Ein Nachtclub in den frühen 1950er-Jahren. Ein Jüngling, ein typischer „angry young man“ dieser Jahre, muss sich erst betrinken, bevor er sich traut, die Sängerin, deren Lied ihn berührt hat, schüchtern anzusprechen: Sie sei die wunderbarste Sängerin der Welt. Doch es dauert nur wenige Sekunden, bis er den Moment sofort ein für alle Mal verdirbt: Sie sei ungemein schön, auch wenn sie eine... Der junge Mann bringt den Satz nicht vollständig über die Lippen, aber alle, auch die Zuschauer im Kino wissen, was gemeint ist.
Die Sängerin Mauri Lynn alias Mauri Leighton, eine Afroamerikanerin, spielt diese Frau in einem von nur drei Filmauftritten ihres Lebens – es sind Augenblicke für die Ewigkeit, wenn sie singt, und dann, wenn ihr Gesicht erstarrt, als sie die Beleidigung hört. Dies ist die großartigste Szene von „The Big Night“ (1951), dem zweiten US-Film des geborenen Amerikaners Joseph Losey, und einer der seltenen Momente des Hollywood-Mainstream-Kinos, die Rassismus konkret erfahrbar machen. Als fast beiläufige, gewöhnliche Alltagserfahrung wird die Diskriminierung hier fühlbar gemacht, die durch ihre Normalität noch mehr verletzt.
Natürlich gibt es solche Momente zuhauf in Filmen schwarzer Regisseure. Aber die sind nicht „Hollywood“, „Hollywood“ ist weitgehend weiß; die Perspektive afroamerikanischer Filmemacher immer noch eine Randerscheinung.
Prototypische Erfahrungen
Wer vom schwarzen Kino und von Schwarzen im Kino schreiben will, kann vom Rassismus natürlich nicht schweigen. Wie aber kann man überhaupt über die Erfahrung von Rassismus schreiben, wenn man selbst Weißer ist? Wohl nur unter Vorbehalt. Wie schreibt man als Weißer über das Kino von Schwarzen und Filme mit Schwarzen? Das kann nur gelingen, wenn man sich erst einmal der eigenen Begrenztheit versichert, sich klar macht, dass wir Weißen es nicht wirklich nachfühlen können, wie es ist, zu den „Anderen“ zu gehören, und das „Anderssein“ alltäglich zu erfahren: Die Blicke der anderen, das Wegrücken auf der gemeinsamen Wartebank, das Ausweichen auf dem Bürgersteig – ist das überhaupt Rassismus, oder bildet man sich da vielleicht etwas ein?
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Es sind solche Überlegungen, die der schwarze US-Schriftsteller James Baldwin (1924-1987) in seinem Buch „The Devil Finds Work“ (1976) aufgeworfen hat. Es handelt sich um einen über hundertseitigen Essay, der virtuos autobiographische Anekdoten und prototypische Erfahrungen eines schwarzen Jungen, der in den 1920er- und 1930er-Jahren im New Yorker Stadtteil Harlem aufwuchs, mit subjektiven Kinoerlebnissen und detaillierten Analysen bekannter Hollywoodfilme mischt. Baldwin, einem breiteren Publikum erst bekannt geworden durch Raoul Pecks Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ (2016), war auch an mehreren Filmdrehbüchern beteiligt und schrieb Bücher, die verfilmt wurden, zuletzt „Beale Street“ (2018).
Sein Buch beginnt mit der Erfahrung früher Faszination für Joan Crawford und des Nicht-Realisierens eines siebenjährigen Jungen, dass es sich um eine weiße Frau handelt. Dann aber mit zwölf in einer Verfilmung von Dickens’ Roman „Eine Geschichte aus zwei Städten“ deutet das Kind schon die Massen der Französischen Revolution auf der Straße als Bedrohung, nicht wie vom Film intendiert als Befreiungshoffnung. Denn es sind Weiße, „und ein weißer Mob ist immer gefährlich.“ Er weiß intuitiv, dass er seine weiße Lehreri
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