In den ersten Berlinale-Tagen drängten sich Filme auf, die um misslingende Kommunikation und die Gräben zwischen gegensätzlichen Weltbildern kreisen, die sich kommunikativ nicht mehr überbrücken lassen. Neben einem Kolonialdrama wie „The Survival of Kindness“ zogen auch Dokumentarfilme zum Ukraine-Krieg oder über die Situation im Iran viel Aufmerksamkeit auf sich.
Bei der Berlinale laufen Filme in allen möglichen Sprachen, immer in Originalfassung, aber mit englischen Untertiteln. Für den australischen Wettbewerbsbeitrag „The Survival of Kindness“ von Rolf de Heer war allerdings keine Übersetzung nötig, denn dort ist die Unverständlichkeit Prinzip. Der Film entfaltet ein abstrakt-parabelhaftes Szenario rund um die Flucht einer schwarzen Frau durch ein postapokalyptisches Kolonialland, das durch eine Seuche und die Ausbeutung Gasmasken tragender Herrenmenschen verwüstet wurde. Verschiedene Begegnungen gliedern diesen Passionsweg, auf dem die Protagonistin immer wieder auf Spuren der Verrohung und Gewalt stößt; Gesten der titelgebenden Freundlichkeit sind so rar sind wie das Wasser in der Wüste, in der die Reise ihren Anfang und ihr Ende nimmt.
„The Survival of Kindness“ ist eine Art Stummfilm mit Ton. Die Figuren sprechen zwar, aber das Publikum kann das Kauderwelsch der Gasmasken-Menschen so wenig verstehen, wie es die schwarze Protagonistin tut; was diese wiederum sagt, bleibt aber ebenso unverständlich. Der Film spielt damit in einer Welt der babylonischen Sprachverwirrung, in der die Gräben zwischen den Menschen kommunikativ kaum zu überbrücken sind; selbst die urmenschliche Sprache der Mimik droht durch die Masken zu verstummen.
Keine gemeinsame Sprache finden
Keine gemeinsame Sprache finden: Auf dieses Problem stieß man in den ersten Tagen der 73. Berlinale in verschiedenen Beiträgen. Das Medium Film, mit dem einst die Hoffnung verbunden war, es könne Menschen über Sprachgrenzen hinweg neu füreinander sicht- und verstehbar machen, kreist aktuell öfters um die Grenzen der Verständigung, wenn Auffassungen oder Weltbilder zu weit voneinander entfernt sind. Das fängt in einer komödiantischen Tonlage beim Eröffnungsfilm „She Came to Me“ an, in dem die Standpunkte eines kuriosen Stadtneurotiker-Ensembles in Liebesfragen aufeinanderprallen. Und setzt sich ebenfalls satirisch-komödiantisch im US-Dama „BlackBerry“ fort, das die Geburt des Smartphones Ende der 1990er-Jahre als Resultat einer unbehaglichen Geschäftsehe von Menschen aus unterschiedlichen Welten schildert, bei der sich kindlich-enthusiastische Tech-Nerds und knallharte Business Sharks zusammentun. Aus dem „Blackberry“-Gründer Mike Lazaridis (Jay Baruchel) macht der Film zunächst eine Vermittlerfigur zwischen diesen beiden Welten, durch die das Unternehmen zum Erfolg geführt wird, bis ihm schließlich das Geld zu Kopf steigt und er die Bodenhaftung in der Tech-Nerd-Welt verliert. In der Folge lässt sich Lazaridis von seinem Business-Shark-Partner in krumme Deals verwickeln und erkennt außerdem die Zeichen der Zeit nicht, als ein Konkurrenzgerät namens iPhone auf dem Markt erscheint. Die Moral aus der Geschichte: Trau keinem, der keine „Star Wars“-Metaphern versteht!
Mit dem Dokumentarfilm „W Ukrainie“ und „Superpower“ wurde es in den ersten Berlinale-Tage aber auch schnell todernst beim Thema Grenzen der Verständigung. Beide Filme kreisen um den russischen Krieg gegen die Ukraine, der nicht nur mit Waffen geführt wird, sondern auch mittels eines Narrativs um russenfeindliche Nazis, die Bedrohung durch den „kollektiven Westen“ und revisionistische Großreich-Ambitionen, das die Existenz der Ukraine als eigenständige Nation schlicht negiert.
Ein Narrativ, das in Russland so gründlich diktatorisch durchgesetzt wurde, dass die Realität in den russischen Köpfen und die Realität, die die Ukrainer:innen erleben, dermaßen unvereinbar zu sein scheinen, dass sich keine Aussicht darauf auftut, den Konflikt per Verhandlung beizulegen. Sowohl „W Ukrainie“ als auch „Superpower“ zielen darauf ab, der ukrainischen Position Geltung zu verschaffen und damit – das ist vor allem in Penns stark agitatorischem Dokumentarfilm dominant – um Unterstützung zu werben.
Die Narrative in den Köpfen
Sean Penn tut das, indem er Wolodymyr Selenskyj und den ukrainischen Widerstand als heroische Verteidiger nicht nur ihres Landes, sondern allgemein des Freiheitsstrebens und der Demokratie feiert. Ursprünglich war „Superpower“ als Porträt von Selenksyj konzipiert, bevor die Dreharbeiten im Februar 2022 von der russischen Invasion eingeholt wurde. Penn setzt sich dabei auch selbst ausgiebig als „information warrior“ für die gute Sache in Szene, was man ihm als Eitelkeit ankreiden kann, aber nicht unbedingt muss: Dass Penn die eigene Starpower dermaßen offensiv in die Waagschale wirft, dürfte ähnlich wie der recht pathetische Ton des stark agitatorischen Films durchaus Kalkül sein, um beim (US-)Publikum möglichst effektiv für die Sache der Ukraine zu werben. „W Ukrainie“ von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski ist dagegen wesentlich nüchterner - und darin deutlich erschütternder. Der Film versammelt ohne Kommentar schlicht Impressionen des kriegsgebeutelten, zerbombten Landes und Facetten eines Alltags im Ausnahmezustand.
Könnte ein
solcher Film, der eindrucksvoll die Auswirkungen der Gewalt vor Augen führt,
bei den Tätern ein Umdenken bewirken, wenn
sie ihn denn zu sehen bekämen? Wie weit lassen sich traumatische
Erfahrungen überhaupt filmisch vermitteln? Um diese Fragen kreisen vor einem ganz anderen Hintergrund zwei Filme
des iranischen Filmemachers Mehran Tamadon: „Jaii keh Khoda Nist“ („Where God Is Not“) und „Mon pire ennemi“. Mittels
Interviews mit anderen Exil-Iraner:innen und Reenactments
setzt sich Tamadon mit den Unterdrückungsmethoden des iranischen Regimes auseinander, in „Jaii keh Khoda Nist“ speziell mit den Haftbedingungen und Foltermethoden in Gefängnissen
wie dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran.
Tamadons Protagonisten melden dabei durchaus Zweifel an der Kraft des Mediums an: Einer der Mitwirkenden, der von seinen Gefängniserlebnissen berichtet, ist sich völlig sicher, das ein Film wie „Jaii keh khoda nist“ niemals das ideologische Mindset, das sich die Schergen des iranischen Mullah-Regimes zu eigen gemacht haben, erschüttern könnte; ein anderer kapituliert beim Versuch, einen angemessenen Ausdruck für erlittene Schmerzen zu finden. Tamadons Arbeit ist dennoch gelungen, sowohl als Zeugnis der Menschenrechtsverletzungen im Iran als auch als Psychogramm darüber, was Foltererfahrungen auch jenseits ihrer physischen Langzeitfolgen anrichten. Auch eine Kommunikation, die an Grenzen stößt, ist manchmal allemal besser als das Schweigen.