© IMAGO / ZUMA Wire (Foto einer Aktion von Klimaaktivisten am 14.10. in der National Gallery in London)

Kinomuseum-Blog (8): Die Vandalen, die keine sind

Veröffentlicht am
01. Dezember 2022
Diskussion

Klimaaktivisten haben in den letzten Wochen in diversen europäischen Museen mit umstrittenen Aktionen auf sich und ihre Anliegen aufmerksam gemacht; in den Niederlanden wurden junge Klimaaktivisten dafür kürzlich zu Gefängnisstrafen verurteilt. Warum sich die Kulturszene jetzt zu den umstrittenen Protesten positionieren muss.


Seit einigen Wochen beschäftigt eine neuartige Protestwelle die Medien. Junge Klimaschützer bewarfen weltbekannte Gemälde in Museumsbesitz mit Tomatensoße oder Kartoffelsuppe, andere klebten sich selbst an Händen oder Haaren an den Rahmen fest. Sprecher der betroffenen Museen verurteilten die Attacken scharf, auch wenn sie die Anliegen der Protestierenden selbst nicht in Frage stellten. Die gravierendste Reaktion erhielten zwei Aktionisten vergangene Woche vor einem Schnellgericht in Den Haag. Die Richterin verurteilte die jungen Männer, von denen sich einer am 27. Oktober mit dem rasierten Kopf am Rahmen von Vermeers im Museum Mauritshuis ausgestelltem Gemälde „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ festgeklebt hatte, während der andere die Aktion filmte, zu jeweils zwei Monaten Gefängnis, von denen ein Monat zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein dritter Mann, der weder den Rahmen noch das Gemälde berührt hatte, aber Farbe auf seinen Mitstreiter gegossen hatte, wurde in einem zweiten Verfahren zum selben Strafmaß verurteilt. Sein Verteidiger kündigte Berufung an.


Vandalismus-Vorwürfe

All diesen Aktionen ist gemeinsam, dass Vandalismus nur suggeriert wurde, aber Beschädigungen an den Kunstwerken selbst ausblieben. Gleichwohl regte sich in der Öffentlichkeit am ungewöhnlich harten Urteil kaum Kritik. Wie kann es sein, dass ein schadloser Angriff, der die Verwüstung lediglich suggeriert, mit einer Gefängnisstrafe belegt wird – als sei der Vandalismus tatsächlich vollendet worden? Bereits am nächsten Tag hing das Gemälde wieder in der Sammlung, lediglich der Rahmen soll leicht beschädigt worden sein. Und: ist das überhaupt von Interesse für ein Onlineportal, das sich primär mit Filmkultur beschäftigt?

Ich glaube schon, nicht nur weil das Vermeer-Gemälde durch den gleichnamigen Film mit Scarlett Johansson besonders populär geworden ist. In der Geschichte tatsächlicher Fälle von Vandalismus an Werken moderner Kunst steht auch Buñuels Avantgardefilmklassiker „L’Age d’Or“ von 1930 an zentraler Stelle – seinerzeit wurde das Premierenkino mit einer Ausstellung surrealistischer Kunstwerke durch Rechtsradikale verwüstet; erst Anfang des Jahres wurde ein zerstört geglaubtes Gemälde, Yves Tanguys „Fraud in the Garden“ wiederentdeckt. Dass auch ein humanistisch intendierter Aktivismus zu echtem Vandalismus führen kann, weiß man spätestens seit 1914: Damals zerhackte die militante Suffragette Mary Richardson in Londons National Gallery Velazquez’ „Venus vor dem Spiegel“ mit einem Fleischerbeil.

Jede Kunstform ist stets vom Verlust ihres Erbes bedroht, was mutwillige Attacken umso verstörender macht. In besonders dramatischer Weise gilt dies für das Filmerbe – wobei es gerade die nicht ikonischen, in ihrer möglichen Bedeutung noch unentdeckten Werke sind, die besonders gefährdet sind. Hier sind es freilich weniger Aktivisten als die Archive selbst, die mutwillig für Kahlschlag sorgen. Immer wieder erreichen Meldungen von vernichteten Nitrat-Originalen aus dem deutschen Bundesarchiv die Öffentlichkeit.


Straftat – oder Aktionskunst?

Auch für mich waren die Bilder der Tomatensuppen-Attacke auf Van Goghs Gemälde „Fünfzehn Sonnenblumen“ vom 14. Oktober in der Londoner National Gallery schockierend. Es erschien mir anmaßend, ein Werk der Kunstgeschichte selbst für ehrbare Zwecke zu instrumentalisieren. Allerdings blieben die Berichte in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF auch Hintergrundinformationen über Gruppen wie „Letzte Generation“ oder „Just Stop Oil“ schuldig. Erst das harte Urteil, welches das Gericht in Den Haag gegen offenbar nicht vorbestrafte junge Menschen fällte, ließ mich nach einem differenzierteren Bild der Ereignisse suchen.

Wofür wurden diese Menschen verurteilt? Was wirft man ihnen vor? Alle Pressemeldungen über das Urteil in Den Haag gehen auf eine Veröffentlichung der zuständigen Staatsanwaltschaft zurück. Auch dort wird jedoch nicht genannt, nach welchem Paragraphen die Angeklagten verurteilt wurden. Sollte es sich um Sachbeschädigung handeln, kann nur der marginale Schaden am Rahmen aus dem 19. Jahrhundert gemeint sein, der mit Klebstoff in Berührung kam, aber schon am nächsten Tag gesäubert war.

Allerdings räumt auch die Staatsanwaltschaft ein, dass einer der Angeklagten erst festgestellt habe, dass das Gemälde mit Glas geschützt war, bevor er seine Mitstreiter hinzugeholt habe. Ihre Motive erklärte einer der Aktivisten, bevor er seinem Partner rote Farbe über den Kopf schüttete: „Wie fühlen Sie sich, wenn sie etwas Schönes und Unersetzliches vor Ihren Augen zerstört sehen? Wo sind Ihre Gefühle, wenn der Planet zerstört wird?“


Tradition der suggerierten Zerstörung

Offensichtlich ist diese Aktion, die lediglich eine symbolhafte Darstellung an die Stelle einer tatsächlichen Handlung setzt, der Performancekunst näher als dem Vandalismus. Vielleicht keine besonders feinsinnige Aktionskunst, aber eben gerade nicht eine zerstörerische Aktion. Es gibt eine lange Tradition künstlerischer Aktionen, die Zerstörung suggerieren und dadurch eine Erschütterung beim Zuschauenden anstreben; Peter Handke beschimpfte das Publikum, Marina Abramovic fügte sich vor Publikum Brandwunden zu, und der Komponist Pierre Boulez wünschte sich den Abriss aller Opernhäuser. Mir ist nicht bekannt, ob diese Aktivisten nun ein künstlerisches Selbstverständnis ähnlich dem deutschen „Zentrum für politische Schönheit“ besitzen oder sich rein politisch verstehen. Was sie – wie ihre Mitstreiter in ähnlichen Aktionen anstreben – ist einfach zu erklären: Das Kunstschöne dient ihnen als Metapher für das Naturschöne. Und letzteres wiederum als Platzhalter für die Gesamtheit des vom Klimawandel bedrohten Lebens.

Fraglos gibt es subtilere Ausdrucksformen des Protestes, aber verdienen sie vom Gericht in einer geradezu demonstrativen Weise, nur wenige Tage nach ihrer Tat ohne die Möglichkeit eines eigenen Gutachtens abgeurteilt zu werden? In der offiziellen Veröffentlichung wird der Staatsanwalt zitiert: „Stellen Sie sich vor, das Glas wäre zerbrochen oder wenn Besucher rund um die zerbrechliche Leinwand in Panik geraten wären?“ Es handelte sich – wie bei allen der ausgewählten Kunstwerke – um Panzerglas; offensichtlich spielten Fakten bei diesem Schnellverfahren keine Rolle. Wie wichtig konservatorische Aspekte für diese Aktivisten sind, wurde bei einer Aktion am 30. Juli im Museo del Novecento in Milan deutlich: Bevor sich dort vier Aktivist:innen am Sockel von Umberto Boccionis Skulptur „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ anklebten, holten sie konservatorischen Rat ein.

Sollten wir nicht einfach diese Aktionen entkriminalisieren? Die Kulturinstitute haben bislang eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Protestierenden vermieden. Wie existentiell wird die Bedrohung durch den Klimawandel gerade von einer Jugend erlebt, die sich auf ihr Leben im Angesicht irreversibler Naturzerstörung einstellen muss? Diese Aktionen, so plakativ und kunstfeindlich sie auf den ersten Blick erscheinen, gehören in eine lange Geschichte des gewaltfreien Protestes. Da in ihnen Kunst und Natur gleichgesetzt werden, spricht ohnehin einiges ganz im Gegenteil für eine kunstaffine Lesart. Wer weiß, wie sich die Künstler selbst angesichts der Klimakatastrophe verhielten? Van Gogh kämpfte vermutlich in vorderster Front.


Hinweis

Die Beiträge des Kracauer-Blogs „Kinomuseum“ von Daniel Kothenschulte und viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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