2001: Odyssee im Weltraum

Veröffentlicht am
03. Januar 2018
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Stanley Kubricks "2001" ist ein nahezu singuläres Phänomen in der Filmgeschichte, vergleichbar allenfalls mit Tarkowskijs "Solaris" (1972): die Projektion existentieller Ängste und Träume in eine utopische Zeit und deren gleichzeitige Rückprojektion auf gegenwärtige Bewußtseinsströmungen. "2001" - mit seiner Orientierung an den Eckpfeilern menschlichen Daseins, seiner antipodischen Konfrontation von Intellekt und Geist, seiner Vision von der Wiedergeburt eines neuen Menschen - hat das Vierteljahrhundert seit seiner Entstehung unbeschadet überdauert. Auch heute noch wirkt der Film moderner als viele aufwendige Science-Fiction-Produktionen, herausfordernder als alles, was unser Unbehagen an zunehmender Funktionalisierung und abnehmender Vergeistigung filmisch zu beschreiben versucht.

Der Film beginnt programmatisch mit den Anfangstakten von Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra". Aufnahmen einer urweltlichen Landschaft, durch Schwarzblenden wie zu einem Dia-Vortrag gereiht, definieren die Welt vor dem "Aufbruch der Menschheit." Ein Rudel Affen, das sich um ein Wasserloch streitet, kommt in Berührung mit einem Monolithen, Sinnbild des die Zeiten überdauernden Geistes. Der Geist gebiert Zerstörung. Ein Knochen wird zur Mordwaffe, zur Keule. Die Zeitlupenbewegung des in die Höhe geschleuderten Knochens weist voraus auf das Geschehen im Jahre 2001. Die neuerliche Entdeckung des Monolithen und die Vermutung seines Strahlungszentrums im System des Jupiters veranlaßt eine Expedition zu dem fernen Planeten. Ein hochentwickelter Computer, zwecks leichterer Handhabung auch mit Gefühlen programmiert, ist das Herzstück des Unternehmens. Doch der Computer verselbständigt sich; nur ein Mitglied der Besatzung bleibt am Leben: Bowman - und begeht den sich forterbenden Mord, diesmal an einem Computer. Steuerlos treibt er auf den Jupiter zu. Bei der Begegnung mit dem Monolithen bricht die "alte Welt" auseinander. Kaskaden von berstendem Licht, Gebilde gleißender Zerstörung und embryonale Wiedergeburt wechseln sich ab, bis Bowman sich schließlich in einem luxuriösen Louis-XVI.-Zimmer wiederfindet. Dort sieht er seinem eigenen Sterben zu. Auf dem Totenbett erscheint ihm noch einmal der Monolith. Mit Bowmans Tod blickt der Fötus einer neuen Menschheit zu den wieder ertönenden "Zarathustra"-Klängen von der Leinwand.

"2001", das achte Werk des akribischen Perfektionisten Stanley Kubrick (geb. 1928; u.a. "Uhrwerk Orange", 1970/71; "Barry Lyndon", 1973-75; "Shining", 1980), ist ein offener Film, der - wie die Zeit bewiesen hat - Raum läßt für Interpretationen. Auch das ist wahrscheinlich ein Schlüssel für seine anhaltende Aktualität. Kubrick versagt seinem Publikum eindeutige Auslegungen, wie sie der Autor des Films Arthur C. Clarke zum Beispiel mit der Datierung des Weltenbrandes in seiner Novelle "The Star" auf den Tag des Sterns von Bethlehem vorgenommen hat. Der Weltenbrand in "2001", die Zerstörung des Geistes durch den Geist, mündet in einen überdimensionalen psychedelischen Traum, endet mit Tod und Wiedergeburt, mit verlorener und wiedergewonnener Hoffnung.

Fast drei Jahrzehnte nach der Entstehung des Films haben die technische Brillanz und Exaktheit wenn nicht ihren Reiz, so doch ihren Verblüffungseffekt eingebüßt. Man kann "2001" heute nüchterner ansehen. Was dadurch um so deutlicher ins Bewußtsein dringt, ist die Bedeutung seiner fast unfilmischen, statischen Konzeption. Die auf Anfang und Ende einer entwicklungsgeschichtlichen Periode kondensierte Story gewinnt ihre Relevanz nicht aus Dialogen und Interaktionen, nicht aus Dramatik und Bewegung, sondern aus der Dynamik des Stillstands, aus der Relativität von Zeit und Entwicklung. Die Unverändertheit und Unveränderlichkeit des Monolithen ist nur sichtbares äußeres Zeichen für die stilistisch mit jeder Einstellung des Films zum Ausdruck gebrachten Sinnbildhaftigkeit des Ewigen und Unveränderlichen.

Den Bildern des Films wird Zeit gegeben, zum Gedanken zu werden. Der Anfang verweist - rückblickend - auf das Ende und das Ende auf den Anfang. Relativierung des Eindeutigen heißt das Stichwort des Künstlers, der Raum lassen will für geistige Beschäftigung. Der Konflikt zwischen filmischer Dramatik und philosophischer Kontemplation erscheint aufgehoben. Wenn Jean Epstein (1897-1953) der französische Regisseur und Filmtheoretiker ("Le Cinéma du Diable", L'Esprit du Cinéma"), das Göttliche als "die ins Maß gebrachte, ausgewogene Ruhe des Universums" beschreibt und daraus die Unmöglichkeit ableitet, das "unveränderlich Gültige" filmisch darstellen zu können, so ist "2001" die deutlichste Widerlegung des Allgemeingültigkeit dieser These, die man sich überhaupt vorstellen kann.

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