Komödie | USA 1995 | 95 Minuten

Regie: Woody Allen

Ein New Yorker Sportjournalist und eine Galeristin, die feststellen, daß zum Glück ihrer Ehe etwas fehlt, adoptieren einen kleinen Jungen. Der Mann forscht der Mutter nach und findet sie in einer warmherzigen Prostituierten, zu der er sich hingezogen fühlt. Was in klassischer Zeit, die durch einen griechischen Tragödienchor repräsentiert wird, ein Trauerspiel gewesen wäre, entwickelt Woody Allen zu einer pointen- und einfallsreichen, klugen und warmherzigen Komödie, mit der er wiederum die Sinnsuche eines intellektuellen Stadtmenschen beschreibt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MIGHTY APHRODITE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Magnolia Pictures/Sweetland Films
Regie
Woody Allen
Buch
Woody Allen
Kamera
Carlo Di Palma
Musik
Dick Hyman
Schnitt
Susan E. Morse
Darsteller
Woody Allen (Lenny Weinrib) · Helena Bonham Carter (Amanda Weinrib) · F. Murray Abraham (Chorleiter) · Mira Sorvino (Linda) · Michael Rapaport (Kevin)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.85:1, Mono engl./dt.)
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Diskussion
Am Ende beginnt der griechische Chor nach amerikanischen Swing-Melodien zu singen und zu tanzen. Sophokles Meets Broadway. Woody Allen macht's möglich. Das aus dogmatischer europäischer Sicht Unvorstellbare erscheint bei Allen als das fast vollkommen Normale und Selbstverständliche. Show Biz ist alles - von "When You're Smiling" von Frank Sinatra bis Shakespeare oder eben auch Sophokles. "That's Entertainment", wie uns schon Fred Astaire beigebracht hat.

Woody ist Lenny Weinrib, ein New Yorker Sportjournalist. Seine Frau Amanda führt eine erfolgreiche Galerie. Durch den Zufall eines Gesprächs mit einem befreundeten Ehepaar wird den beiden plötzlich bewußt, daß zu ihrem Glück noch etwa fehlt. Amanda - eine Frau von schnellen Entschlüssen - handelt fixer, als es sich Lenny (und der Zuschauer) vorstellen kann. Die moderne, voll im Leben stehende New Yorker Geschäftsfrau hat aber keine Zeit, um sich neun Monate auf ein Kind einzustellen. Gewissermaßen en passant teilt Amanda ihrem Mann am Telefon mit, daß sie ein Kind zur Adoption gefunden hat - und im Hintergrund trainieren Boxer. Fast über Nacht wird Lenny so zum Vater. Man adoptiert einen kleinen Jungen, der schließlich nach wohlweislicher Überlegung den schlichten Namen Max enthält. Max wächst heran und erweist sich als recht kluges Bürschchen. Mehr aus einer Zufallslaune heraus macht sich Lenny auf die Suche nach der wirklichen Mutter von Max. Mit Hilfe einiger freundlicher Zeitgenossen gelingt es ihm, sie zu finden: Es ist Linda Ash, eine hübsche junge Frau mit großen Ambitionen. Eigentlich will sie als Schauspielerin arbeiten, doch bisher reichte es nur für die Porno-Branche. Lenny ist schockiert, gleichzeitig aber auch angezogen von Linda mit ihrer piepsenden Stimme, die lässig auf Lenny, das "Würstchen", herabsehen kann. Die Gegensätze, die Kontraste ziehen sich an. Da auch Amanda wenig Zeit für ihren Mann hat und lieber ihre Galerie vergrößert, beginnt Lenny, sich immer mehr für die anziehende Aphrodite zu interessieren. Seine Rettung kann nur Kevin sein, ein Boxer mit begnadeter Einfalt, den Lenny als Ehemann für Linda aussucht. Die Sache geht zwar schief, doch das Happy End für alle Beteiligten läßt nicht auf sich warten.

Kommentiert, vorangetrieben und vorausgesagt wird die etwas haarsträubende Geschichte von einem griechischen Chor, der mit Chorführer, locaste, Teiresias und Kassandra diese New Yorker Story noch zusätzlich auf eine höhere, gewissermaßen ewige Ebene hebt. Manchmal greift der ehrgeizige Chorführer sogar ganz direkt in die Handlung ein. Doch die griechischen Sänger sind nicht nur weise, sondern auch neugierig und lüstern - sie scheinen fast Menschen wie wir zu sein. Lenny (ein Fingerzeig auf Lenny Bruce, den legendären New Yorker Spötter?), der Sportjournalist mit intellektuellem Touch, auf dessen Schreibtisch das "Art"-Magazin liegt, und seinen hängenden Schultern ist natürlich der typische Woody-Allen-Held, der Looser, das alter ego des Filmemachers. Ob nun Isaac Davis, der TV-Autor aus "Manhattan" (fd 22 160), der New Yorker Komiker Alvy Singer aus "Der Stadtneurotiker" (fd 20 385) oder eben Lenny, der Sportreporter - immer ist es Woody, der liebenswerte Unglücksrabe, in dem die Zuschauer sich nur allzu gern selbst erkennen möchten. Und wie immer bei Allen kommt sein ruhiges Leben durch irgendeinen äußeren Vorgang aus dem Gleichgewicht. Mal ist es ein Mord, mal das Verschwinden eines Menschen, hier sind es die Adoption von Max und das Finden von Linda Ash. Woody Allens Werk ist eine schöne lange Fuge mit vielen Variationen. Mal wird das Thema à la Tschechow variiert, mal à la Bergman oder eben mal mit Einschüben à la grec. Allzu genau sollte man die Bezüge sowieso nicht nehmen - Allens Beziehung zum klassischen griechischen Theater scheint so eng zu sein wie die einleitende Sirtaki-Musik zur griechischen Klassik.

Der Film lebt vom Kontrast: Lenny, der stets ein wenig schlampig wirkende Verlierer auf der einen, Linda, die große, kräftige Aphrodite mit ihrer körperbetonten, stets aufreizenden Kleidung auf der anderen Seite. Am Anfang das hehre Pathos des Chores und das Kneipengeplapper der New Yorker Middle Class von heute. Ansonsten ließ sich Allen von allem Möglichen und Unmöglichen inspirieren. Von George Cukors Sophisticated Comedies der 50er Jahre (Mira Sorvino scheint fast eine Tochter von Judy Holliday zu sein) bis hin zu "Forrest Gump" (fd 30 995). Selbst eine Anspielung auf "Schindlers Liste" (fd 30 663) kann der New Yorker Jude Allen wagen. Und Linda Ash hat eine selten schweigende Piepsstimme - wie einst Jean Hagen, die in "Singin' in the Rain" unbedingt ein Tonfilmstar werden wollte. "Geliebte Aphrodite" ist so auch ein Museum des amerikanischen Kinos.

Eine wenig glückliche Hand hatte der deutsche Verleih mit der "Übersetzung" des Titels, die eigentlich eine Verfälschung ist. Bleibt die Furcht vor der deutschen Synchronisation, die möglicherweise vor allem die Figur der Linda durch deftige Sprüche vergröbern könnte. Woody Allen erweist sich als verläßlicher Garant für die Vitalität des Kinos, er ist eine erfreuliche Konstante des guten alten Autorenfilms. "Geliebte Aphrodite" erscheint neben Eric Rohmers "Sommer" (fd 31 959) als Highlight im deutschen Kino-Repertoire dieses Sommers, das die Unmengen an Bildermüll dieser Wochen ertragen läßt. Der Zuschauer verläßt beschwingt das Kino. Wann hat es dies das letzte Mal gegeben?
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