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Das Grundgesetz der Tiere

Leders Journal (XXVI): Mit einem witzigen Zeichentrickfilm erinnern Jan Böhmermann und Miguel Robitzky an die Entstehung des deutschen Grundgesetzes

Veröffentlicht am
24. Januar 2024
Diskussion

Wenn es nach Jan Böhmermann geht, dann haben die Tiere des naturkundlichen Museums Koenig in Bonn entscheidend zur Entstehung des Grundgesetzes beigetragen. In der Eingangshalle des staatlichen Gründerzeitbaus tagte 1948 der Parlamentarische Rat, weil das Gebäude vom Krieg relativ verschont geblieben war. Mit dem 31-minütigen Zeichentrickfilm „Das Grundgesetz der Tiere“ lässt der Satiriker die kontroversen Beratungen Revue passieren.


Mit einem ungewöhnlichen Angebot startete das „ZDF Magazin Royale“ am 19. Januar 2024 ins neue Jahr. Statt einer Aufzeichnung aus dem Kölner Studio mit Jan Böhmermann als Präsentator gab es diesmal einen Zeichentrickfilm zu sehen. Unter dem Titel „Das Grundgesetz der Tiere“ erinnerten Böhmermann und der Karikaturist Miguel Robitzky an die Genese des deutschen Grundgesetzes. (Der Film ist in der ZDF-Mediathek verfügbar).

Ausgangspunkt für den Film ist der Ort, an dem der parlamentarische Rat 1948 erstmalig in Bonn zusammenkam. Da viele Versammlungsorte während des Krieges zerstört worden waren, trafen sich die 61 Männer und 4 Frauen, die von den Länderparlamenten der westlichen Besatzungszonen in den Rat gewählt worden waren, im naturkundlichen Museum Koenig in Bonn. Für die Sitzungen hatte man aus der hohen Eingangshalle alle Exponate, also viele ausgestopfte Tiere, entfernt. Nur die Giraffe hatte man auf Grund ihrer Größe vor Ort belassen, aber an die hintere Seite geschoben und unter einem schwarzen Tuch versteckt.


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Im Film sind es diese Tiere, die klandestin beobachten und kommentieren, wie der parlamentarische Rat um die entscheidenden Passagen des Grundgesetzes ringt. In entscheidenden Momenten, als sich die Fraktionen in der Versammlung nicht einigen können, ergreifen die Tiere unter Leitung der Giraffe (die von Böhmermann gesprochen wird) die Initiative. Sie formulieren wichtige Passagen, etwa zum Asylrecht, oder hecken eine Strategie aus, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegen den Widerstand der männlichen Übermacht dann doch durchgesetzt werden kann.

Miguel Robitzky, Jan Böhmermann: "Das Grundgesetz der Tiere" (ZDF/Magazin Royale)
Miguel Robitzky, Jan Böhmermann (r.): "Das Grundgesetz der Tiere" (© ZDF/Magazin Royale)

Das ist klug ausgedacht und liefert mitunter einen ungewöhnlichen Zusammenhang, wenn beispielsweise die Giraffe erklärt, wie sie das Lesen und Schreiben erlernte. In Rückblenden erzählt der Film, wie sie im kaiserlichen Kolonialgebiet von Deutsch-Südwest-Afrika von deutschen Truppen gefangen wurde, während ihre Familie ums Leben kam. Das Blut der Tiere, das sich über eine Landkarte ergießt, verweist unausgesprochen auf den Völkermord, den deutsche Truppen an den Herero und Nama begingen.


Wie ihnen der Schnabel gewachsen ist

Die Tiere sind anthropomorphisiert, agieren und sprechen also wie Menschen, auch wenn sich die Giraffe durch den Begriff des „Möchte-Gern-Menschen“ beleidigt fühlt. Ein Greifvogel qualmt am laufenden Band Zigaretten, ein kommunistisches Nagetier gibt permanent unerwünschte Kommentare von sich und die Antilope will immerzu auf dem Kazoo musizieren. Alle Tiere sind fantasievoll ausgeschmückt und bunt gefärbt. Und sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Einige Politiker sind als Karikaturen angelegt: Theodor Heuss (FDP) schwäbelt drauflos, was besonders lustig wird, wenn er sich dabei der gegenwärtigen Jugendsprache bedient. Carlo Schmid (SPD) zeichnet sich durch seine Leibesfülle aus und Konrad Adenauer (CDU) durch seine Gesichtsfalten. Das sind freche, aber nicht respektlose Darstellungen. Nur Elisabeth Selbert (SPD), die den Gleichstellungsgrundsatz im Rat durchkämpfte, bleibt von einer solchen komischen Umformung frei, was man im Zusammenhang dieses Filmes als eine politische Verbeugung vor ihr verstehen muss.

Hohe Tiere unter sich: "Das Grundgesetz der Tiere" (ZDF/Magazin Royale)
Hohe Tiere unter sich: "Das Grundgesetz der Tiere" (© ZDF/Magazin Royale)

Der Rest des parlamentarischen Rates bleibt anonym und erscheint nur als amorphe Masse, was den Zeichner:innen viel Arbeit ersparte. Den Trickfiguren, die Miguel Robitzky entwarf, leihen Prominente wie Bastian Pastewka und Olli Dittrich, aber auch Uschi Glas und Frank Elstner ihre Stimmen, ohne sich dabei zu stark nach vorne zu sprechen. Die Rahmenerzählung liest Mechthild Grossmann mit ihrer besonderen Stimme.


„Tigerente“ & Hitler-Gruß

Es sei nicht verschwiegen, dass ein großer Teil der Komik dem Klamauk entspringt, wie er sich in Zeichentrickfilmen eingebürgert hat, also beispielsweise aus der verniedlichten Darstellung von Schlägereien und Verletzungen aller Art herrührt, die sowohl die Tiere als auch die Politiker ohne Folgen überstehen. Das ist mal amüsant, mal eher so routiniert gestaltet, dass sich kein Lächeln einzustellen mag. Ähnliches geht es mit allerlei Zutaten aus der populären Kultur der letzten 70 Jahre, die in der Musik, der Sprache oder bei den Figuren auftauchen; zu Beginn ist unter den Tieren des Museums beispielsweise auch die legendäre „Tigerente“ von Janosch zu sehen.

Wichtiger als diese mal amüsanten, mal eher selbstverliebten Details ist die politische Stoßrichtung des Films. Er erinnert an die Errungenschaften des Grundgesetzes, das beispielsweise im Grundrecht auf Asyl Erfahrungen verarbeitete, die Deutsche auf der Flucht vor den Nazis selbst gesammelt hatten. Der Film führt vor, dass manches, was heute als selbstverständlich gilt wie etwa die Gleichstellung von Mann und Frau, damals keine Selbstverständlichkeit war. Und er verweist mit einer finsteren Pointe auf die NS-Vergangenheit mancher Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Als die Versammlung auf die Frage von Carlo Schmid, wer dafür sei, dass so etwas wie eine Diktatur in Deutschland nie wieder geschehen könne, geschlossen „Ja!“ brüllt, strecken alle unwillkürlich den rechten Arm zum Hitler-Gruß aus.


Das, was einer ist

Es sei angemerkt, dass in diesem Parlamentarischen Rat auch Menschen saßen, die gegen die Nazis gekämpft hatten und die sich nie einem solchen nazistischen Gruppenzwang gefügt hätten. Für eine Pointe muss bei Böhmermann die historische Wahrheit dann schon mal leiden. Die Erzählung um die Entstehung des ersten Satzes des Grundgesetzes, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, stellt wiederum nichts anderes dar als eine umständliche Verlängerung des Aphorismus von Karl Kraus: „Würde ist die konditionale Form von dem, was einer ist.“

"Würde ist die konditionale Form von dem, was einer ist" (ZDF/Magazin Royale)
"Würde ist die konditionale Form von dem, was einer ist" (© ZDF/Magazin Royale)

Bleibt die Freude darüber, endlich mal einen Zeichentrickfilm für Erwachsene im deutschen Fernsehen zu sehen. Dafür und für sein Engagement, in diesen Tagen an die Errungenschaften des Grundgesetzes zu erinnern, ist Jan Böhmermann und seinem Team zu danken. An allem anderen kann man für ein nächstes Mal ja arbeiten.


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