© Walter Wetzler (Kardinal Reinhard Marx)

Ökumenischer Empfang bei der Berlinale

Beim Ökumenischen Empfang diskutierten der katholische Medienbischof Kardinal Reinhard Marx und der Münchner Produzent Ingo Fließ über die Rolle von Filmen in einer offenen Gesellschaft

Veröffentlicht am
04. März 2024
Diskussion

Beim Ökumenischen Kirchenempfang während der 74. Berlinale wurde es schnell grundsätzlich. Bei einem Podiumsgespräch diskutierten der katholische Medienbischof Kardinal Reinhard Marx und der Münchner Produzent Ingo Fließ über Filme und Geschichten, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig sind. Fließ beklagte dabei einen „eklatanten Mangel an relevanten Stoffen“ im deutschen Kino.


Seit 1954 gibt es bei der Berlinale kirchliche Jurys. Drei Jahre, nachdem die Filmfestspiele ins Leben gerufen waren, erhielten die christlichen Kirchen einen Platz unter den unabhängigen Jurys, den sie seit 1992 gemeinsam als Ökumenische Jury ausfüllen. Ihrem Selbstverständnis nach waren sie auf Internationalität und Unabhängigkeit verpflichtet und auf der Suche nach künstlerischen Filmen, in denen die Würde des Menschen, die Freiheit und Verantwortlichkeit eine zentrale Rolle spielen.

Das seien auch für die Gegenwart relevante Kriterien, unterstrich der katholische Medienbischof Kardinal Reinhard Marx, der mit Blick auf Diskriminierung, Antisemitismus und Hass kurz theologisch wurde. Dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind, ist nicht nur eine Überzeugung der Aufklärung, sondern zähle zum Kern der christlichen Botschaft, so der Kardinal. Man könne gar nicht oft genug unterstreichen, dass die Kirchen von ihrem Selbstverständnis her für Demokratie einstehen, betonte Marx.

Der Produzent Ingo Fließ im Gespräch mit Kardinal Marx (Walter Wetzler)
Der Produzent Ingo Fließ im Gespräch mit Kardinal Marx (© Walter Wetzler)

Während eines Podiumsgesprächs zwischen ihm und dem Münchner Produzenten Ingo Fließ ging es um Filme und Geschichten, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig sind. Ausgangspunkt war „Das Lehrerzimmer“ von Ilker Çatak, der von Fließ und seiner „if... Productions“-Firma produziert wurde. Wie in einem Brennglas spiegeln sich in diesem Film grundlegende Verhaltensweisen der Gesellschaft, wobei die Suche nach einem Dieb innerhalb der Schule zur konfliktreichen Angelegenheit wird. Jede Figur sollte in der Geschichte möglichst Recht haben und in ihrer Wahrnehmung nicht diskreditiert werden, so Fließ. Dass am Ende alles glatt aufgeht, funktioniert aber nur in Mathe und den naturwissenschaftlichen Fächern und nicht dort, wo es um Gefühle, Meinungen und Anschauungen geht. Deshalb gebe es in „Das Lehrerzimmer“ keine abschließende Auflösung; das Ende bleibt bewusst offen; als Zumutung und Ansporn, über die ungelösten Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen, legte Ingo Fließ Grundzüge der Produktion offen.

Darüber reden und sich austauschen seien Grundbausteine der Toleranz, so Marx, weil in einer offenen Gesellschaft ja jeder seiner eigenen Wahrheit folgen können muss. Die christlichen Konfessionen hätte selbst erst in schmerzhaften Auseinandersetzungen lernen müssen, den anderen nicht als Gegner zu sehen, sondern seine Meinung stehenzulassen und das im Gesamt der Gesellschaft durch Regeln und Verfahren auszutarieren. Viel zu lange habe man Wahrheit statisch betrachtet, betonte Marx, und nicht gesehen, dass jeder Satz vieldeutig ist und erst in einer kommunikativen Erörterung seine manchmal überraschenden Dimensionen enthüllt.

Im Kino funktioniert dieses Modell aber nur, wenn Filme auch entsprechende Offerten möglich machen. Doch in Deutschland „herrscht ein eklatanter Mangel an gesellschaftlich relevanten Filmen“, so Ingo Fließ. Denn der große Teil der Filme erreiche entweder das Publikum überhaupt nicht oder bewege sich in rein eskapistischen Gefilden. Mit Vehemenz plädiert Fließ deshalb für ein Kino, das aufrüttelt und sich nicht mit dem Status quo zufriedengibt. "Es fehlen unbequeme Filme, die den Betrieb stören und nicht so tun, als sei alles in bester Ordnung", forderte Fließ.

Die suggestive Macht der Kinobilder ist in den Augen des Produzenten eine Urkraft, die Menschen mehr als anderes in Bewegung bringt. Geschichten und Filme dieser Art sind es, die demokratische Gesellschaften befähigen, ihre Probleme, Anschauungen, Meinungen und Ansichten kontrovers zu diskutieren. Nur so könne man miteinander leben und auskommen, ohne sich auszugrenzen oder zu bekriegen.

Die Ökumenische Jury bei der Berlinale 2024 (Walter Wetzler)
Die Ökumenische Jury bei der Berlinale 2024 (© Walter Wetzler)

Mitglieder der Ökumenischen Jury bei der 74. Berlinale sind (im Foto v.l.) Sr. Francesca Šimuniová OSB (Präsidentin der Jury), Jacques Champeaux, Brent Rodriguez -Plate, Karin Becker, Marta Romanova-Jekabsone und Anita Nemes.

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