© UPI (Cillian Murphy in "Oppenheimer")

Geschockt, aber nicht gelähmt

Wie haben die Kinos die Corona-Pandemie bewältigt? Recherchen in einer verunsicherten Branche

Veröffentlicht am
01. Februar 2024
Diskussion

Wie haben die Kinos die Corona-Pandemie bewältigt? Besteht überhaupt eine Chance, an die Besucherresonanz vor COVID-19 anzuschließen? Wie gehen die Filmtheater mit anderen strukturellen Herausforderungen, etwa der starken Konkurrenz der Streaming-Dienste, um? Lange haben die verunsicherten Kinobetreiber nach Antworten gesucht. Nun aber scheint sich das Dunkel zu lichten und ein Hoffnungsschimmer abzuzeichnen.


Vor nicht allzu langer Zeit herrschte noch große Skepsis mit Blick auf die Zukunftsaussichten der Lichtspielhäuser. Im Jahr 2022 fehlten in Deutschland immer noch ein Drittel Besucher im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Während der beiden Schließungsphasen der Kinos in den Jahren 2020 und 2021 befürchteten viele den schleichenden Tod des Mediums. Andere aber gaben die Hoffnung nicht auf und setzten auf den Faktor Zeit. Früher oder später, so die Optimisten, würden auch vorsichtige Menschen wieder den Weg in die Kinosäle finden.


Unklare Lage & schwierige Analyse

Nach wie vor aber lässt sich nicht verlässlich prognostizieren, ob der Publikumszuspruch dauerhaft steigt oder sich zumindest auf dem Vor-Corona-Niveau stabilisiert. Und niemand kann vorhersagen, ob es die heutigen Kinos in der jetzigen Form in zehn Jahren noch geben wird. Dafür ändern sich die Medienlandschaft und die Nutzungspräferenzen viel zu schnell.

Auch sind pessimistische Stimmen nicht verstummt. So meldete sich der Regisseur Volker Schlöndorff zu Wort, als er im April 2023 auf einer Rundreise seinen Dokumentarfilm „Der Waldmacher“ in deutschen Kinos vorstellte. „Ja, der Film wird gefeiert. Aber das Kino hat verloren. Und wird nie wieder an die alten Zahlen heranreichen. Das habe ich auf meiner Kinotour erfahren, als ich jeden Abend mit Theaterbetreibern gesprochen habe.“ Dennoch will auch der 84-jährige Filmemacher die Hoffnung nicht aufgeben. Er sieht sogar Ansatzpunkte für eine Erholung. Denn in den Programmkinos habe er auch junge Zuschauende vorgefunden. „Im Saal sieht man nicht nur die Silberhaar-Fraktion. Da sind junge Leute, die Arthouse-Film über den Umweg von Netflix entdeckt haben.“ Die seien neugierig, was es denn sonst noch so gebe. Und entdecken dabei die Programmkinos. „Eine gewisse Zukunft hat das Kino also wohl doch“, glaubt Schlöndorff.

Kämpfer fürs Kinos: Volker Schlöndorff in "Die Waldmacher" (Weltkino)
Kämpfer fürs Kinos: Volker Schlöndorff in "Der Waldmacher" (© Weltkino)

Auf ein weiteres Problem, das sich schon vor der Corona-Krise bemerkbar gemacht hat, weist der ehemalige Direktor der Arthouse Kinos Zürich, Beat Käslin, hin. Da sich viele Filme und Serien durch den Boom der Streaming-Portale auf immer mehr Anbieter verteilen, verkleinere sich beim Publikum die Schnittmenge der gemeinsamen Erfahrungen. „Das Gemeinschaftsgefühl, zusammen einen guten Film zu sehen und darüber zu sprechen, atomisiert sich. Wir reden hier von einem wertvollen Kulturgut, das früher vom Austausch gelebt hat“, sagt Käslin.

Könnten mehr Events wie Premieren oder spezielle Vorführungen dem drohenden Bedeutungsverlust der Lichtspielhäuser entgegenwirken? Der Schweizer Kinoexperte winkt ab: „Aufwand und Ertrag rechnen sich kaum. Man kann nicht pausenlos Events anbieten. Das wertet das Einzelereignis ab. Das reine Kinoerlebnis, das Eintauchen in eine Geschichte, wird anscheinend nicht mehr als attraktiv genug erachtet.“


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Allen Unkenrufen zum Trotz ist das befürchtete Kinosterben bisher aber ausgeblieben. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Programmkinostudie der Filmförderungsanstalt (FFA). „Im Vergleich zum vorpandemischen Jahr 2019 gab es beim Gesamt-Kinobestand 2022 nur einen minimalen Rückgang von 0,2 Prozent auf 1.730 Kinos“, erklärte Norina Lin-Hi, die Leiterin der Marktforschung bei der FFA. „Bei den Programmkinos sehen wir mit 1,2 Prozent einen leicht größeren Rückgang auf 578 Kinos, der im Gesamtzusammenhang aber nicht ins Gewicht fällt.“

Während sich die Kinos also halten können, hinken Besuchsintensität und Reichweite, also der Anteil der Personen an der Bevölkerung, die mindestens einmal im Jahr im Kino waren, dem Vor-Corona-Stand hinterher. Hier zeichnet sich ein langfristiger Trend ab, wenngleich das Publikum von Arthouse-Filmen fast doppelt so oft ins Kino geht wie das Gesamtpublikum. Das Minus bei den verkauften Tickets betrug der Studie zufolge im Schnitt etwa 34 Prozent, bei den Programmkinos sogar 38 Prozent. Dennoch wird „der Abstand zur vorpandemischen Zeit kontinuierlich geringer“, so das Fazit der FFA.

Vor allem in jüngster Zeit mehren sich die Zeichen für eine substanzielle Regenerierung der Kinobesucherfrequenz. So konstatierte der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF), dass die deutschen Kinos ihren Erholungskurs fortsetzen würden. Bis zum 5. November 2023 wurden rund 78 Millionen Tickets verkauft. Im Vergleichszeitraum 2022 waren es nur 61 Millionen. „Wir haben uns besser und schneller als erwartet von der Pandemie erholt“, betonte die HDF-Vorstandsvorsitzende Christine Berg. Das Gemeinschaftserlebnis Kino habe seinen gesellschaftlichen Stellenwert zurückerobert. 2023 sei für die Kinobranche ein gutes Jahr. Was nicht zuletzt an den Filmen „Barbie“ und „Oppenheimer“ liege, die im Sommer besonders viele Menschen in die Kinos gezogen haben.


Die Kinos holen auf

Allerdings kommen die aktuellen Besucherzahlen noch nicht ans Level des Vor-Corona-Jahrs 2019 heran. Diese liegen noch immer 12,5 Prozent unter dem Vergleichszeitraum. 2019 hatten die Kinos bis Anfang November etwa 89 Millionen Eintrittskarten verkauft. Betrachtet man dagegen die Ausgaben für den Kinobesuch, so bewegen sich diese mit 474 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2023 bereits wieder auf dem Niveau der vorpandemischen Jahre. In den ersten sechs Monaten von 2018 wurden für Kinobesuche 458 Millionen Euro ausgegeben; im gleichen Zeitraum 2019 waren es 486 Millionen Euro.

Das Medium Kino konnte im ersten Halbjahr 2023 auch seine Reichweite steigern. Besonders erfreulich ist, dass die Lichtspielhäuser vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mehr Zustrom erhalten. In der Altersgruppe der Zehn- bis 19-Jährigen stieg die Reichweite auf den Spitzenwert von 61 Prozent ihrer Altersgruppe, bei den 20- bis 29-Jährigen immerhin um acht Punkte auf 36 Prozent. Zu diesem Trend passt die Erkenntnis, dass das durchschnittliche Alter der Kinogänger:innen in den ersten sechs Monaten 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 39,5 auf 38,6 Jahre gesunken ist. Solche Analysen widersprechen der häufig gehörten Klage, dass junge Menschen kaum noch ins Kino gingen und ihre Freizeit lieber mit den Sozialen Medien verbringen.

Das Berli-Theater in Hürth stellte Ende 2023 den Betrieb ein (Berli-Theater)
Stellt den Betrieb ein: Das Berli-Theater in Hürth (© Berli-Theater)

Doch wie sehen einzelne Kinobetreiber die Aussichten ihrer Häuser? Zwei aktuelle Beispiele aus dem Rheinland verdeutlichen die Bandbreite der Einschätzungen zwischen Rückzug und Aufbruch. Anfang Dezember verkündete das Berli-Theater in Hürth-Berrenrath, dass es nach 78 Jahren aus dem regulären Kinobetrieb aussteigen werde. André Jansen, dessen Familie das Filmtheater seit vier Generation betrieb, musste „angesichts der herausfordernden Zeiten und sinkenden Besucherzahlen die Notbremse ziehen“. Er will das Berli-Theater aber als Kultur- und Begegnungsort erhalten. „Filmreihen, Sondervorstellungen und Konzerte werden weiterhin stattfinden. Exklusive Anmietungen bleiben ebenfalls möglich“, schrieb er an seine Kunden.

Dagegen wollen die Kino-Unternehmer Thomas und Julian Rüttgers expandieren, die mit ihrer Firma Eccoplex seit sechs Jahren in Mettmann das „Weltspiegel“-Kino betreiben und 2022 das renovierungsbedürfte Kinocenter in Ratingen übernommen haben. In Monheim planen sie ein neues Kino mit sechs Sälen. Für ihr „Emotion“-Kino haben sie gerade von der FFA eine Förderung von 200.000 Euro erhalten. Es soll im Einkaufszentrum Monheimer Tor entstehen und 570 Sitzplätze fassen. Nach der Renovierung des Mettmanner Kinos wollen Vater und Sohn nun auch das Monheimer Lichtspielhaus zu einem „Referenzkino“ ausbauen: „Die dort eingesetzte Technik wird in Sachen Optik und Akustik absolut ,State of the Art‘ sein.“


Eine kleine Branchenumfrage

Wie beurteilen andere Kinobesitzer, Filmverleiher und Produzenten die Lage und die Perspektiven? Vier beispielhafte Äußerungen von Vertretern der Branche. Mit einer gewissen Skepsis äußert sich Volker Kufahl, Geschäftsführer des Arthouse-Kinos Universum in Braunschweig und zugleich Leiter des Filmkunstfests Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin. „Leider steht es um die Branche, insbesondere um die Programmkinos in Deutschland, aktuell nicht zum Besten. Sicher haben sich die Besucherzahlen im Vergleich zu 2021/2022 erholt. Aber von den Werten vor der Pandemie sind viele Kinos dennoch weit entfernt. Während die Corona-Unterstützungsprogramme in den Pandemiejahren den Kinos das Überleben garantiert haben, wirken sich die negativen Folgen der Pandemie und der anderen Krisen nun kumuliert und seit 2023 nahezu ungebremst aus.“

Mit großer Sorge beobachtet Kufahl vor allem den Besucherschwund. „Das Publikum kehrt aus unterschiedlichen Gründen nicht in dem Ausmaß in die Kinos zurück, wie wir das nach dem Auslaufen der Pandemie erhofft hatten. Das führt trotz gestiegener Ticketpreise zu rückläufigen Umsätzen.“ Offenbar verzichten gerade Menschen mit niedrigeren Einkommen vermehrt auf den Kinobesuch und sparen angesichts einer schlechteren wirtschaftlichen Lage an der Kultur. Kufahl weiter: „Die meisten Arthouse-Titel blieben daher 2023 weit hinter früheren Besuchererwartungen zurück. Die Konzentration des Publikums auf immer weniger Titel nimmt hingegen zu.“ Bedenklich stimmt Kufahl auch, dass der Altersdurchschnitt des Arthouse-Publikums laut FFA-Studie von 49,5 Jahren im Jahr 2021 auf 51,8 Jahren im Jahr 2022 gestiegen ist.


Große Sorgen in Braunschweig

Dazu komme „eine immens gestiegene Verteuerung in den Bereichen Personal, Energie, Dienstleistungen sowie Miete und Nebenkosten, insbesondere für inflationsgetriebene Indexmieten wie in unserem Fall. So läuft der Kulturfonds Energie zum Jahresende aus. Durch den Wegfall von Subventionen sind für 2024 weitere Energiepreissteigerungen zu erwarten.“ Das alles führe „zu stark gestiegenen Kosten, die den Betrieben ab 2023 wirtschaftliche Verluste bescheren“. Kufahl verweist außerdem auf die Rückzahlungen von Corona-Hilfen. „Dadurch reduziert sich die für Investitionen notwendige Liquidität und verschlimmert die wirtschaftliche Lage.“

Erstahlt in neuem Glanz: das "Weltspiegel"-Kino in Mettmann (Weltspiegel Kino)
Erstahlt in neuem Glanz: das "Weltspiegel"-Kino in Mettmann (© Weltspiegel)

Für das „Universum Filmtheater“ nennt Kufahl konkrete Zahlen. Mit seinen zwei Sälen erreichte es 2023 in der 250.000 Einwohner zählenden Stadt Braunschweig rund 48.000 Besucher, was im Vergleich zu 2019 immer noch ein Rückstand von 27 Prozent ist. Beim Ticketumsatz liegt die Differenz dank Preiserhöhung „nur“ bei 17 Prozent. Während 2019 immerhin 16 Filmtitel mehr als 1.000 Besucher anlockten, schafften das 2022 nur vier und 2023 immerhin wieder elf. Fazit: „Es zeichnet sich für 2023 ein Bilanzverlust ab. Sofern es überhaupt eine Rückkehr zu den alten Zahlen geben wird, dauert diese Erholung erheblich länger“, betont Kufahl. „Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage vieler Haushalte sowie des veränderten Freizeit- und Mediennutzungsverhaltens rechne ich persönlich allerdings absehbar nicht damit. Viele Kinos werden nicht umhinkommen, ihre Eintrittspreise weiter zu erhöhen, um die Einnahmeverluste und die Kostensteigerungen abzufangen. Das aber wird wiederum weitere Besucher von einem Kinobesuch abhalten.“

Aus filmpolitischen und -kulturellen Gründen erfüllt ihn außerdem die angekündigte Novellierung des Filmfördergesetzes mit Sorge. „Die geplante automatisierte Referenzförderung bedeutet für die Filmkunstkinos einen Systemwechsel: Weg von einer qualitativen Bewertung der kulturellen Qualität von Kinoprogrammen durch eine Jury hin zu einer quantitativen automatisierten Förderung gemäß einer durch ein Gremium vorgegebenen Filmliste, die zusätzlich nach strukturellen Kino-Merkmalen gewichtet wird.“ Wenn die automatisierte Referenzförderung bei den Verleihern zu einem Wegfall der kleinen und Kleinstbetriebe und bei den Kinos zu einer Vereinheitlichung der Programme führe, bedeute das „unter dem Strich einen Verlust an Vielfalt und Qualität“.


„Jetzt wieder nah dran“ in Köln

Wie beurteilt ein erfahrener Kinobetreiber wie Joachim Kühn die Lage? Er ist Geschäftsführer des Kölner Arthouse-Kinos „Filmpalette“ und zugleich Chef des Filmverleihs Real Fiction. Nach seinen Angaben hat die „Filmpalette“ die Corona-Pandemie in der Zeit der Lockdowns und der Zugangsbeschränkungen dank der Finanzhilfen von Bund und Land sowie der Spenden der Zuschauer gut überstanden. Schwierig sei die Zeit zwischen Herbst 2021 und Herbst 2022 mit einem deutlichen Zuschauerausfall gewesen, so Kühn. „Ab Herbst 2022 ging es dann wieder bergauf. Im Herbst 2023 hat es sich wieder auf vergleichbarem Niveau zu 2019 eingependelt. Wir sind da jetzt wieder nah dran, auch wenn es lange nicht danach ausgesehen hat.“

Über die Perspektiven der deutsche Kinobranche konstatiert Kühn: „Die Kinos haben ihren Platz im Kulturangebot zurückerobert und behaupten sich auch gegenüber den Streaming-Angeboten, deren Attraktivität sich nach der Corona-Zeit relativiert hat. Es waren und sind leider eher nicht die deutschen Filme, die zur Wiederbelebung des Kinos beigetragen haben. Ausnahmen wie ,Das Lehrerzimmer‘ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Arthouse-Bereich das europäische und das US-Independent-Kino deutlich besser abschneiden. Wenn das neue Filmförderungsgesetz da nicht deutlich neue Akzente setzt, wird sich das eher noch verschlechtern.“

In den Augen von Kühn müssen sich die Filmverleiher auf schwere Zeiten einstellen. „Für sie wird es sehr viel schwieriger werden angesichts einer deutlich größeren Schere zwischen gut laufenden Filmen und kleineren, spezielleren Werken. Dazwischen ist nur noch sehr wenig zu finden. Es wird immer schwieriger, wenn das Fördersystem in Deutschland den Verleih nicht erheblich stärkt. In den Programmen werden wir das europäische Kino sehr viel weniger sehen. Und das deutsche Arthouse-Kino wird noch mehr als bisher in die Nische rutschen.“

Die Kinolandschaft stand ja schon vor Corona unter großem Druck durch Streamingdienste, Serienboom, Games, Soziale Medien und das veränderte mediale Nutzungsverhalten vor allem junger Menschen. Wird das Medium auch diese Herausforderungen überstehen? Kühn: „Wir haben seit letztem Jahr immer wieder die Erfahrung gemacht, dass vor allem das Gemeinschaftserlebnis im Kino eine große Attraktivität darstellt. Außerdem lässt es sich mit einem aktiven Sozialleben sehr gut vereinbaren. Dies gilt für alle Altersstufen. Man verabredet sich mit Freunden, und da ist dann ein Kinobesuch ein guter Anlass.“ Das werde das Kino weiterhin stabil halten. Zumal Kino auch niedrigschwelliger als Konzerte und Theater sei, wo man eine längere Vorausplanung brauche. „Bei vielen Filmen werden online drei, vier oder mehr Tickets gebucht; da spielt das gemeinschaftliche Erleben eindeutig eine große Rolle.“´

Klein, aber fein: die "Filmpalette" in Köln (Filmpalette)
Klein, aber fein: die "Filmpalette" in Köln (© Filmpalette)

In den Augen von Kühn liegt die größte Herausforderung der Kinobranche aktuell in der Neustrukturierung des Filmfördersystems. „Wenn das nicht gelingt, werden wir uns in Bezug auf die Vielfalt des Kinos und die Präsenz des deutschen und europäischen Kinos selbst mehr kaputt machen, als dass das Kino an fehlendem Interesse der Zuschauer leiden wird.“


CineStar ist „gut aufgestellt“

Wie sieht es bei den großen Kinoketten aus? Wie haben die Multiplexe die Corona-Krise überstanden? Oliver Fock, Geschäftsführer der CineStar-Kette, zieht eine positive Zwischenbilanz. „Wir sind gut durch die Pandemie gekommen, denn die Fördersysteme von Bund und Ländern haben nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten gegriffen. Wir haben pandemiebedingt kein Haus schließen müssen und uns im Gegenteil intensiv darum gekümmert, Standorte zu renovieren und zu modernisieren, sodass wir gut aufgestellt sind.“ Allerdings werde man zum Jahresende das CineStar Ludwigshafen schließen. „Dies hat aber nichts mit der Pandemie zu tun, sondern mit standortbedingten, unzureichenden wirtschaftlichen Perspektiven des Hauses.“

Was den Publikumszuspruch bei CineStar angeht, so zeigt sich Fock vorsichtig optimistisch. „Wir freuen uns über die Stabilisierung der Besucher:innenzahlen nach drei schwierigen Jahren. Langsam arbeiten wir uns an die Zahlen vor der Pandemie heran, auch wenn wir diese 2023 noch nicht erreichen werden. Der Sommer mit ,Barbenheimer‘ war großartig und hat gezeigt, dass die Begeisterung fürs Kino zurückgekehrt ist.“ Es gibt noch Bereiche, in denen eine gewisse Zurückhaltung zu spüren sei, etwa bei Opernübertragungen aus der New Yorker MET; das ältere Publikum ist noch etwas reserviert. „Aber auch hier“, so Fock, „gehen wir davon aus, dass sich die Zahlen weiter stabilisieren. 2024 wird sicherlich noch herausfordernd, aber für 2025 und 2026 sind wir sehr optimistisch.“

Mit Blick auf die harte Konkurrenz um die Freizeitbudgets konstatiert der CineStar-Geschäftsführer: „Das Filmerlebnis auf der großen Leinwand gibt es inzwischen seit 128 Jahren. In dieser Zeit gab es immer auch Befürchtungen, dass die Kinos Veränderungen nicht überstehen, sei es mit der Einführung des Fernsehens oder des Home Entertainments. Doch das Kino ist weiterhin da!“ Das technisch perfekte Filmerlebnis auf der Leinwand sei einzigartig; Kino sei ein soziales Ereignis. „Man trifft sich mit Freund:innen und lacht oder weint zusammen. Das schafft kein Streaming auf dem einsamen heimischen Sofa. Gerade nach der Pandemie merken wir, wie sehr die Menschen das Kino vermisst haben.“

Ein anderes aktuelles Hindernis für die Kinobranche stellen die Folgen der Schauspieler- und Drehbuchautoren-Streiks in Hollywood dar. Fock stellt sich auf Nachwirkungen der Streiks ein, da einige große Filme verschoben wurden. „Das werden wir 2024 definitiv noch merken. Andererseits birgt diese Situation wiederum Chancen für deutschen Filme, die dann mehr Zeit bekommen, um sich zu entwickeln und ihr Zuschauerpotenzial besser auszuschöpfen.“ Das Alleinstellungsmerkmal der Kinos, das perfekte, ungestörte Filmerlebnis, sieht Fock durch die Streamer, Games und Sozialen Medien nicht bedroht. Aber natürlich müsse man sich den Herausforderungen stellen und die Angebote weiter verbessern, etwa durch neue Veranstaltungsformate und Innovationen im Speise- und Getränke-Sortiment. Als Beispiel nennt der Geschäftsführer die Einführung eines Marketplace-Konzepts statt Standardtheken im nächsten Jahr. „Und soeben sind wir von der Deutschen Umwelthilfe für unser Mehrweg-Konzept ausgezeichnet worden, das vom Publikum sehr gut angenommen wird. Außerdem werden wir in den nächsten Jahren vier IMAX-Säle in unseren Häusern einbauen. Mit solchen Maßnahmen stellen wir uns für die Zukunft auf.“


Budweg: Kino behält „Spitzenrolle“

Wie aber blicken die Hersteller von Filmen auf die Aussichten der Kinos? Werden die Filmhäuser aus Produzentensicht überhaupt noch gebraucht? Philipp Budweg, einer der Chefs der Münchner Produktionsfirma Lieblingsfilm, ist sich sicher: „Kino wird weiterhin eine Spitzenrolle in der Auswertungskette einnehmen. Wir sehen das gerade bei der erfolgreichen Auswertung unseres Kinderfilms „Kannawoniwasein“ in den Schulkinowochen. Allein in Brandenburg haben die 36 Veranstaltungen einen Besucherrekord von über 3.000 Schülern erzielt. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass bei den Vorstellungen Filmemacher für ein Gespräch vor Ort waren. Das zeigt sehr eindrücklich, wie gut Kino als Gemeinschaftserlebnis funktionieren kann.“

"Kannawoniwasein!" (Lieblingsfilm/Jens Hauspurg)
"Kannawoniwasein!" (Lieblingsfilm/Jens Hauspurg)

Bei jungen Menschen stellt die intensive Nutzung des Handys eindeutig die größte Herausforderung für Kino-Angebote dar. „Auf dem Handy lassen sich die sehr geschätzten YouTube-Videos anschauen. Immer neue Influencer locken mit frischem Content. Dagegen fordert das Kino eine andere Wahrnehmung. Man muss sich bewusst entscheiden, ein Ticket zu kaufen. Mittlerweile sind die Kinostühle sehr bequeme Sitzlandschaften geworden, in denen man Speisen und Getränke komfortabel abstellen kann. Das alles ergibt ein besonderes Erlebnis.“

Nach Ansicht von Budweg wird das Kino die Herausforderungen von Streamingdiensten bis zu Sozialen Medien dann überstehen, „wenn es als Ort für Eventveranstaltungen verstanden wird. Es müssen die ,besonderen‘ Geschichten für die große Leinwand erzählt werden, für die das Publikum das bequeme Sofa vor dem Flatscreen verlässt. Geschichten, die nur auf der großen Leinwand eine überwältigende Wirkung erreichen. Das Gemeinschaftserlebnis Kino muss sein Publikum emotional berühren, es soll lachen und sich fürchten.“

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