Oh Hell - Staffel 2

In der Fortsetzung der deutschen Sitcom mit Mala Emde muss die chaotische Antiheldin in Verhaltenstherapie und macht kuriose Erfahrungen in der schönen, neuen Welt der Digital-Start-ups.

Veröffentlicht am
20. März 2024
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Jurastudium-Abbrecherin, chronische Lügnerin, versehentliche Brandstifterin – Helene „Hell“ Sternberg (Mala Emde) hat in der ersten Staffel der preisgekrönten Comedyserie von Johannes Boss vor allem in einem geglänzt: im „Verkacken“, wie sie selbst es ausdrückte. Aus Sicht des Publikums waren diese Dauer-Verkackerei und Helenes Versuche, sie durch ihre marodierende, verquere Fantasie zu kaschieren, freilich vor allem: eine herrliche Apologetik des Nicht-Selbstoptimierten und Nicht-Instagramtauglichen und eine anarchische Breitseite gegen den ganz normalen Irrwitz der Selbst- und Fremdansprüche, an denen sich die Generation der Mittzwanziger, die Erstgeborenen der Generation Z, ansonsten misst.

Die Durcheinanderwirblerin

In der zweiten Staffel wird Helenchen dafür nun prompt in Therapie gesteckt: Wegen des Missgeschicks mit der klimmenden Zigarette, die in der ersten Staffel ein Stück Wald und eine ganze Krötenpopulation das Leben kostete, ist die mittlerweile 25-Jährige nun dazu verdonnert worden, in einer psychiatrischen Tagesklinik sechs Wochen lang an ihrem Verhalten zu arbeiten; ansonsten müsste sie in den Knast. Man ahnt freilich früh, dass die Chancen des bedauernswerten behandelnden Arztes, Dr. Berg-Berth (Roland Bonjour), die Patientin von ihrem Neben-der-Spur-Sein zu kurieren, schlechter stehen als ihre, ihn in den Wahnsinn zu treiben. An einer Stelle wird er ihren diversen Versager-Titeln – Studienabbrecherin, Brandstifterin etc. – die Krone aufsetzen und sie als „Struktur-Querulantin“ beschreiben. Eine andere Figur nennt das freundlicher „Beautiful Chaos“. Helene „Oh Hell“, die höllische Durcheinanderwirblerin!

Woran sich in der neuen Staffel nicht zuletzt auch wieder ihre beste und älteste Freundin Maike (Salka Weber) abarbeitet, die das genaue Gegenstück zu Helene darstellt: das verkörperte Übererfüllen von gesellschaftlichen Erwartungen, ständig bestrebt, krampfhaft alles richtig zu machen. Maikes aktuelles Projekt ist ein Start-up-Unternehmen namens „Vaginality“, das sie zusammen mit ihrem Partner Jason (Madieu Ulbrich) gegründet hat. Total trendig, digital, feministisch, kosmopolitisch und woke – aber leider so verblasen, dass nicht mal Maike selbst weiß, was genau sie damit eigentlich auf die Beine stellen will. Und da kommt Helene ins Spiel: Weil der Besuch eines exzentrischen skandinavischen Tech-Gurus und potenziellen Großinvestors ansteht, muss eine möglichst originelle (App-)Idee her, die man ihm präsentieren und verkaufen kann. Und Helene, die Meisterin des „Out of the Box Thinking“, könnte da die Rettung sein. Oder doch eher der Untergang?

Sprunghaft aus Prinzip

Dramaturgisch springt die zweite Staffel etwas verwirrend zwischen dem Psychiatrie-Handlungsstrang und Helenes Abenteuer in der schönen neuen Welt des Digital-Startups hin und her – und stellt es den Zuschauer:innen anheim zu entscheiden, wo der größere Irrsinn herrscht. Zeitlich gesehen handelt es sich dabei auch um ein Springen zwischen den Zeitebenen; der Start-up-Handlungsstrang spielt etwas später und wird leise davon überschattet, dass früh angedeutet wird, wie der Psychiatrie-Handlungsstrang enden wird. Nämlich mit einer Tragödie, die mit einem von Helenes Mitpatienten, dem schweigsamen Janno (Daniel Noel Fleischmann), zusammenhängt. Und wie schon in der ersten Staffel kommen als weitere Zeitebene auch hier wieder Rückblenden in Helenes Kindheit und Jugend dazu, die sozusagen die „Fallgeschichte“ der Patientin beleuchten, wobei diesmal vor allem Helenes Verhältnis zu Maike und eine an Tücken reiche Teenager-Reise zu einem Tanz-Sommercamp in Frankreich eine Rolle spielen.

Ganz so viel dramaturgischen Drive wie die erste Staffel, in der Helene gegenüber Figuren wie Maike, ihrem Vater und ihrem Love Interest Oskar ein immer wackligeres Lügengebäude aufbaute, dessen unvermeidlichem Crash man entgegenbangen musste, entfaltet sich dabei nicht. Die erzählerische Sprunghaftigkeit hat aber durchaus Methode. Sie reflektiert Helenes gebrochene Persönlichkeit, die dankend – Helene flog über das Kuckucksnest! – darauf verzichtet, sich von anderen heilen zu lassen, um in gängige Vorstellungen von „Ganz-sein“ zu passen. Auch die neue Staffel wartet dabei mit einem wahren Feuerwerk an pfiffigen Ideen und pointierten, absurd-komischen, den Zeitgeist immer wieder zielsicher satirisch aufspießenden Dialogen auf. Und sie punktet einmal mehr mit einer Mala Emde, die im Zusammenspiel mit dem exzellenten Drehbuch dafür sorgt, dass Helenchen nie nur zum verkörperten Chaosprinzip wird, sondern eine zutiefst menschliche, liebeswerte Figur, bei der die Unsicherheiten und Verletzlichkeiten hinter ihrer kecken Fassade sich immer wieder Bahn brechen.

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