We Feed the World - Essen global

Dokumentarfilm | Österreich 2005 | 96 Minuten

Regie: Erwin Wagenhofer

Dokumentarfilm, der die Abgründe industrialisierter Nahrungsmittelproduktion ausleuchtet und die Folgen ihrer weltweiten Vernetzung thematisiert. Dabei kommen Bauern, Fischer, der UN-Sonderbeauftragte für das Menschenrecht auf Nahrung und der Konzernchef von Nestlé zu Wort. Der Film will aufrütteln, indem er die sozialen, politischen und ökologischen Folgekosten der Agrarindustrie auflistet, wobei er beim Versuch, für die vielen widersprüchlichen Aspekte eine konsistente Erklärung und Lösung zu finden, allzu simplen Erklärungsmustern erliegt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WE FEED THE WORLD
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Allegro
Regie
Erwin Wagenhofer
Buch
Erwin Wagenhofer
Kamera
Erwin Wagenhofer
Musik
Helmut Neugebauer
Schnitt
Erwin Wagenhofer
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Das Elend der Linken bestand stets darin, dass sie sich im Bewusstsein moralischer Überlegenheit nicht weiter um die Verästelungen der Wirklichkeit kümmern zu müssen glaubten. Die Sicherheit, auf der richtigen Seite zu stehen, befreite ganze Generationen von der Zumutung, sich ernsthaft mit den Verkehrsgesetzen der „Warenwelt“ auseinander zu setzen. Im Zuge der Globalisierungsdebatte hat diese Haltung eine wenig überraschende Neuauflage erfahren. Auch das neue Interesse des vornehmlich österreichischen Dokumentarfilmschaffens an Fragen der globalen Nahrungsmittelproduktion verdankt sich diesem altlinken Impuls: „Jedes Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“, postuliert in „We feed the world“ beispielsweise Jean Ziegler, der in seiner Funktion als UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung inzwischen offenbar einen amtlichen Freibrief für Nonsens besitzt. Gleichwohl zieht sich das Interview mit dem Schweizer Politiker wie in roter Faden durch den programmatisch mit einem reflexiven Plural-„Wir“ betitelt Film, der seine handlungsbezogene Perspektive keinen Augenblick verschweigt. Der Konnex, den Ziegler mit knappen Worten skizziert, wonach die milliardenschweren Agrarsubventionen in der Europäischen Union an der Unterentwicklung der südlichen Hemisphäre schuld seien, ist freilich nur ein Thema von mehreren, die Erich Wagenhofer in seiner kritischen Bilanz industrieller Nahrungsproduktion zusammenträgt. Der Film beginnt mit Bildern riesiger Brotberge, die in Wien täglich auf dem Müll landen, genug, um damit eine Großstadt wie Graz zu versorgen. Ein Überfluss, der aus einer durchrationalisierten Landwirtschaft und der unerbittlichen Mechanik der Märkte erwächst, weshalb Streusplitt inzwischen mehr kostet als Weizen. Der niedere Preis ist jedoch teuer erkauft, weil die sozialen und ökologischen Kosten nicht auf die Waren umgeschlagen werden. Am Beispiel der Tomaten auf dem Wiener Naschmarkt eruiert Wagenhofer exemplarisch die Produktionsbedingungen, die es erlauben, dass in Mitteleuropa ganzjährig nahezu alle Obst- und Gemüsesorten angeboten werden. Die Recherche führt dabei in die südspanische Provinz Almeria, wo ein Heer marokkanischer Arbeitssklaven unter stickigen Plastikplanen fünfmal im Jahr künstlich hochgepäppelte Treibhausfrüchte erntet. Dabei kommt nicht nur der Aufwand an Wasser, Dünger und Pestiziden in den Blick, sondern ansatzweise auch die Logistik, die die Waren fein säuberlich verpackt ins Kühlregal um die Ecke „zaubern“: ein nicht abreißender Strom rußender Trucks und Lkws, die die Früchte 3000 Kilometer quer durch Europa bis in die österreichische Hauptstadt transportieren. Was bei den „Vegetables“ vielleicht nur ein „komisches Gefühl“ (Wagenhofer) hinterlässt, schlägt entschieden aufs Gemüt, wenn der Film auf den Weg vom befruchteten Hühnerei zur tiefgekühlten Hühnerbrust fokussiert. Hier kommt nicht nur der „brutale“ Überlebenskampf der Produzenten zur Sprache, der zu immer gigantischeren Brut-, Zucht- und Schlachtstätten führt, sondern klingen auch Qualitäts- und Geschmacksaspekte an, die angesichts des Preisdrucks kaum noch eine Rolle spielen. Was in dieser beklemmenden Gigantonomie einer ausschließlich am billigsten Preis orientierten Wirtschaftsweise auf der Strecke bleibt, demonstriert ein bretonischer Fischer anschaulich, indem er zwei Fische in die Kamera hält: Während der von einem kleinen Kutter gefangene Kabeljau noch seine Körperspannung wahrt, wenn man ihn am Kopf hochhält, klappt das von einem Trawler mit dem Schleppnetz gefischte Exemplar wie ein nasser Lappen zusammen: „Wir sagen: es ist nicht zum Essen, es ist nur zum Verkaufen“. Das erdrückende Material, das Wagenhofer rund um den Globus aufgenommen hat, erschöpft sich glücklicherweise nicht darin, den Konsumenten aufzurütteln und zum Überdenken seiner Gewohnheiten zu verleiten. Die in verschiedenen Kapiteln mit recht provokanten Zwischentiteln („Warum unsere Hühner den Regenwald auffressen“) versehenen Kapitel konzentrieren sich zwar jeweils auf einen Standort und die dort produzierte Ware, gehen aber in dem „Kommentar“ nicht auf, mit dem der jeweilige Gesprächspartner das Geschehen erläutert. Wenn beispielsweise der Repräsentant des kanadischen Saatgut-Multis Pioneer in Rumänien ausführt, warum in seinen Augen der Westen auch dieses Land ruinieren wird, sieht man im Hintergrund nicht nur großflächige Hybrid-Auberginen-Felder, sondern am Rande auch eine unüberschaubare Zahl von Menschen, die traditionelle Auberginen ernten. Während Karl Otrok über die Qualitätsunterschiede des Saatguts spricht und vor allem den kulinarischen Kahlschlag im Gefolge der Globalisierung beklagt, halten die Bilder implizit den Grund für den weltweiten Strukturwandel fest: das Streben, sich das Dasein einfacher und schöner zu gestalten. Diese fundamentale Logik wird allerdings immer dann gerne übersehen, wenn kleinere oder größere Exzesse dieses Strebens mit den Konsequenzen menschlichen Handelns konfrontieren: der Rodung des Regenwaldes beispielsweise oder Brot, das als Müll verbrannt wird. Die Neigung, angesichts einer immer komplexeren Wirklichkeit einen Hauptschuldigen wie den Kapitalismus, die Bürokraten aus Brüssel, die Konzerne etc., zu finden, mag zwar in der menschlichen Natur begründet sein, hilft im Allgemeinen wie im Konkreten jedoch leider nicht weiter – allem Pathos zum Trotz.
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