Wie ist
es bestellt ums Verhältnis zwischen Technologie, Mensch, Natur und
(Film-)Kunst? Bei den 69. Internationalen Kurzfilmtagen, wo nicht nur eine
Reihe mit sogenannten Machinima-Filmen lief, sondern auch ein komplett mit KI
animierter und erzählter Film, wurde dieses Verhältnis auf vielfältige Weise
ausgelotet und umspielt. Was „Film“ eigentlich ist, ist offener und fließender
denn je.
Der junge Mann schaut skeptisch, fast ein wenig feindselig von der Leinwand herab. Er prangt jetzt da, wo man ihn und seinen ersten Film einst abgelehnt hat. Der Film hieß „Machorka-Muff“, der junge Regisseur war Jean-Marie Straub. Ein Bild von ihm mit Ulrich Schamoni aus dem Jahr 1963 eröffnet die 69. Kurzfilmtage Oberhausen. Sechs Dekaden später gibt es also die Widergutmachung für einen frühen Irrtum: Die Heinrich-Böll-Adaption „Machorka-Muff“ wird gezeigt und ist so pointiert, modern, aggressiv und liebevoll wie bei ihrer Veröffentlichung. Und Straub beendet das Festival auch, zumindest fast. Einer der letzten Programmpunkte am ersten Mai war eine Hommage an das Kino des 2022 verstorbenen Regisseurs, unter anderem mit seinem finalen Film „La France contre les robots“ von 2020, benannt nach Georges Bernanos’ technikkritischem Manifest von 1945. „Eine von der Technologie dominierte Welt ist für die Freiheit verloren“, heißt es darin.
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Roboter und andere Maschinen zur Bekämpfung hätte er in Oberhausen genug gefunden. Direkt im Anschluss an Straubs Debüt lässt Festivalleiter Lars Henrik Gass einen Film von Phil Solomon zeigen. „Still Raining, Still Dreaming“ arbeitet mit der Engine des Videospiels „GTA: San Andreas“ und steht in Oberhausen Pate für die Reihe „Against Gravity“, die sich Machinima-Filmen widmet.
KI-Kunst – aber weniger als erwartet
Man könnte
bemängeln, dass diese Spielart moderner Bildkultur ein wenig spät ihre
Würdigung erfährt. Die prägende Website machinima.com ist schon im Jahr 2019
abgeschaltet worden, die zu Filmen arrangierten Games sind längst auch ein
Retro-Phänomen. Ist selbst der Kurzfilm, diese oft inhärent unvollendete, für
Experimente weit offene Form des Kinos, mittlerweile zu behäbig für die
TikTok-Gegenwart? Vielleicht.
Aber Machinima eröffnen eben auch einen Kontrast zu anderen Formen, die so klar eine menschliche Handschrift tragen. Man hätte bei einem so experimentierfreudigen Festival wie dem in Oberhausen eine große Präsenz des meistdiskutierten Trends in Tech- und Kunstwelt erwarten können: Künstliche Intelligenz. Tatsächlich gibt es diese Beiträge, doch es sind weniger, als man erwarten würde. Im Wettbewerbsfilm „AI Realism. Qantar 2022“ von Almagul Menlibayeva werden die Ausschreitungen in Kasachstan im Januar 2022 mit KI-generierten Bildern nachgestellt. Angesichts der visuellen Konvulsionen denkt man wehmütig an Werner Herzogs ewige Suche nach „angemessenen Bildern“.
Und der auffälligste, schrillste Film des Festivals, „Let’s be Friends“, behauptet sogar von sich, der erste 100 Prozent mit KI animierte und erzählte Film zu sein. Primär eine Werbefloskel, die – so offenbart es schon eine kurze Google-Suche – noch diverse andere Filme für sich beanspruchen. Aber so ist das Wesen moderner Technologien, sie werden stets von großen Erzählungen begleitet. Heute wird alles als die Rettung der Welt und Revolution verkauft. In Machinima wird eine digitale Welt nach dem Blick eines einzelnen Künstlers geordnet, KI-Kunst antizipiert stolz die Autarkie vom Künstler.
Die Beziehung zwischen Text und Bild wird neu verhandelt
Mit Straub und Solomon sind also nicht zwei klar dichotome Positionen eröffnet, aber zumindest ein Spannungsfeld. Zwei klar unterscheidbare Haltungen zu Technologie. Interessanterweise wohnt beiden ein nostalgisches Moment inne: Mit Bernanos träumt man von einer verlorenen Zukunft. Solomon nutzt Spiele, die als Medium durch ihr ewiges Drängen auf bessere Grafik schon nach wenigen Jahren völlig überholt sind. Künstliche Intelligenz stellt wichtige Fragen an jede Form von experimenteller Filmkunst. Wenn Bilder verstärkt aus Eingabe-Befehlen entstehen, erfordern sie eine neue Ontologie. KI-Bilder werden von Künstlern geschrieben wie ein Roman. In Software wie DALL·E 2 oder Midjourney tippt man „Prompts“. Das ist gerade für das Medium Film ein Umbruch, dessen Avantgarde immer eine eigene Grammatik jenseits der bestehenden Sprache erschaffen wollte. Die Beziehung zwischen Text und Bild wird neu verhandelt.
Allgemein gilt: Collagen und Mischformen bestimmen das Festival in seiner 69. Ausgabe. Digitalschöpfungen treffen den fotochemischen Prozess. Die Filme streben merklich zu anderen Medien, orientieren sich an Fernsehshows, Gedichten und Gemälden. Oder an Gebeten, etwa in dem neuseeländischen Beitrag „Tulouna le Lagi“ oder „The Altar“ von Moe Myat May Zarchi.
Die mediale Spezifizität geht zunehmend verloren
Das ist eine Signatur unserer Zeit: Die mediale Spezifizität geht zunehmend verloren, auch durch das zentrale Abspielgerät Smartphone. In den Buchläden der Bundesrepublik wird der Young-Adult-Bestseller „Gameshow“ aktuell mit dem Werbespruch „Dieses Buch ist wie ein Film“ angepriesen. Auf dem Festival gibt es passend dazu Filme wie Bücher, etwa der von Fußnoten und Zitaten bestimmte „Nameless Syndrome“ aus Südkorea. Seine Suche nach einer namenlosen Pathologie der Gegenwart treibt viele der Festival-Beiträge um. Was ist nur mit der Welt und den Menschen los? Laut Pressetext ist es in diesem spezifischen Fall die „ständige Reduzierung des Selbst durch die Digitalisierung“.
Andere Filme
des Festivals vertreten eine diametral entgegengesetzte Position: Nicht die
Reduzierung, sondern die Vervielfältigung des Selbst ist das Problem.
Technologie, so zeigen es einige Kurzfilme, lässt den Menschen Avatare
erschaffen. Der Einzelne wächst ins Digitale hinein und verlängert sich so.
Etwa in dem unbenannten Short von „Sweatmother“, der ein Zwiegespräch zwischen einer synthetischen Frau und einem Menschen zeigt. Eine digitale Genderperformance, die die Identität von Mensch und Avatar als gleichermaßen formbar versteht. In den zwei bereits erwähnten KI-Filmen werden endlose Legionen von digitalen Avataren geschaffen, die sich im Sekundentakt neu bilden. „Let’s be Friends“ spottet sogar über James Camerons „Avatar“-Filme, die immer noch reale Darsteller brauchen. Der Mensch als unzureichender Rohstoff für Kinobilder. Wobei Camerons Mega-Blockbuster etwas ungemein Zeitgenössisches tut: Er erzählt mit den modernsten Mitteln der Technik von der Errettung der natürlichen Ressourcen. Der umkämpfte Planet Pandora speichert Erinnerung und ist selbst eine Art Computer; Technologie wird dort als zweite Natur verstanden.
Die Rückkehr der Natur durch Technologie
Passend zu
dieser Tendenz geht es auf dem Festival bemerkenswert oft um die Beziehung zwischen
Mensch und Tier. Der ritualistische „The Goose’s Excuse“ kehrt immer wieder zu
seinen Gänsen zurück, „I’m Here, You’re There (A Tale of The Crocodile’s Twin)“
erzählt von dem Zusammenleben von Menschen und Krokodilen in einem
Tsunami-Gebiet. In „C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern...)“ wird ein
Fernsehsender von Hamstern geführt, die sich stark gegen Ableismus und für
Behindertenrechte einsetzen.
In „A Bear Named Jesus“ nimmt ein negativer religiöser Einfluss die Form eines Bären an. Der bemerkenswerte „SSRC“ präsentiert trainierte Tauben im Sturzflug, abgerichtet von nur auf den ersten Blick grimmigen Männern. In „Mourning Stage“ verwandelt sich Simon*e Jaikiriuma Paetau mit Einblendungen über dem Gesicht in verschiedene Tiere und Fabelwesen. „The Severed Tail“ schickt ein Ferkel mit kupiertem Schwanz durch eine fetischistische Horrorwelt. Und „Ghosts“ von Teboho Edkins verknüpft koloniale Aufarbeitung mit Nachtaufnahmen des letzten Elefanten in den südlichen Urwäldern des Westkaps. Schon in seiner Videoinstallation „GHOSTS OF THE FOREST ELEPHANTS“ hatte er sich mit den digitalen Echos ihres Verschwindens beschäftigt.
Die letzten Elefanten verwandeln sich in Code, in Signale. Wo die Tiere verschwinden und der Mensch einsam ist, springen digitale Avatare ein. In „Zwei Stunden pro Tag“ aus dem deutschen Wettbewerb langweilt sich eine schwangere Frau im Krankenhaus und beschwört mit einer Google-Software für erweiterte Realität kurzerhand Tiere herbei: einen Pinguin ins Badezimmer, einen Bär ans Fenster, vielleicht noch einen Koala dazu. Wie bei „Avatar“: die Rückkehr der Natur durch Technologie.
Tiere & Roboter
So unterschiedlich ist die Beziehung zwischen Mensch und Tier und Mensch und Roboter natürlich nicht. Viele Roboter sind Tieren nachempfunden, etwa das elektronische Hundespielzeug Aibo oder der vieldiskutierte „Spot“ vom US-Robotik-Unternehmen „Boston Dynamics“. Wenn angesichts des Autorenstreiks vielerorts schon KI-Technologie als Ersatz in Stellung gebracht wird, kann man die Position von Bernanos und Straub nachvollziehen: Wie jede Technologie kann auch diese als Druckmittel eingesetzt werden, Macht konzentrieren und Freiheit einschränken. Andererseits, so demonstrieren es die Filme des Festivals, ist die ähnlich gelagerte Beziehung zu den Tieren komplexer als das. Sie können domestiziert werden. Man kann sich ihnen als ewige Andere aber auch annähern, ohne sie zu unterwerfen. Ein Equilibrium schaffen.
Und der Marxist Jean-Marie Straub, der mit gestrengem Blick über das Festival wachte, hat in einem Interview von 1975 einmal erklärt, an dem Tag, an dem das Proletariat die Macht übernehme, müsse man sich endlich um die Tiere kümmern. Die Beziehung zu ihnen sei „schlimmer als die schlimmsten Momente des Klassenkampfs“. Wer weiß, vielleicht ließe sich diese Utopie ja auch auf die Roboter ausweiten. Der Erfinder des Begriffs, Karel Čapek, wollte sie ursprünglich nicht „roboti“, von dem tschechischen Terminus für Zwangsarbeit, sondern „labori“ nennen, nach dem lateinischen Wort für Arbeit.
Das ist sicher eine der vielen Geschichten, die man über die 69. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen erzählen kann: Es war zu beobachten, wie Künstler die Roboter domestizieren, mit ihnen spielen, sich ihnen annähern. Straub mag skeptisch schauen: In der Kunst erproben Menschen ihr Verhältnis zum allem, was sie nicht sind. Zu Gott, zu den Tieren, zu den Robotern.