Requiem für eine romantische Frau

Historienfilm | Deutschland 1998 | 100 Minuten

Regie: Dagmar Knöpfel

Episoden aus den Biografien des deutschen romantischen Dichters Clemens Brentano (1778-1847) und seiner zweiten Frau Auguste Bußmann. Ein Film über das Missverhältnis zwischen einer auf ihre Körperlichkeit und Lust fixierten Frau und einem auf den Intellekt konzentrierten Mann, der sich unfähig zeigt, seine in der eigenen Literatur entworfenen radikalen Lebensentwürfe auch selbst auszuleben. Der als Melodram angelegte Stoff leidet an einer eintönigen Dramaturgie, die die Grundkonstellation der Geschichte immer wieder nur variiert. Sehenswert ist die herausragende Kameraarbeit, die den Zusammenprall von Natürlichkeit und Strenge optisch transparent macht. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Dagmar Knöpfel Filmprod./HR/BR/WDR/arte/Cinecam/Das Werk
Regie
Dagmar Knöpfel
Buch
Dagmar Knöpfel
Kamera
Igor Luther
Musik
Joschi Schumann
Schnitt
Edith Eisenstecken
Darsteller
Sylvester Groth (Clemens Brentano) · Janina Sachau (Auguste Bußmann) · Jeanette Hain (Bettine Brentano, spätere von Arnim) · Felix von Manteuffel (Simon Moritz Bethmann) · Anian Zollner (Achim von Arnim)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Historienfilm | Literaturverfilmung | Melodram
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
arte Edition (absolut MEDIEN) Alamode (restaurierte Fassung)
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Diskussion

Wieder einmal ist der deutsche Film dabei, die Romantik und ihr historisches Umfeld zu entdecken: Nina Grosses „Feuerreiter“ (fd 33 427), eine Annäherung an Friedrich Hölderlin, liegt nur ein paar Wochen zurück; Egon Günthers „Die Braut“ über Christiane Vulpius, Goethes Geliebte und Ehefrau, kommt demnächst ins Kino; und gleichsam als Mittelstück des Triptychons fungiert Dagmar Knöpfels „Requiem für eine romantische Frau“. Ein zufälliges Aufeinandertreffen? Vielleicht. Wobei es ganz und gar nicht zufällig sein dürfte, daß alle drei Filme ähnliche thematische Schwerpunkte setzen: Immer geht es um leidenschaftliche Empfindungen für einen anderen Menschen, um Liebe, die weder gesellschaftliche Ächtung noch den Tod fürchtet. In einer Zeit, die permanente Mobilität und eine damit zusammenhängende Tendenz zur Bindungslosigkeit zu wesentlichen Kriterien für Karriere und materiellen Wohlstand erklärt und dies auch in ihren Filmen kultiviert, wirken „Feuerreiter“, „Braut“ und „Requiem für eine romantische Frau“ wie archaische Gegenentwürfe: Expeditionen in ein verlorenes Universum, Projektionen der Sehnsucht nach einem „vollkommenen“ Dasein, zu dem nicht nur Geld, sondern auch tiefe Liebe gehört, Spurensuche in den Urgründen der menschlichen Herzen.

Dagmar Knöpfel beleuchtet, nach einem Treatment von Hans Magnus Enzensberger, das seelische Interieur der Familie Brentano: Clemens Brentano (1778-1847) hatte gemeinsam mit seinem Schwager Achim von Arnim die Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ herausgegeben sowie zahlreiche Gedichte, Novellen und Kunstmärchen verfaßt. Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau lebte er wie ein Asket – bis zu seiner Bekanntschaft mit Auguste Bußmann, der 16jährigen Tochter eines wohlhabenden Frankfurter Bankiers. Mit der ersten Begegnung der beiden beginnt der Film; und Janina Sachau stellt, mit langem blondem Haar, offenem Blick und sinnlichen Lippen, von Anfang an die Emotionalität Augustes heraus: eine durch nichts zu zügelnde Entschlossenheit, Partnerin dieses Mannes sein zu wollen; ein Temperament, das die Radikalität eigener Empfindungen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Regeln nach außen stülpt. Die eruptive Erotik Augustes wird besonders in jener Szene transparent, in der das Mädchen aus ihrem Elternhaus flieht und in die Kutsche Brentanos klettert: Die Kamera zeigt das Verlangen, das von Auguste ausgeht, die lange Umarmung der beiden; Überblendungen markieren das Vergehen der Zeit; die elliptische Erzählweise verkürzt die Minuten vom ersten Kuß bis zu vollkommenen Nacktheit zu einem einzigen rauschhaften Moment.

Leider haben solche Einfälle, in denen das Ungestüme der Heldin seinen Widerschein im sinnlichen filmischen Ausdruck findet, eher Seltenheitswert. Wie schon in „Feuerreiter“ wird auch in „Requiem für eine romantische Frau“ die mit einem großen Verlangen verbundene Tragödie mehr ausgestellt als emotional erfahrbar gemacht. Das liegt vor allem an der dramaturgischen Durchdringung des Stoffes. Dagmar Knöpfel beschreibt das Mißverhältnis zwischen einer auf ihre Körperlichkeit und Lust fixierten Frau und einem auf den Intellekt konzentrierten Mann; und sie zeigt, daß die in der deutschen romantischen Literatur skizzierten Lebensentwürfe von deren Autoren nicht unbedingt auch selbst gelebt wurden.

Diese Gegensätze sind in der ersten Viertelstunde des Films angerissen, danach erschöpft sich „Requiem für eine romantische Frau“ trotz häufiger Ortswechsel nur noch in Variationen auf das Grundthema. Auguste bleibt die junge Wilde, die ihrem Mann – und womöglich auch dem Zuschauer – mehr und mehr auf den Geist geht: widerspenstig und schrill. Brentano verweigert sich der Frau, indem er am Schreibtisch hockt, dichtet und gelegentlich aus Augustes Nähe flieht. Die bürgerliche Verwandt- und Bekanntschaft zeigt sich von der Liaison meist schockiert; sie wendet sich ab, intrigiert oder steht Brentano bei, um seine Frau loszuwerden. Diese Konstellation wiederholt sich mehrfach, nach jeweils kurzen Einschüben eines scheinbaren neuen Glücks. So dreht sich der Film fortwährend um seine eigene Achse, ohne den Sog der Leidenschaft und Verzweiflung, in den Auguste gerät, szenisch aufzubauen und zu vertiefen.

Womöglich hat dies mit einer gravierenden Fehlbesetzung zu tun: Sylvester Groth spielt Clemens Brentano nahezu ohne Zwischentöne als abweisend und genervt. Was ihn für Auguste über Jahre hinweg anziehend gemacht haben könnte, bleibt ein Rätsel. Die restliche Personage ist auf eine Ansammlung von Stichwortgebern reduziert: Bettine und Achim von Arnim, Jakob und Wilhelm Grimm und andere authentische Personen sind in Dagmar Knöpfels Sicht weitgehend muffige Kleinbürger und Krämerseelen, gefangen im Wertekanon ihrer Zeit. Mag sein, daß die Regisseurin die berühmten Namen vom Denkmalsockel herabholen und auf ein durchschnittliches Maß zurechtstutzen wollte, doch irgendwie wirkt das alles beliebig. Hinzu kommt, daß die Darsteller der Etablierten vor allem in den Debattierszenen wie eine Laienschar geführt werden. Besonders hier mündet „Requiem für eine romantische Frau“ ins Thesenkino, erweist sich nicht als aufwühlendes Melodram, sondern als Kopfgeburt.

Daß die Regisseurin nur über ein Budget von 1,5 Mio. DM verfügte, sieht man dem Film in vielen Teilen an – wobei die Kargheit der Mittel durchaus zu interessanten optisch-ideellen Lösungen führte. So wird immer wieder von rauschenden Bällen geredet, auf denen sich Auguste mit verschiedenen Tänzern vergnügt; zu sehen ist aber nur die weichgezeichnete, lachende Frau, die sich im Kreis dreht: ein Motiv, das nicht als Realität, sondern als Projektion der Vorstellungen Brentanos deutlich wird. Kameramann Igor Luther und Austatterin Silke Buhr fanden Landschaften und Räume, die den Gefühlsbewegungen der Helden entsprechen und Kontraste schaffen: etwa die grüne Allee, in der Auguste und Clemens spazierengehen, eine Suggestion von Natürlichkeit und Freiheit, und wenig später das gedrückte, dunkle Gewölbe, in der die Trauung vollzogen wird. Wie ein roter Faden zieht sich der Gegenpol von Bildern der freien Natur und finsterer Innenräume durch den Film, wobei die Motive der Natürlichkeit auf Auguste, die der Dunkelheit auf Clemens bezogen sind. Augustes glücklichste Tage finden folgerichtig auf dem Lande statt, bei einer Pfarrersfamilie, von deren Sohn sie sich ein Kind zeugen läßt.

Der Dichter dagegen logiert bei einem Einsiedlerfreund in den bayerischen Alpen und präpariert Insekten. Ein Satz Brentanos beschreibt seine Beziehung zu Auguste treffend: „Es ist tausendmal besser, Blattläuse und Schmeißfliegen in Reih und Glied zu kleben, als auch nur einen weiteren Tag mit dieser Schindmähre zusammenleben zu müssen.“ Die in ihren Texten so empfindsamen, fantasievollen Romantiker, so lautet womöglich das eigentliche Credo des Films, sind eben doch nur launische Individualisten gewesen, die sich dem Leben nie wirklich zu öffnen bereit waren – wie Auguste, die von ihnen Gedemütigte und Verstoßene. Ist „Requiem für eine romantische Frau“ ein feministisches Opus? Vermutlich ja. Aber gut muß ein Film deswegen noch lange nicht sein.

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