff Rawle · Benjamin Ross
Kamera
Hubert Taczanowski
Musik
Robert Lane · Frank Strobel
Schnitt
Anne Sopel
Darsteller
Hugh O'Conor (Graham) · Tobias Arnold (Graham als Kind) · Ruth Sheen (Molly Graham) · Roger Lloyd Pack (Fred Young) · Charlotte Coleman (Winnie)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Komödie
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Diskussion
Noch mehr als für seine "Onanie"-Vorlage, die Bilder der aufreizend posierenden "Nurse Esker", interessiert sich der 14jährige Graham für die Experimente von Isaac Newton. Und so verschlingt er in seinem Hobby-Chemielabor Tag und Nacht Medizin-, Toxikologie- und Pathologiebücher, die ihm die 16jährige Bibliotheksangestellte Sue besorgt. Ein alter Apotheker, der den wißbegierigen Jungen ins Herz geschlossen hat, versorgt ihn mit Ingredienzen für seine Versuche. Schon bald schreitet Graham aus dem Stadium des Experimentierens zum Test am lebenden Objekt: zuerst setzt er seinen Schulfreund Mick durch ein vergiftetes Pausenbrot kurzzeitig schachmatt, dann schenkt er seiner Stiefmutter Molly präparierte Pralinen. Weil Graham dem vom Arzt verschriebenen Gegenmittel Gift beimischt, verschlechtert sich ihr Zustand von Tag zu Tag. Als seine Schwester Winnie mißtrauisch wird, manipuliert er ihre Augentropfen, so daß sie auf einem Auge erblindet. Graham entdeckt in einer Comic-Geschichte die tödliche Wirkung des nicht nachzuweisenden Schwermetalls Thallium und verabreicht Molly eine letzte Dosis. Bei ihrer Beerdigung erregt er aber den Verdacht seiner Tante, weil sowohl sein Onkel als auch sein Vater plötzlich Vergiftungssymptome zeigen. Graham wird verhaftet, wegen Mordes verurteilt und in eine Anstalt für psychisch Gestörte eingeliefert. Dort gewinnt er das Vertrauen des Psychologen Dr. Zeigler, der seinen Ehrgeiz darin setzt, Graham zu heilen. Tatsächlich wird Graham nach Jahren auf Bewährung entlassen und bekommt eine Stellung in einem Fotolabor. Aber als er dort Flaschen voller Thallium entdeckt, schmiedet er sogleich wieder tödliche Pläne.

Benjamin Ross hat seine auf Tatsachen beruhende Geschichte einerseits als skurrile Komödie voll jenes sprichwörtlich gewordenen schwarzen englischen Humors inszeniert, andererseits als bissige Karikatur Londoner Vorstadtlebens zu Beginn der 60er Jahre. Köstlich jene Szenen, in denen die Youngs, inclusive künftigem Schwiegersohn, in ihrer spießbürgerlich eingerichteten Wohnung vor dem Fernseher sitzen, wie das Studio-Publikum bei der "Dickie-Boone-Show" im Takt mitschunkelt und wie sich auf Vater Freds Gesicht die Angst vor dem Entdecktwerden spiegelt, als seine Frau Pornohefte findet. Zu seinem Glück und ihrem Pech schiebt sie den Fund allerdings Graham zu, der zur Läuterung in der Badewanne blutig geschrubbt wird. Das dieses "Schlüsselerlebnis" herhalten muß, um Graham endgültig auf Mordgedanken zu bringen, ist zwar psychologisch ein wenig eindimensional, forciert aber noch einmal den pechschwarzen Humor des Films: Graham führt an Hand von Diagrammen penibel Buch über das Dahinsiechen seiner Stiefmutter, die, auch optisch erkennbar, immer mehr verfällt. Hier bleibt einem das Lachen wahrlich im Halse stecken. Und doch wird einem der introvertierte Graham nie ganz unsympathisch. In seinem traurigen Blick ist auch immer die verzweifelte Suche nach Anerkennung und Liebe zu lesen. Daß diese Figur so lebensnah erscheint, ist das Verdienst des großartigen Hugh O'Connor ("Mein linker Fuß", fd 28 104). Obwohl er in fast jeder Szene präsent ist, drückt er die pointiert eingesetzten Nebendarsteller nie an die Wand. Präzise setzt sie die Regie wie Puzzle-Stücke in das makabre Handlungsgefüge ein, das ohne sie nie zu einem Ganzen zusammenwachsen würde. Mit der Verhaftung von Graham verliert der Film zwar etwas an Spannung, und Benjamin ROSS flüchtet sich unnötigerweise in manchmal allzu vordergründige (Traum-)Szenen, aber nach seiner Entlassung ertappt man sich dann doch wieder, daß man weniger mit Grahams Opfern leidet als seinen raffiniert ausgeklügelten Mordplänen entgegenfiebert. Den Zuschauer zum Komplizen der Unmoral zu machen, versteht ROSS erstaunlich gut. Unterstützt wird er dabei von einer in den Gesichtern und Gesten der Protagonisten "beredt" lesenden Kamera und einem für eine deutsche (Co-)Produktion ungewöhnlichen Soundtrack. Während mit den zeitgenössischen Schlagern ein leicht ironischer Klangteppich über die 60er Jahre gelegt wird, erinnern die neu komponierten Orchesterpassagen an die Partituren etwa eines Bernard Herrmann zu klassischen amerikanischen Thrillern. Da wachsen mit den jungen Komponisten Frank Strobel und Robert Lane offensichtlich zwei Talente heran, auf deren weiteres Filmschaffen man gespannt sein kann. Was natürlich auch für ROSS gilt, dessen Erstlingswerk trotz einiger dramaturgischer Durchhänger schon von einer erstaunlichen Geschlossenheit ist.
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