Lange hatten die Organisatoren des 42. Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken gehofft, eine Hybrid-Ausgabe anbieten zu können, doch nach den Lockdown-Beschlüssen im November blieb nur der Ausweg einer Online-Ausgabe. Für eine optimale Besucheransprache haben sie sich einige Neuerungen einfallen lassen. Am Sonntagabend fiel mit dem Eröffnungsfilm „A Black Jesus“ von Luca Lucchesi der Startschuss für das erste deutsche Filmfestival im zweiten Corona-Jahr.
Die Eröffnungszeremonie des wichtigsten Forums des deutschsprachigen Nachwuchsfilms wurde kostenfrei über die Startseite der neuen festivaleigenen Online-Plattform gestreamt. Dabei wurde der 75-jährige Wim Wenders für seine Verdienste um den jungen Film mit dem undotierten Ehrenpreis ausgezeichnet. „Als zentraler Akteur der Filmgeschichte und der filmischen Gegenwart verfolgt er seit über einem halben Jahrhundert seine künstlerische Vision und verknüpft sein Wirken auf einzigartige Weise mit der nachfolgenden Generation“, heißt es zur Begründung. Die Preisübergabe war zuvor in Berlin aufgezeichnet worden.
Auch die Ansprachen und Gespräche des Moderatorenduos waren in Saarbrücken vorproduziert worden. So sagte Ministerpräsident Tobias Hans, das Publikum benötige bei der Kunstform Film die Erfahrung des kollektiven Erlebnisses, des gemeinsamen Lachens, Staunens oder des gemeinsamen Berührtseins. „Vieles davon werden wir in diesem Jahr nur in eingeschränktem Maße erleben können“, sagte der CDU-Politiker. Das Ophüls-Festival verleihe dem Saarland seit mehr als 40 Jahren „cineastischen Glanz“.
Über die Plattform war danach der von Wenders produzierte Debütfilm „A Black Jesus“ von Luca Lucchesi abrufbar. Mit ihm eröffnete erstmals ein Dokumentarfilm das traditionsreiche Festival. Er schildert in großzügigen Cinemascope-Aufnahmen den schwierigen Alltag einiger schwarzer Migranten in einem Auffanglager in der sizilianischen Kleinstadt Siculiana, der Heimatstadt Lucchesis, der seit 2009 bei mehreren Projekten für Wenders als erster Regieassistent, Editor und Kameramann gearbeitet hat. Dort sind die Flüchtlinge 2019 immer wieder mit Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert, während sie auf eine gerichtliche Entscheidung über ihren rechtlichen Status warten. In das politisch aufgeladene Spannungsfeld zwischen Rassismus und Toleranz kommt Bewegung, als vier schwarze Flüchtlinge an einer traditionellen Prozession mit der von der Bevölkerung verehrten Statue eines schwarzen Jesus teilnehmen wollen.
Etliche Strukturen verändert
Für die digitale Ausgabe des 42. Festivals wurden etliche Strukturen beibehalten, es musste aber auch einiges adaptiert werden. So wurde die Zahl der Filme um ein Drittel reduziert, vor allem auf Kosten der eingedampften Nebenreihen. Auf der Plattform werden bis zum 24. Januar 92 Filme gezeigt, darunter 50 in den vier Wettbewerbssektionen: zwölf Spielfilme, zehn Dokus, zehn mittellange Filme und 18 Kurzfilme. 35 sind Uraufführungen, die restlichen 14 Deutschland-Premieren. Wie im Vorjahr werden 16 dotierte Preise im Gesamtwert von 118.500 Euro vergeben.
Die Online-Version des Festivals erforderte eine komplette Neukalkulation. Allein die Corona-Pandemie verursachte Mehrkosten von 140.000 Euro. Während man sonst mit 1,2 Millionen Euro wirtschaften könne, seien es diesmal nur 900.000 Euro, sagte die Festivalleiterin Svenja Böttger im Vorfeld. Zwar spare man die Aufwendungen für die Unterbringung von Festivalgästen, dafür fielen die Einnahmen durch Ticketverkäufe geringer aus und man müsse viel höhere Technikkosten stemmen. „Umso dankbarer sind wir, dass kein einziger Förderer oder Sponsor abgesprungen ist“, betonte Böttger.
Sie hob zugleich die Verantwortung des Festivals für den Filmnachwuchs hervor, für den Saarbrücken ein wichtiges Sprungbrett darstellt. Mit der Online-Ausgabe könne die Filmschau einen Beitrag leisten, dass die ersten Arbeiten der jungen Filmschaffenden ans Licht der Öffentlichkeit kämen, sie die nötige Aufmerksamkeit erhielten und mit Hilfe neue Kontakte bald neue Projekte anschieben könnten.
Die neue Streaming-Plattform, die das Münchner Unternehmen Cine.Box umgesetzt hat, bildet nun die zentrale Anlaufstelle für alle Inhalte der Online-Edition. Sie beruht auf der Blockchain-Technologie, die einen hohen Sicherheitsstandard beim Kopierschutz und eine hohe Ausfallsicherheit garantieren soll. Jedes Ticket kostet acht Euro. Um den gekauften Film zu sehen, hat man 24 Stunden Zeit. Zusätzlich gibt es preisreduzierte Filmpässe, die auf eine große Nachfrage stießen.
Die weitere Auswertung nicht gefährden
Die Filme können nur in Deutschland gestreamt werden. Die strikte Geo-Blocking-Regelung schließt zwar einige Stammgäste im benachbarten Frankreich und Luxemburg sowie Zuschauer in Österreich und der Schweiz aus, soll aber dazu dienen, die weitere Auswertung der Filme nicht zu gefährden. Die gleiche Idee steckt hinter der Beschränkung der Zahl der Tickets. Sie orientiert sich an der maximalen Zahl der Kinobesucher pro Festivalfilm bei einer physischen Ausgabe, die bei rund 1200 liegt. Wichtig ist den Veranstaltern auch die Beschränkung der Sichtungen auf die Festivalwoche. „Damit bleibt der Event-Charakter erhalten“, erklärt der künstlerische Leiter Oliver Baumgarten. „Wir funktionieren nicht wie Netflix, sondern sind ein Festival, das in einem begrenzten zeitlichen und programmatischen Rahmen stattfindet.“
Um eine Prise des üblichen Festivalflairs zu den Sichtungen zu bringen, wird zu jedem Film ein vorab aufgezeichnetes Filmgespräch bereitgestellt. Zudem können sich Besucher zu virtuellen Publikumsgesprächen anmelden und dort Mitglieder der Filmteams treffen. Während der Festivalwoche informiert zudem der Web-TV-Kanal „MOP-Festivalfunk“ jeweils ab 18 Uhr über das Programm, bietet „Festivaltipps“ für den jeweiligen Tag und liefert in Kooperation mit dem Saarländischen Rundfunk zusätzliche Gespräche und Inhalte.
Das diesjährige Filmprogramm ist nach Angaben von Baumgarten vor allem durch eine beachtliche gesellschaftspolitische Relevanz geprägt und gibt ein „hochkomplexes Bild der Gesellschaft“ wieder. Eine zentrale Frage in vielen Filmen sei jene „nach der zerstörerischen Kraft des westlich geprägten Kapitalismus“. Auch würden Themen wie Migration und Umweltverschmutzung, sexueller Missbrauch oder das soziale Engagement junger Menschen behandelt. Eine weitere wichtige Themenstellung sei die Frage: „Wie wollen wir künftig leben?“
In „Dominio Vigente – Der Wert der Erde“ von Juan Mora Cid wird so etwa ein Schweizer bei der Rückkehr in sein Geburtsland Chile mit den Forderungen ausgebeuteter Ureinwohner in Chile konfrontiert. „Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen“ von Nadine Heinze und Marc Dietschreit handelt von der symbiotischen Beziehung eines demenzkranken deutschen Rentners und seiner ukrainischen 24-Stunden-Pflegerin. Wie ein achtjähriges Mädchen in Jordanien sich gegen ein willkürliches Fernsehverbot wehrt, erzählt Murad Abu Eisheh in dem Film „Tala’Vision“.
Spannende Themen bietet auch der Dokumentarfilm-Wettbewerb. „Nichts Neues“ von Regisseur Lennart Hüper erzählt, wie das Seenotrettungsschiff „Lifeline“ wochenlang in einem Hafen auf Malta festsitzt. In „Wir alle. Das Dorf“ skizzieren Antonia Traulsen und Claire Roggan ein ambitioniertes dörfliches Sozialexperiment im Wendland. Und in der Dokumentation „The Case You“ von Alison Kuhn berichten fünf Schauspielerinnen von der Teilnahme an einem Casting, bei dem sie Opfer sexueller und gewaltsamer Übergriffe wurden. Der Film dient auch als Aufhänger für das Panel „Ein Fall von vielen – Prävention gegen Missbrauch“ im Branchenprogramm MOP-Industry. Hier wollen die Teilnehmer*innen „überprüfen, welche Ansätze es gibt, um ein nachhaltiges Bewusstsein aller Gewerke in der Branche zu schaffen“. Und dabei überlegen, wie neue Arbeitsstandards aussehen könnten, um Missbrauch zu unterbinden.
Mehr Infos zum Festival gibt es unter https://ffmop.de
Zur Streamingplattform des Festivals: https://ffmop.cinebox.film/