Von Abwehrgefechten zu Dialogansätzen

Skandalfilme in der Katholischen Filmarbeit (I)

Veröffentlicht am
08. September 2022
Diskussion

Die Beschäftigung der katholischen Kirche mit dem Medium Film hat eine lange Tradition, die bis an die Anfänge der Filmgeschichte zurückreicht. Wie kaum einem anderen Bereich zeitgenössischer Kultur hat die Kirche dem Film ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Im Bewußtsein der Öffentlichkeit hat sich das Verhältnis von Kirche und Film vielfach anders eingeprägt: Die Kirche erscheint als strenge Zensurinstanz, die sich bei moralisch fragwürdigen oder unterstellt blasphemischen Filmen mit Forderungen nach dem Verbot der beanstandeten Werke zu Wort meldet.

Dieses Bild ist geprägt durch Ereignisse um "Skandalfilme", die in der Öffentlichkeit teilweise hohe Wellen geschlagen haben. Betrachtet man katholische Filmarbeit nur im Hinblick auf die Auseinandersetzungen um die "Skandalfilme", wird die Perspektive sicherlich verzerrt, denn die Zahl der als bemerkenswert, sehenswert empfohlenen Filme übersteigt die der "Skandalfilme" bei weitem. Dennoch ist es sinnvoll, sich der katholischen Filmarbeit gerade in exemplarischer Behandlung der umstrittenen Filme zu nähern: Die Filme, um die in der Öffentlichkeit heftigst gestritten wurde, haben auch die katholische Filmkritik herausgefordert. Es fanden ausgiebige Diskussionen statt, und der Standpunkt wurde so besonders klar herausgearbeitet, so daß sich an Hand dieser Fälle exemplarisch der jeweilige Stand in der katholischen Filmarbeit zuverlässig ablesen läßt.


Zielsetzung der Katholischen Filmarbeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Reorganisation der katholischen Filmarbeit, die durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten zerschlagen worden war. Als Schwerpunkt erwies sich die katholische Filmpublizistik, die kurz nach Kriegsende 1947 begründet wurde und bis heute ein Kernstück der filmkulturellen Bemühungen der Kirche geblieben ist. Das Flaggschiff der katholischen Filmarbeit wurde der "film-dienst". 1947 als "Filmdienst der Jugend" gegründet, wurde er 1949 das offizielle Organ der in jenem Jahr gegründeten Katholischen Filmkommission für Deutschland.

Der Chefredakteur Klaus Brüne formuliert in der ersten Ausgabe des "Filmdienstes der Jugend" (Lfg. 1/1947) das Programm der neuen Filmpublikation, die sozusagen aus dem Geist des Widerstandes gegen "schlechte" Filme geboren wird, deren potentielle Gefahren durch die Beispiele der Nazi-Propagandafilme den Mitarbeitern der neuen Publikation vertraut waren. Adressat der Filmbesprechungen sind "die Jugendseelsorger, die Lehrer, die Jugendführer und nicht zuletzt die Eltern".

Auch wenn das filmerzieherische Programm stark von einer Führung der Jugendlichen ausgeht, ist das Ziel doch die kritische Urteilsfähigkeit. Die Auseinandersetzung mit schlechten Filmen ist nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn sie nur im Sinne einer engen Verzweckung, instrumentalisiert als abschreckendes Gegenbeispiel, eingeordnet werden. Besonderer Wert wird auf die Ausbildung einer sachgerechten Besprechungsmethode gelegt, die die besonderen formalen Möglichkeiten des Films berücksichtigt: "Ihr Ausgangspunkt dürfte keine enge Moralschnüffelei, sondern eine ganzheitliche Schau des Films sein." (ebd.)


Moral als höchste Norm

Durchweg ist die Sicht des Films als einer besonders einflußreichen, aber potentiell gefährlichen Größe vorherrschend und folgt Leitlinien, die Pius XI. in seiner Filmenzyklika "Vigilanti cura" von 1936 aufgestellt hat. Diesem Schreiben, das als "Grundgesetz katholischer Filmarbeit" (Wilhelm Bettecken) angesehen wird, hat man zu Recht einen hohen Stellenwert zugesprochen. Schon diese Enzyklika steht im Kontext kirchlicher Bemühungen zur Abwehr der gefährlichen Filme. Kein einzelner Skandalfilm ist Anlaß für die "wachsame Sorge" (so der Titel der Enzykika) von Pius XI., sondern die generelle Häufung der "Darstellung von Sünden und Lastern" im Filmschaffen der damaligen Zeit (zitiert nach: "Dokumente katholischer Filmarbeit", hrsg. von der Kath. Filmkommission, Düsseldorf 1956, S. 29-38, hier: S. 29). Die positiven Möglichkeiten des Films werden durchaus anerkannt, der Film wird im Bereich der Kunst angesiedelt, was keineswegs selbstverständlich ist, aber gerade deshalb wird als höchste Norm die Moral aufgestellt: "Es hat eben die Kunst diese wesentliche Aufgabe, die schon aus ihrem eigenen Daseinsgrund hervorgeht, daß sie nämlich eine Vervollkommnung des Menschen, der ein moralisches Wesen ist, darstellt, und daß sie infolgedessen selber moralisch sein muß." (S.30)

Dem "guten Film", der positive Ziele verfolgt - Unterhaltung, Vermittlung von Kenntnissen, Förderung des Verständnisses unter den Nationen, Verteidigung der Tugend und der sozialen Gerechtigkeit - steht der böse, unmoralische Film gegenüber, der "Gelegenheit zur Sünde" (S. 33) bietet. Daraus erwächst der konkrete praktische Vorschlag des Papstes, dem Beispiel der amerikanischen "Legion of Decency"' zu folgen, eine Organisation, zu der sich 1933 Katholiken in den USA zusammenschlossen, um Einfluß auf die Filmindustrie Hollywoods zu nehmen.

Zur Vermeidung von Zensurmaßnahmen in einzelnen Staaten hatte man in den USA bereits das "Hays Office", benannt nach dem ersten Leiter, dem ehemaligen Postminister William Hays, gegründet. Unter Mitwirkung des Jesuiten Daniel S. Lord war ein Regelkatalog aufgestellt worden, der den Produzenten angab, welche Themen und Motive zu vermeiden seien. Die Gründung der "Legion" diente unter anderem der Durchsetzung dieses "Production Code". Der Vorschlag des Papstes, in jedem Land ein "permanentes nationales Revisionsbüro" (S. 37) einzurichten, wird in der Arbeit des "film-dienstes" bzw. der Katholischen Filmkommission realisiert.


Skandal um die "Sünderin"

In der Kinogeschichte hat "Die Sünderin" ihren unbestreitbaren Platz als der bis heute bekannteste und größte Leinwandskandal der frühen Nachkriegszeit. Bei heutigen Wiederaufführungen des Films wird der Skandal meist auf die prüde Haltung der Adenauer-Ära als Skandal um die nackte Hildegard Knef verkürzt dargestellt. Die Sachlage war weitaus komplizierter und ist einer eingehenderen Betrachtung wert.

Zum Stand der katholischen Filmkritik im Jahr der "Sünderin" ist zu vermerken, daß bereits vor dem Skandal eine wichtige Neuakzentuierung vorgenommen worden war. Mit seiner 1 000. Besprechung hatte der "Filmdienst" in Lfg. l, 1951 eine Neuerung eingeführt: Es erfolgte eine formale Trennung zwischen der Meiung des Kritikers und der moralischen Bewertung durch die Katholische Filmkommission, die als fettgedruckter Vermerk am Ende der Rezension erschien. Dazu wurde erläutert: "Im Unterschied zu der formalen Würdigung des signierten Rezensenten, der nur seine persönlichen, individuellen, also irgendwie relativen Gesichtspunkte nennt, stellt die moralische Bewertung bekanntlich das offizielle Urteil der Katholischen Filmkommission für Deutschland heraus, die streng nach den Grundsätzen der christlichen Ethik entscheidet."

"Die Sünderin" war nicht von vornherein auf Konfrontationskurs mit den Kirchen. Der Regisseur des Films, der Österreicher Willi Forst, hatte bereits in einem frühen Stadium die kirchlichen Stellen von sich aus eingeschaltet. Im Sommer 1950 lag das Drehbuch dem Bundestagsausschuß für Ausfallbürgschaften vor, der eine Bürgschaft in Höhe von 285 250 DM gewährte. Fast zeitgleich hatte Forst das Drehbuch auch den kirchlichen Filmbeauftragten zur Kenntnis gegeben mit der Bitte um "Unterstützung bei der Formulierung religiöser Dialoge". In der Drehbuchfassung hatte der Film noch einen biblischen Bezugsrahmen, der die Hauptfigur Marina in direkte Parallele zu Maria Magdalena setzte, die in einem Gutachten der Filmkommission auf Grund ihrer Deutung als Rechtfertigung der Taten Marinas als blasphemisch eingestuft wurde (vgl. Klaus Brüne: "Die Sünderin. Zwölf Monate später". Eine zusammenfassende Untersuchung der Katholischen Filmkommission für Deutschland, Düsseldorf 1952).


Streit um die Freiwillige Selbstkontrolle Film (FSK)

Gleichrangig neben die inhaltliche Auseinandersetzung trat die filmpolitische Auseinandersetzung um die Strukturfrage der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Die Kritik der Kirchenbeauftragten richtete sich gegen eine Prüfpraxis, die die Freigabe eines Films ermöglichte, der gegen die grundgesetzlich geschützten sittlichen Werte der jungen Bundesrepublik Deutschland verstieß. Nachdem erstinstanzlich der Arbeitsausschuß der FSK den Film nicht ohne Schnittauflage für Jugendliche ab 18 Jahren freigeben wollte, erhielt der Film am 18. Januar 1951 dann doch die Freigabe für Jugendliche ab 18 Jahren durch den Hauptausschuß der FSK, und das wenige Stunden vor seiner offiziellen Premiere im "Turmpalast" in Frankfurt a. M. Die Kirchen kündigten daraufhin die Zusammenarbeit in der FSK auf.

Die Haltung der katholischen Filmkritik, das heißt der professionellen kirchlichen Beobachter der Filmszene, war eindeutig ablehnend, wenn auch durchaus differenziert. Klaus Brüne: "Es soll nicht bestritten werden, daß Forst seinen Film stellenweise mit künstlerischen Mitteln zu Höhepunkten führt, die dem Sehenden eine schreckhafte Analyse des modernen Menschen ermöglichen", heißt es in der seiner Kritik zu "Die Sünderin". Daneben sind aber auch "platteste Entgleisungen (wie die Astloch-Szene)" sowie schwerwiegendere "psychologische Verkürzungen" festzustellen. Gefahren werden vor allem geortet in der "Romantisierung der Prostitution". Ein Haupteinwand richtet sich gegen den "hübsch ästhetisch fotografierten Doppelselbstmord", wobei die "barmherzige Tötung auf Verlangen als besonders verhängnisvoll" eingestuft wird. was angesichts der noch lebhaften Erinnerungen an die Euthanasie-Politik im Dritten Reich einen ganz konkreten Hintergrund erhält. Zusammenfassend lautet das Fazit des Kommissionsgutachtens: "Der Film ist deshalb entschieden abzulehnen. (4)"


Mahnworte und Stinkbomben

Die Bischöfe setzten weniger auf inhaltliche Argumentation, sondern auf mahnende Appelle an die Öffentlichkeit. In Köln ließ Kardinal Frings am 4. März 1951 ein Mahnwort von den Kanzeln verlesen (in: film-dienst, Lfg. 10/ 1951), das eine aus heutiger Sicht extrem einengende Position vertrat, die es selbst verbietet, sich kritisch mit dem Film auseinanderzusetzen. Dies hatte Auswirkungen und spiegelt exemplarisch eine Haltung, die auch heute noch in Reaktionen kirchlicher Gruppen auf Skandalfilme zu verzeichnen ist. Die Angst, durch einen Film einer Art Gehirnwäsche unterzogen zu werden, spricht noch aus den Protesten zum letzten großen Skandalfilm "Die letzte Versuchung Christi".

Zur Verdeutlichung der Haltung, die die katholische Hierarchie vertrat, ist der Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zur Filmfrage aufschlußreich, der erst nach dem Skandalfall veröffentlicht wurde, aber durch die Erfahrungen auch mit diesem Film geprägt ist (zit. nach: "Dokumente katholischer Filmarbeit", a.a.O., S. 53-57). Anlaß für den Hirtenbrief sind die problematischen Filme, die als Sabotage an der Aulbauarbeit verstanden wurden: "Während in allen Teilen unserer Heimat verantwortungsbewußte Männer und Frauen ihre ganz Kraft für den materiellen und seelischen Wiederaufbau einsetzten, liefen in zahlreichen deutschen Kinos Filme, die dem gesunden menschlichen Empfinden, den Forderungen der natürlichen Sittlichkeit und den Grundstätzen des christlichen Gewissens widersprachen." (S. 54) Die Unsicherheit in bezug auf die sittliche Festigkeit der Menschen hat für die Bischöfe einen ganz konkreten Hintergrund: die Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit: "Wie verheerend die Mißachtung der Frauenwürde, die Verherrlichung der freien Liebe und des Ehebruchs sich gerade in der Verwirrung der Nachkriegsjahre ausgewirkt haben, ist uns allen offenbar." (S. 54)

Hierarchie wie Basis waren sich in der Ablehnung von "Die Sünderin" einig. An vielen Orten gab es spontane Aktionen: Protestmärsche, Schweigemärsche, Bußwallfahrten bis zu gewaltsamen Aktionen vom Zerschlagen von Schaukästen bis zu Niespulver und Stinkbomben im Kino. Im Umfeld dieser Aktionen waren die in Düsseldorf gestarteten Aktionen des Pfarrers Carl Klinkhammer die bekanntesten. Klinkhammer arbeitete in enger Zusammenarbeit mit dem CDU-Oberbürgermeister Gockeln, der - wie Klinkhammer in einem Fernsehinterview (in der Reihe "Rückblende", WDR 1986) bekannte - sogar die Anregung zu den organisierten Protesten gab.

Die organisierten Protestaktionen aus allen Teilen der katholischen Bevölkerung hatten Symptome eines Kulturkampfes: "Zum erstenmal seit dem Kampf um die Konfessionsschule gab es eine geschlossene katholische Meinung im kulturpolitischen Raum." (Brüne, a.a.O., o.S.) Der Skandal um "Die Sünderin" hatte konkrete Folgen. Für das Rechtssystem war bedeutsam, daß die Polizeizensur abgeschafft wurde, für die filmpolitischen Ziele der Kirchen war ein Erfolg, daß die FSK im Sinne der Kirchen reformiert wurde, so daß ein Gleichgewicht zwischen den Vertretern der Filmwirtschaft und denen der Öffentlichen Hand hergestellt wurde, und die erfolgreiche Mobilisierung der Basis führte zur Gründung der Katholischen Filmliga, die schon die päpstliche Enzyklika empfohlen hatte, deren Mitglieder sich durch ein freiwilliges Versprechen verpflichteten, schlechte Filme zu meiden und gute durch ihren Besuch zu fördern.


Streit um religiöse Filme

Die in einigen Fällen deutlich ablehnende Haltung gegenüber Filmen mit religiösen Inhalten hatte zum Teil weiterreichende Konsequenzen als die Proteste gegen Filme wie "Die Sünderin". Zwei Fälle sind hier für die 1950er-Jahre vor allem zu nennen, beides italienische Produktionen. Der Film "Antonius von Padua" hatte in der Originalfassung der Kirchlichen Hauptstelle für Bild- und Filmarbeit vorgelegen und eine allgemeine Empfehlung bekommen. Der in der Verleihfassung vorgelegte Film erhielt von der Filmkommission auf Grund seiner oberflächlichen Machart und der mangelhaften österreichischen Synchronisation nur die Note "2J". Der Inhaber des Diamant-Filmverleihs strengte wegen vermeintlicher Geschäftsschädigung eine Klage gegen den Erzbischof von München, Kardinal Wendel, an, die aber keinen Erfolg hatte.

Die Produktion "Der Sohn Gottes" ("Il figlio dell'uomo") war eine kirchliche Produktion. Produzent war die Sanpaolo-Filmgesellschaft, die Produktionsgesellschaft der Pia Società San Paolo in Rom. In Italien war der Film für alle Altersstufen und speziell für Pfarrkinos empfohlen worden. Der Sekretär der Päpstlichen Kommission für Film, Funk und Fernsehen hatte sich persönlich an Direktor Anton Kochs gewandt, der daraufhin die deutsche Synchronisation betreute. Die Filmkommission kam bei ihrer Sichtung zu dem Ergebnis, der Film sei auf Grund der oberflächlichen Machart, der Klischeehaftigkeit und Abweichungen von der Bibel mit "3 = Abzuraten" einzustufen. Der Überprüfungsausschuß, dessen Einberufung der Verleih beantragt hatte, kam zu demselben Ergebnis. Auf Grund eines Einspruchs des Verleihs beim damaligen "Filmbischof" Dr. Carl-Joseph Leiprecht, Rottenburg, wurde erstmals ein letztinstanzlicher Oberausschuß, besetzt mit vier Geistlichen und drei Laien, einberufen, der im Jull1957 abermals das Urteil bestätigte.

Gerade an diesen und ähnlichen Fällen zeigte sich, daß die strikte Trennung von formaler Beurteilung und sittlich-moralischer Bewertung problematisch ist, wie sie noch zu Beginn der 1950er-Jahre gegolten hatte. Eine Diskussion wird spätestens seit Mitte der 1950er-Jahre zunehmend spürbar. In film-dienst, Lfg. 21, 26. Mai 1955 läuft unter dem Kürzel "A.", hinter dem sich der Beauftragte des Bundes bei der FSK, Theo Fürstenau, verbarg, ein Leitartikel zum Begriff des sittlichen Urteils. Darin heißt es: "Ein Film also, der die Wirklichkeit des Lebens mißachtet, kann trotz unablässiger ethischer Reden, trotz einer formellen Unanfechtbarkeit der Handlung nicht im Tiefsten sittlich sein. Denn das Sittliche ist kein bloßes Abstraktum, es steht in enger Beziehung zum Leben, das es ja sinnvoll ordnen soll, und wer das Leben verfehlt, muß notwendig auch die ordnende Kraft des Lebens verfehlen. Daher ist es selbstverständlich, daß sich das sittliche Urteil nicht vom Problem der Gestaltung trennen läßt."


Kritik an "katholische Zensur"

In religiös relevanten Filmen der 1960er-Jahre wird zunehmend religions- und kirchenkritische Haltung erkennbar (Ingmar Bergmans Trilogie "Wie in einem Spiegel", 1960, "Licht im Winter", 1961, und "Das Schweigen", 1963, Luis Bunuels "Viridiana", 1961, und "Die Milchstraße", 1969, Pier Paolo Pasolinis "La Ricotta", 1962, und "Teorema", 1968). Im Zeichen des Kalten Krieges stellten Filme aus Ostblockländern ein besonderes Problem dar. Es gab einen Interministeriellen Ausschuß, der Filme prüfte und ggf. ein Einfuhrverbot aussprechen konnte. Der bekannteste Fall ist "Mutter Johanna von den Engeln" von Jerzy Kawalerowicz, der als atheistische Propaganda gedeutet wurde (vgl. fd 22/1964, S. 1-3).

Die Kirchen gerieten in das Kreuzfeuer der Kritik, weil man ihnen Zensurbestrebungen vorwarf. Kontakte der Kirchenvertreter zu Verleihern, die bestrebt waren, Filme in einer Fassung zu präsentieren, die nicht mit Kritik von seiten der Kirche zu rechnen hatte, führten zu Sichtungen und Einflußnahmen auf Schnitt und Synchronisation. Die linksliberale Filmkritik, die sich um die einflußreiche Zeitschrift "Filmkritik" gesammelt hatte, beschwor die Gefahr, man stehe "unmittelbar vor der Etablierung einer katholischen Filmzensur". (Wolf Götz. in: "Filmkritik", 1/1962,S. 1)


Der Schock von "Das Schweigen"

Für die 1960er-Jahre ist das herausragende Beispiel eines Skandalfilms Ingmar Bergmans "Das Schweigen". Wie bei keinem anderen Film schlugen hier die Wellen der Empörung hoch. Dennoch ist dieser Film aus der Sicht katholischer Filmkritik völlig anders zu bewerten als der Fall von "Die Sünderin", weil in diesem Fall die Fronten anders verliefen. Die Beurteilung des Films durch die Experten in verschiedenen Gremien schien zunächst fast problemlos. Zwar erkannte man die Schwierigkeiten, würdigte aber den künstlerischen Rang. Die FSK gab den Film für Jugendliche ab 18 Jahren am 10. 12. 1963 frei. An der Entscheidung hatte der Beauftrage der evangelischen Kirche mitgewirkt, da zur damaligen Zeit immer nur ein Kirchenvertreter im Wechsel tätig war.

Am 23. Dezember 1963 sichteten zehn Mitglieder der Katholischen Filmkommission den Film in Düsseldorf. Das Ergebnis der Diskussion ergab die Einstufung auf 2EE = Für Erwachsene mit erheblichen Einwänden. Die Wertung findet ihren Niederschlag in der ausführlichen filmdienst-Kriti von Franz Everschor, die nicht mehr allein nach der moralisch-sittlichen Bewertung der gezeigten Handlungen fragt, sondern die Gesamtdeutung auch in der Form sucht, zu deren Interpretation das Gesamtwerk des Regisseurs herangezogen wird. Sie kommt zusammenfassend zu dem Schluß, der Film könne eine "heilsame Konfrontierung mit Dingen, die unserer Welt, die uns selbst immanent sind", sein. Während Everschor unterstellt, der Film könne seine Botschaft gerade auch jenen Zuschauern vermitteln, die aus Sensationsgier gekommen sind, schränkt das Kommissionsgutachten deutlicher ein: "Der Film eignet sich ... ausschließlich für reife Erwachsene."


Amtskirche gegen Filmkommission

Die einheitliche Front von Amtskirche, Katholischer Filmkommission und Basis gab es bei "Das Schweigen" nicht mehr. Die Fronten verliefen hier auch innerhalb der Kirche und sogar innerhalb der Filmkommission. Schwierigkeiten zeichneten sich ab in einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Filmkommission und ihrem Vorsitzenden. Direktor Anton Kochs eröffnete nach eigener Sichtung ein Überprüfungsverfahren, das am 2. Februar 1964 mit 23 stimmberechtigten Mitgliedern und etwa 20 Gästen stattfand. Die erforderliche 2/3-Mehrheit für eine Änderung der Einstufung wurde nicht erreicht. Die auf Antrag von Kochs einberufene dritte Instanz, der Oberausschuß der Katholischen Filmkommission, besetzt mit sieben Vertretern der Pastoral, speziell Moraltheologen, brachte die nochmalige Bestätigung der Einstufung 2EE.

Dass die Filmkommission ihre Einstufung des Films in allen drei Instanzen bestätigen konnte, beweist ihre Souveränität nicht nur gegenüber dem eigenen Vorsitzenden, sondern auch gegenüber deutlichen Stimmen aus der Amtskirche. So hatte etwa das Generalvikariat Köln eindringlich vor dem Besuch gewarnt und erklärt, auf den Film seien die üblichen Noten nicht anwendbar. Ein Skandalfilm erhielt von der Filmkommission kein "Abzuraten". Allerdings wurde in den Kommentierungen die Kommissionsentscheidung doch noch auf ein "Abzuraten" hin verschoben. Im Leitartikel des "film-dienstes" Nr. 8/1964 wird die Bedeutung der Wertungsnote 2EE erläutert und mit einer deutlichen Warnung verbunden: "2EE-Filme fordern nach Ansicht der Katholischen Filmkommission erheblichen Widerspruch heraus; sie verlangen vom Zuschauer eine Urteilsreife, die das Durchschnittspublikum im allgemeinen vermissen läßt (...)."

Noch deutlicher wird der Oberausschuß in seiner veröffentlichten Stellungnahme, die die religiös-theologische Interpretation als nicht zwingend einstuft und die Warnung verschärft, daß der Film ein Trauma auslösen könne, durch die seelische Belastung eine gesunde Einstellung zu geschlechtlicher Partnerschaft und Ehe gefährden könne (vgl. film-dienst, 10/1964, S. If.).

Von den potentiellen positiven Wirkungen des Films, die noch der Kritiker Everschor festgestellt hat, ist zunehmend weniger die Rede. Dennoch zeigt die Debatte um den Film, daß die katholische Filmkritik differenziert mit den inhaltlichen wie formalen Aspekten umzugehen versteht. Daß der Film nicht formell als "abzuraten" eingestuft wurde, ist auf die Einschätzung des künstlerischen Wertes zurückzuführen, aber auch sicherlich mitbeeinflußt durch die strategische Überlegung, daß eine totale Ablehnung auch eine publizistisch werbewirksame Vermarktung einschloß.


Umstrittene Wertung

Die professionelle katholische Filmkritik stand nicht nur unter innerkirchlicher Kritik, sondern vertrat eine Position, die auch in der säkularen Presse auf das Heftigste umstritten war. So zeigte sich Günther Engels entsetzt über "das Versagen kirchlicher Kultur-Experten" ("Kölnische Rundschau", 29. 2. 1964): "Der katholische ,film-dienst', der gemeinhin pingelig mit der Lupe nach Unziemlichkeiten äugt, gerät in eine metaphysische Verzückung, zu der kein Wort, kein Bild und kein Sinnbild in dem Film ernsthaft Anlaß geben."

Neben der öffentlichen Debatte unter Kritikern und Kirchen Vertretern gab es auch spontane Aktionen gegen den Film. Gegen den Atlas-Filmverleih wurden mehrere Klagen angestrengt, die aber keinen Erfolg hatten. Eine Reaktion auf die Vorwürfe führte dazu, daß Atlas dem Film einen Rolltitel voranstellte, der die theologischen Bezüge der Trilogie erläuterte.

Bei der Auseinandersetzung um Ingmar Bergmans "Das Schweigen" zeigt sich bereits, daß die katholische Filmkritik ein differenziertes Instrumentarium zur Beschreibung komplexer Filme gewonnen hat. Die Beharrlichkeit, mit der die Katholische Filmkommission trotz erheblicher Diskussionen bei der Einstufung 2EE blieb, beweist ihre Unabhängigkeit gegenüber der Hierarchie.

Ohne öffentliche Aktionen wie bei "Das Schweigen", aber nicht weniger bedeutsam für die Entwicklung katholischer Filmarbeit verlief die Debatte um Pier Paolo Pasolinis Film "Teorema". Der Skandal entzündete sich an der Auszeichnung des Films mit dem Preis der OCIC-Jury auf den 29. Internationalen Filmfestspielen in Venedig, Anfang September 1968. Der damalige Vorsitzende der OCIC, Monsignore Jean Bernard, hatte eine Erklärung vorbereitet, in der er sein Bedauern über die Entscheidung der OCIC-Jury zum Ausdruck brachte und erklärte, "daß der Film in seiner Handlung sich auf Bahnen bewegt, die zur christlichen Lehre und Moral in Widerspruch stehen, und daß die Aussage in gefährlicher Weise unklar bleibt". (in: "Communicatio Socialis", 1. Jg. 1969, S. 43f.) Die Wirkung des Films wurde im wesentlichen an den sexuellen Motiven festgemacht, die gerade wegen der ästhetischen Komplexität als besonders problematisch erscheinen: "Im übrigen wird die schwierige Sprache des Autors dem normalen Filmbesucher unverständlich bleiben, so daß die Gefahr besteht, bei der verwirrenden Erotik einiger Szenen stehen zu bleiben, die die Gefühle eines christlichen Publikums aufs gröbste verletzen."

Die Debatte um "Teorema" führte zu einer harschen Kritik des Vatikans an der OCIC, die zeitweise von der Auflösung bedroht war. In Deutschland schlug der Film in der Öffentlichkeit keine hohen Wellen, aber er markiert für die katholische Filmkritik einen entscheidenden Wendepunkt. Der damals verantwortliche Redakteur des "film-dienstes ", Alfred Paffenholz, wies darauf hin, daß die Pasolini-Auszeichnung in der katholischen Filmarbeit in Deutschland direkt in eine Phase der neu entfachten Diskussion um eine Änderung der Filmbewertungspraxis fiel (vgl. "Katholische Filmbewertung in der Diskussion", in: " Communicatio Socialis", 1. Jg. 1969, S. 5-12).

Auf einer Arbeitstagung der Katholischen Filmkommission in Köln (28./29. September 1968) wurde eine Erklärung verabschiedet, in der eine Änderung der Bewertungspraxis befürwortet wurde. Diese sollte "noch stärker als bisher den erwachsenen Zuschauer zum Dialogpartner machen, ihn zur Auseinandersetzung mit dem Film ermuntern und zur eigenen Urteilsbildung anleiten. Damit möchte die Katholische Filmkommission für Deutschland dem Auftrag der Kirche, das Gespräch mit der Welt zu führen, wie es das zweite Vatikanische Konzil beschrieben hat, gerecht werden". (S. 6)

Paffenholz benennt in seinem Beitrag folgende Gründe für eine Kurskorrektur (S. 7ff.): ein differenziertere Erzählweise und Bildsprache moderner Filme, Würdigung der Offenheit, Fragmentarität als ein der Zeit angemessener künstlerischer Ausdruck der Wirklichkeit, Wertung des Trends zu Enttabuisierung als ein "großes, legitimes Thema des modernen Films, die irritierte, rat- und rastlose Menschheit darzustellen und zur Besinnung anzuregen" (S. 8). Die Debatte um formale und moralisch-sittliche Bewertung ist für Paffenholz eindeutig entschieden: "Doch beim künstlerischen Film sind die formalen Elemente genauso wertbestimmend wie die thematischen. (...) Das schließt eine religiössittliche Bewertung zwar nicht aus, weist ihr aber für die endgültige Beurteilung eines Films einen anderen, keinesfalls dominierenden Stellenwert zu." (S. 8) Paffenholz hatte den "film-dienst" als Verantwortlicher Redakteur bereits verlassen, als er seine Überlegungen zur Bewertungspraxis zusammenfaßte, aber die Entwicklung ging in die von ihm angedeutete Richtung, mit der Konsequenz, daß die Notenbewertung mit der "film-dienst"-Nr. 41/42, 1969 wegfiel.


Hinweis

Teil II

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