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Okay, Boomer - Kurdwin Ayub & ihre Filme

Über die Filme von Kurdwin Ayub

Veröffentlicht am
29. März 2023
Diskussion

Mit ihrem Film „Sonne“ (Kinostart: 1.12.) über drei Wiener Teenagerinnen und ein im Hijab aufgenommenes Musikvideo hat die Filmemacherin Kurdwin Ayab ein Markenzeichen als reizvolle neue Stimme im österreichischen Kino gesetzt. Aufregende Arbeiten hat die 1990 im Irak geborene Regisseurin allerdings schon seit rund zehn Jahren gedreht, seien es Kurzfilme oder ihre sehr persönliche Familien-Spurensuche „Paradies! Paradies!“. Vertrautheit mit den Bedingungen von Internet und Social Media bilden dabei das Fundament für ihre Erforschungen von Identitätsfragen. Ein Porträt.


Eine junge Frau sitzt vor einem Laptop. Es muss ein Wohnzimmer sein, in dem sie sich befindet. Hinter ihr sind ein Sofa zu sehen, eine Decke, Kissen mit Leopardenmuster, vielleicht eine Stehlampe. Die Jalousien sind geschlossen, sodass von außen kein Licht hineindringt in diese Sphäre des Privaten. Allein ist die Frau dort aber nicht, und das weiß sie auch. Selbstbewusst sieht sie in die Kamera, moderiert freudig die eigene Vorführung an: Einen Song werde sie gleich darbieten, sagt sie, der gerade zu ihrer Lebenssituation passe. Dem Ex-Freund sei er gewidmet.

Aufgeregt startet die Frau um die zwanzig mit einem Laptopklick den Song, fühlt sich bei den ersten Klavierakkorden, die noch ohne Stimme auskommen, ein bisschen ein in die erforderliche Emotion, ehe dann ihr Einsatz kommt. Sie bemüht sich sichtbar, die Töne zu treffen, den Text in der Intensität rüberzubringen, wie es Popstar Adele tut. Sie will es gut machen für ihr Publikum, für den Ex-Freund. Eine Taschentuchbox, die neben dem Laptop steht, ragt leicht ins Bild. Scheinbar unerwartet kommt dann der Refrain – und dieses Gefühl, diese Bedeutung, die zwischen den Liedzeilen steckt und sich im Singen der Sängerin offenbart, es zunehmend unmöglich macht. Die Augen werden glasig, der Blick schweift ab, die Stimme bricht, bis sie letztlich verstummt.

Never mind, I'll find someone like you /

I wish nothing but the best for you, too /

„Don't forget me“, I beg /

I remember you said /

„Sometimes it lasts in love, but sometimes it hurts instead.“


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Das Selbst produzieren

Diese besondere Cover-Version von „Someone Like You“ präsentiert Kurdwin Ayub in „Adele 1“ (2011), einem ihrer früheren Kurzfilme, in denen sie innerhalb reduzierter Settings selbst vor die Kamera tritt. Eine Schauspielerin ist sie nicht, vielmehr handelt es sich bei diesen Ayubs aus „Video 1“ (2014) oder „Katzenjammer“ (2011) um Spielarten der digitalen Selbstproduktion. Eine Vielzahl der Alter Egos präsentiert uns die 1990 im Irak geborene und in Österreich aufgewachsene Filmemacherin, wie sie aus Videoblogs oder den frühen Zeiten eines deprofessionellen Youtubes vertraut wirken, obgleich Ayub diese Formen zitiert, um sie ironisch zu kommentieren und vergrößern, indem sie sie auf die Leinwand oder ins Museum überspielt.

Sonne (© Neue Visionen)
Sonne (© Neue Visionen)

Amateurhaft sind diese kurzen Arbeiten im buchstäblichen Sinne, denn die Amateurin ist eine Liebhaberin. Im Presseheft zu „Sonne“ (2022), der nun in den deutschen Kinos anläuft, schreibt Ayub: „Ich bin Teil der ersten Social-Media-Generation. Mit uns begann alles. Man konnte alles sein, was man wollte.“ Dieser Moment wird in ihren Filmen spürbar, die sich auf verschiedenen Ebenen mit Fragen der Identifikation beschäftigen, die Deckungsgleichheit mit sich, aber auch der Vorstellung vom Selbst, das immer wieder neu entworfen werden will; mit gesellschaftlichen Vorbildern, die diese Entwürfe und Performances strukturieren, mit kulturellen Zuordnungen wie Zuschreibungen von außen, und mit der Familie als Ansatzpunkt, um sich und einer Genealogie auf die Schliche zu kommen.

Mithilfe ihrer Anordnungen untersucht Ayub, wie Bild und Identität verschaltet sind – im positiven wie auch im negativen Sinne. Beide Lesarten lässt sie zu, wenn in „sexy“ (2013) kaugummikauend Posen aus dem Musikvideo zu „We Can’t Stop“ von Miley Cyrus nachgestellt, ja fast schon trainiert werden in der schieren Ahnungslosigkeit, was denn als sexy anerkannt scheint, oder wenn in „Katzenhimmel“ (2012) ehrgeizig im Wohnzimmer ein Bewerbungsvideo für „Austria’s Next Topmodel“ gedreht wird, wo abseits der kritischen Augen eines Boyfriends zwischen dem weiblichen Körper und der Kamera etwas entsteht, das Selbstermächtigung genannt werden könnte.


Grenzgänge

Für „Sonne“ hat Ayub, die derzeit völlig zu Recht, aber eben doch auffallend überschwänglich als Hoffnung des österreichischen Kinos gefeiert wird („Die Newcomerin mit dem frechen Blick“, titelte der Standard), das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Dennoch setzt sie sich in gewisser Weise auch in diesem Spielfilm mit ins Bild, wenn sie explizit vom migrantischen Leben einer zweiten bis dritten Generation erzählt. Yesmin (Melina Benli) spricht sicherer Wiener Schmäh als das Kurdisch der Eltern. Mit ihren beiden weißen Freundinnen wird daheim im Hijab getwerkt und geslayt, fix ein Musikvideo gedreht. „Losing My Religion“ von R.E.M. muss dafür herhalten, denn das Leben ist nun mal größer und es fühlt sich noch größer an mit 16, 17 Jahren, die diese drei Teenager jung sind: „And you are not me“, singen sie inbrünstig gemeinsam, um doch andere zu sein, wie sie bald bemerken werden.

Katzenhimmel (© sixpackfilm)
Katzenhimmel (© sixpackfilm)

Das Video wird zum viralen Hit, das Band zwischen den Freundinnen auf die Probe gestellt. Mit Klischees spielt die Regisseurin in ihrem Film, dreht sie um und provoziert, gerade weil sie aus ihrer Perspektive voller Ironie, Haltung und Selbstbewusstsein die Frage diskutiert, wer sich eigentlich wie an Kultur bedienen kann – und diese Position hat eben viel zu lange gefehlt in einem Kino, das Ayub nun zu seinen Grenzen führt, an seine Grenzen bringt, um sich dort umzusehen und Ausblicke ins Digitale zu unternehmen, dessen kommunikative Codes sie bestens beherrscht. Laut, leise, widersprüchlich, poppig, darin jedoch gleichermaßen melancholisch und wunderbar ernsthaft findet bei Ayub eine Beschäftigung mit dem Internet und seinen Infrastrukturen statt, in denen Generation Y, Generation Z und auch die Alphas wie selbstverständlich unterwegs sind.

In der Zirkulation der Bilder, Körper, Apparate wird die Trennung zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktiven nicht obsolet, allerdings eben zunehmend unscharf. In „Sonne“ werden Personen vor der Kamera gezeigt, die Figuren spielen, aber eigentlich keine klassischen Ausbildungen dafür absolviert haben. Sie brauchen sie nicht mehr, haben sie teils doch ein völlig anderes Repertoire an Werkzeugen dabei, das sie sich aus dem Umgang mit dem Smartphone und Social Media eigens angeeignet haben. Kunststudentin Anthea, die Ayub in ihrem Kurzfilm „LOLOLOL“ (2020) gemeinsam mit Kamerafrau Caroline Bobek bei einem Rundgang an der Wiener Akademie der bildenden Künste dokumentarisch begleitete, taucht zum Beispiel auch in „Sonne“ auf. Hatten Zuschauende sie als kritische Sprachkünstlerin kennengelernt, die sich mithilfe der Kürzel des Lebensraums World Wide Web verständigt, spielt sie jetzt eine Klassenkameradin von Yesmin. „Ich mach’ dich zum Star“, sagt sie zu ihr und ist in dieser Szene diejenige, die wiedererkannt werden kann.


Bekannte und Verwandte

Viele solcher kleinen Verweise auf die vorherigen Filme von Ayub wie auch ihre Person selbst finden sich in „Sonne“. Ihre Eltern sind es, die in „Sonne“ Yesmins Eltern spielen. Über die Türkei sind sie zur Zeit des Golfkriegs von 1991 nach Österreich gekommen, arbeiten als Ärzt:innen in Wien. Auch sie waren bereits Personal in den dokumentarischen Miniaturen. In „Paradies! Paradies!“ (2016) reist Ayub mit Vater Omar nach Erbil. In der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets im Nordirak plant er eine Wohnung zu kaufen. Die Tochter versucht, die Sehnsucht des Vaters nachzuvollziehen, reagiert auf ihn und seine Reise durch ein Krisengebiet, das sich Erinnerung nennt.

Paradies! Paradies! - Mein Vater, die Kurden und ich (© sixpackfilm)
Paradies! Paradies! - Mein Vater, die Kurden und ich (© sixpackfilm)

Ein anderer Vater schwebt über Ayub als Figur, Ulrich Seidl nämlich, der „Sonne“ produziert hat und ihren nächsten geplanten Film, der in konzeptioneller Treue „Mond“ heißen soll, auch produziert hätte, wenn sich die Koproduktionsfirma angesichts der aktuellen Diskussionen um die Dreharbeiten von „Sparta“ (2022) nicht zurückgezogen hätte. Es ist ein ziemliches Problem, dass die Geschichten von Regisseurinnen oft anhand von Regisseuren als Meistern erzählt werden, bei denen sie ja gelernt hätten. Deswegen seien sie gute Filmemacherinnen, heißt es in mancher Argumentation: Nicht einfach, weil sie toll sind, sondern weil die tollen Männer gezeigt haben, wie es denn richtig geht. Im österreichischen Kontext ist das beispielsweise bei Jessica Hausner und Michael Haneke so (obwohl es gar nicht die starken Verbindungen gab, wie sie in filmwissenschaftlichen Texten hergestellt werden), und zurzeit lässt es sich erneut bei Ayub und Seidl bemerken, den sie auch selbst als Vaterfigur anmoderiert.

Ein Interesse an Skurrilität ist in gewisser Weise bei Ayub ebenso vorhanden wie bei Seidl, wenn ein animierter Penis singt und alles zu verschlingen droht („Die Intrige und die Archenmuschel“, 2010). Zugleich aber, und das ist der bemerkenswerte Unterschied, reflektiert Ayub ihren Blick, ihre Position immer wieder mit – und macht sich darin über Bande stets selbst zum Gegenstand der eigenen Betrachtung. Da sind Kinder in „Familienurlaub” (2012) zu sehen, Ayub ist mit ihnen familiär verbunden. Shakiras „Waka Waka (This Time for Africa)“ singen sie und führen dazu Choreografien vor, die sie sich vorher überlegt haben, vielleicht auch, um die coole Verwandte aus Österreich mit der Kamera und dem Lippenstift mal gehörig zu beindrucken.


Veränderbare Heimat

„You’re on the front line / Everyone’s watching“, heißt es bei Shakira, und irgendwo filmt Ayub in dieser Szene sich in diesen Kindern, eine Frau, die auf der Suche ist nach einem Platz in der Welt und in diesem Suchen nicht allein ist, die möglicherweise einen temporären Ort gefunden hat, der Heimat heißen könnte, wenn dieser Begriff noch etwas heißen mag, der aber eben veränderbar ist, das haben ihre Familie und sie bereits lernen müssen. Doch da ist die Musik, da ist der Pop, der Menschen, Länder, Gedächtnisse miteinander verkleben kann, drei Minuten und dreißig Sekunden, die einfach laufen und in denen es sich träumen lässt, wenn wir uns drauf einlassen, wenn der Refrain einsetzt, Münder vertraute Sätze formen und Adele mal wieder zum Refrain ansetzt.

Kurdwin Ayub (© Neue Visionen)
Kurdwin Ayub (© Neue Visionen)

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