Mit der Serie „Black Sands“ und dem Coming-of-Age-Drama „Berdreymi“, das in der Sektion „Panorama“ glänzte, war Island bei der Berlinale 2022 würdig vertreten. Beide Produktionen verweigern sich jeder Postkarten-Romantik der nordischen Insel und punkten mit starken, rauen Geschichten.
Die
Berlinale versteht sich fast trotzig als Publikumsfestival, selbst in Zeiten
wie diesen. Und so findet zwar kein großer roter Teppich statt, aber die Nähe
zwischen Prominenz und Publikum wird dennoch gesucht – mit gebührendem Abstand
versteht sich. Die Macher des isländischen Krimi-Achtteilers „Black Sands“,
der im Rahmen der „Berlinale Series“ vorgestellt wurde, kamen gleich in
Reisebusstärke ins International Kino unweit vom Alexanderplatz, um ihn erstmals
Publikum außerhalb der Insel zu präsentieren. „Bitte kommt trotzdem auch weiterhin
nach Island. Es ist nicht ganz so schlimm dort, wie wir hier den Anschein
geben“. Es ist nicht nur der Vulkanstrand Reynisfjara am Kap Dyrhólaey schwarz
und unergründlich, auch die wenigen Menschen, die in seiner Nähe wohnen, haben
dunkle Geheimnisse. Eigentlich schaut sich Baldvin Zophoníasson
eher keine Serien mit Morden an, aber, so führt der Regisseur nach der Premiere
auf der Bühne weiter aus „… mir macht es ungemein Spaß, selbige zu inszenieren.
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Eine Tote am Strand und viele Geheimnisse
Und so
beginnt „Black Sands“ gleich mit einem atemberaubenden Drohnenflug über das steile
Kliff und den tief unten liegenden Strand, auf dem sich eine weiße, leblose
Frau als einziger Fremdkörper weit sichtbar abzeichnet. Eine andere Frau, Aníta
(Aldís Amah Hamilton), hat es (aus Gründen, die wir im Laufe der
Serie erfahren) schon früh aus der Gegend vertrieben; sie kommt nun als fertige
Polizistin zurück. Ihr erstes „Hallo“ gilt nicht etwa ihrer eigenbrötlerischen
Mutter Elín (Steinunn Ólína Þorsteinsdóttir), sondern ihrem
väterlichen Freund und Vorgesetzten Ragnar (Þór Tulinius), der
sie auf dem Weg zum Elternhaus abfängt und gleich zum Schwarzen Strand
mitnimmt. Eine deutsche Touristin starb hier eines unnatürlichen Todes. Viele
Fremde sind hier schon verschwunden, zumeist, weil sie die sich plötzlich
auftürmenden Wellen am steil abfallenden Glassteinstrand unterschätzt haben.
„Es ist eigentlich mehr ein Familiendrama als eine Krimigeschichte“, meint Hauptdarstellerin und Co-Autorin und Aldís Amah Hamilton auf die Bemerkung aus dem Publikum, das die ersten zwei Teile doch recht „zwischenmenschlich“ und weniger „actionreich“ seien. Steinunn Ólína Þorsteinsdóttir führt weiter aus, dass das Problem in Island weniger die Morde sind als die Familienmitglieder, denen man einfach nicht aus dem Weg gehen könne. Man müsse wirklich aufpassen, mit wem man ins Bett geht, „im Zweifel ist man mit ihm verwandt“.
Die Geschichte einer desaströsen Kindheit: „Berdreymi“
Auf die
Idee, dass sich sein Island-Bild nachteilig auf die fürs Land so wichtige Tourismusbranche
ausüben könnte, ist Regisseur und Autor Guðmundur Arnar Guðmundsson sicher
nicht gekommen. Dabei ist sein „Panorama-Sektions“-Beitrag „Berdreymi“
ein Schlag ins Gesicht. Der freie englische Titel „Beautiful Beings“ („Berdreymi“
bedeutet „Zukunftstraum“) ist genau das Gegenteil dessen, was in Guðmundsson Coming-of-Age-Drama
zu sehen sein wird. Es ist nichts weniger als die Geschichte einer desaströsen
Kindheit, aus der 14-jährige Balli versucht, das Beste zu machen. Nicht zuletzt
wegen seines asozialen Elternhauses (Vater spielt keine Rolle, Mutter
drogenabhängig), gilt Balli als Außenseiter. Alkohol und Nikotin haben sein
Hirn chronisch vernebelt, und fürs Glasauge ist sein im Knast sitzender
Stiefvater verantwortlich. Doch bevor es besser wird, muss es erst einmal
schlechter werden. Balli weiß nicht wirklich warum, aber Addi, der Anführer des
brutalsten Schläger-Trios der Schule, entwickelt Gefühle für den „Abschaum des Viertels“.
Es mag auch daran liegen, dass Addi nicht nur von Gewalt beseelt ist, sondern
auch von seherischen Tagträumen, in denen auch der geschundene Balli eine Rolle
spielt. Für diesen ist das der erste soziale Kontakt außerhalb seiner Familie.
Doch als neuer Teil der Gang wird die Aussicht auf eine Integration in den
Suburbs sich rosiger.
In Guðmundsson Island findet man keine eindrücklich abgelichteten Touristenattraktionen. Sein Reykjavik erinnert an eine Abbruchkante der Zivilisation, und das Leben darin an die Existenz auf einer Müllhalde. Dennoch blüht, in all dem Moloch aus Gewalt und Schmutz, ein Fünkchen Zwischenmenschlichkeit. Eine deprimierende und dennoch wunderbare Geschichte einer Freundschaft, die durch ein beachtliches, weil auch in den Extremen glaubwürdig agierendes (Jugend-)Ensemble zu einem Ereignis wird.
Nicht von dieser Welt
Wenn in Island gar nichts mehr geht, helfen im Zweifel die Geister und Naturwesen, die nicht nur im Film allgegenwärtig sind. Die steil aufsteigenden Felsen in der Dünung am schwarzen Strand von Kap Dyrhólaey sind angeblich zwei Trolle, die versucht haben, ein Schiff an Land zu schleppen, aber von Sonnenstrahlen getroffen zu Stein erstarrten. In „Berdreymi“ sind es die ebenso archaischen wie märchenhaften Erscheinungen, die Addi den Weg weisen.
Nach der umjubelten Premiere im „Panorama“-Hauptkino Zoo Palast wird Regisseur Guðmundsson vom Publikum gefragt, ob er den selbst Erfahrungen mit dem Übersinnlichen habe. „Jeder von uns hat diese Erfahrungen, und jeder am Set hat von Erfahrungen nicht von dieser Welt berichten können. Das ist in Island allgegenwärtig.“ Und das gute Dutzend Cast & Crew, das sich mit ihm auf der Bühne versammelt hat, nickt, ohne zu schmunzeln. „Damit muss man eben rechnen, wenn man uns besucht!“ Und das meint der eigentlich eher lockere Filmemacher dann plötzlich ganz ernst.