Töchter zweier Welten

Dokumentarfilm | Deutschland 1990 | 60 Minuten

Regie: Serap Berrakkarasu

Zwei türkische Frauen, Mutter und Tochter, die eine noch in ihrer Heimat verwurzelt, die andere eine "deutsche Türkin", berichten von ihren Leben. Die Aussagen werden erst durch die Kamera zu Dialogen geformt, und so entsteht das Bild von Unterdrückung und Kulturverlust, aber auch die vage Hoffnung auf Emanzipation der Jüngeren. Ein klarer, einfacher, engagierter Film, der vom Zuschauer Nachdenken verlangt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1990
Produktionsfirma
Gülsen-Film/NDR
Regie
Serap Berrakkarasu
Buch
Serap Berrakkarasu
Kamera
Gisela Tuchtenhagen
Schnitt
Maike Samuels
Länge
60 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Seriban und Meral, zwei Frauen, Mutter und Tochter. Beide sind in der Türkei geboren worden, dann sind sie in die Bundesrepublik Deutschland gegangen - natürlich mit ihren Familien, dem Ehemann, Vater und den Brüdern. Als Seriban hier ankam, hat sie die Lebensumstände gewechselt, aber nicht die Kultur, denn in ihrem Herzen hat sie die Türkei nie verlassen; Meral jedoch kam von einer Welt in die andere, sie war noch sehr jung, ihre Sozialsituation noch lange nicht abgeschlossen - sie wurde eine "deutsche Türkin", oder wie auch immer man das nennen soll, wenn man eine Kultur für sich selbst ist, herausgelöst aus nationalen Zusammenhängen. Merals Wege in der neuen Welt können nicht die ihrer Eltern und deren Traditionen sein.

Diese beiden Frauen erzählen von ihrem Leben: von den Männern, von der Arbeit, von der Liebe, wenn es die gab, und vom Sex. Ein Gespräch unter Frauen, das so nur durch den Film stattfinden kann. Meral und ihre Mutter haben in ihrem ganzen Leben nie so miteinander gesprochen - sie tun es auch jetzt nicht, es ist die Parallelmontage, die die beiden Erzählungen zusammenhält. Serap Benakkarasu hält alles zusammen, sie spricht mit den beiden, mit jeder für sich, nur Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen ist dabei; es ist ein Gespräch unter Freundinnen. So einen Film kann man nur machen, wenn man weiß, daß man einander nicht betrügt. Meral sitzt einfach nur da, man sieht fast nur ihr Gesicht, Seriban sieht man die ganze Zeit beim Stricken.

Die Männer sind abwesend. Seribans Mann, Merals Vater, taucht nur ganz am Ende kurz im Bild auf. Die Frauen könnten niemals so sprechen, wäre ein Mann anwesend. Der Film macht etwas sichtbar und erfahrbar, was ansonsten versteckt geblieben wäre, aus Scham: er definiert die Grenzlinie zwischen Scham und Respekt, denn niemand braucht sich für sein Leben zu schämen.

Serap hatte einmal im Frauenhaus in Lübeck gearbeitet, da hat sie dann Meral getroffen, die gerade aus dem Schrecken ihrer Ehe geflohen war. Meral hat sich bei ihr ausgesprochen, so wie Seriban sich bei ihren Kolleginnen ausgesprochen hat. Serap ist dann zu Merals Mutter gegangen, die drei Frauen wurden Freundinnen, allerdings immer in einer Paar-Beziehung, nie wirklich zu dritt.

Der Film ist die Erfahrung der Regisseurin mit diesen beiden Frauen. Ihre Erzählungen werden zum Dialog, die Erfahrungen der Regisseurin zum Film - erweitert noch durch Bilder einer Hochzeit in der Türkei. Der Film ist die Spannung zwischen diesen Polen, und diese Spannung, der Prozeß des Nachdenkens, des Erkennens, also die Arbeit des Zuschauers.

Am Ende geht es vor allen Dingen um das Elend des Zusammenlebens von Mann und Frau. Als Serap Meral traf, war diese gerade ihrem Mann davongelaufen, der sie wie eine Sklavin im Haus hielt und schlug. Über den ehelichen Verkehr spricht sie nicht, aber sie erzählt davon, wie sie entjungfert wurde. Seriban wurde von ihren Eltern verheiratet; sie sagt, sie habe Glück gehabt, sie habe ihren Mann lieben gelernt. Die Braut auf der Hochzeit in der Türkei ist unglücklich, weint die ganze Zeit, schüttelt sich, wenn man sie berührt, steht abseits.

Geliebt haben alle drei einen anderen Mann, aber den durften sie nicht heiraten, das war so üblich. Vielleicht hätte Meral ihren Mann auch lieben gelernt, aber in Deutschland ist sie Teil eines anderen Lebens geworden, doch in ihm kulminiert einfach der Chauvinismus dieser wie seiner Gesellschaft, ohne daß ihn seine Kultur auffangen würde. Es geht niemandem darum, den anderen zu denunzieren, das zeichnet den Film aus. Es zeigt sich einfach, wie Veränderungen stattfinden, wie die kleinen Geschichten des einzelnen eine große Geschichte werden können. Es geht darum, wie sich Kulturen konstant verändern im Kontakt mit anderen Kulturen und daß nur Gewalt diese Veränderungen aufhalten kann - und selbst die nicht, wenn man nicht allein ist. Und noch eine andere Geschichte wird da erzählt: nämlich die, wie sich ein Mensch emanzipiert, jenseits aller Kulturen. Ein Film also über die Freiheit und ein Film darüber, wie Kultur durch ein Miteinander entsteht.

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