Kinderfilm | Deutschland 1991 | 87 Minuten

Regie: Gerd Haag

Zwei Mädchen und drei Jungen aus dem Ruhrgebiet träumen von einer Fahrt nach Sibirien mit einer selbst hergerichteten Draisine. Ein Lokführer a.D., der mit einer ausgedienten Dampflok ein ähnliches Ziel verfolgt, kommt ihnen anfangs in die Quere, ehe sie an einem Strang ziehen und sich ihren Traum erfüllen. Liebevoll inszenierter Kinderabenteuerfilm, der durch seine spannende und humorvolle Geschichte Kindern Mut macht, ihrer Fantasie zu vertrauen. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Tag-Traum/WDR
Regie
Gerd Haag
Buch
Andreas Engelmann · Hans Gerd Müller · Gerd Haag
Kamera
Reinhard Köcher
Musik
Wolfgang Böhmer
Schnitt
Corina Dietz
Darsteller
Rolf Hoppe (Hans Kastler) · Marcus Fleischer (Carlo) · Katharina Schüttler (Spange) · Isabel Dotzauer (Chip) · Christian Kitsch (Bob)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Kinderfilm
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Diskussion
Mehrere Kinderfilm-Festivals (u.a. in Berlin, Gera, Frankfurt, Essen) und das zunehmende Engagement von Kinobesitzern scheinen sich nun auch auf einheimische Produktionen auszuwirken. Wann gab es schon mal ein (Film) Jahr, in dem ein halbes Dutzend interessanter Kinderfilme deutscher Herkunft den Weg ins Kino fand. Während "Das kleine Gespenst" (fd 29 879) und "Die dumme Augustine" (fd 30 071) für die jüngsten unter den Kinobesuchern konzipiert sind, wenden sich "Die Distel" (fd 29 949), "Das Sommeralbum" (fd 29 971), "Die Honigkuckuckskinder" (fd 29 908) und "Die Lok" an jene Zielgruppe, die an der Schwelle von der Kindheit zur Jugend steht.

Eigentlich klar, daß es "hungrige Wölfe" nach Sibirien zieht. So nennt sich eine unternehmungslustige Ruhrgebietsbande, die Schule und Eltern satt hat. Aber der tiefere Grund für die Abenteuerlust der Mädchen Chip und Spange und der Jungen Carlo, Bob und Mega ist eine geheimnisvolle Karte von Chip, auf der eine Fundstelle von Saurier-Skeletten eingezeichnet ist. Und damit ihr Traum Wirklichkeit wird, möbeln sie in einem stillgelegten Lokomotivschuppen eine verrostete Draisine wieder auf. Der Computerfreak Mega hat schon die günstigste Fahrtroute ausgemacht, da werden die fünf Abenteurer von einem anderen "Interessenten" aus ihrem Schuppen vertrieben. Der ehemalige Lokomotivführer Kastler, möchte dort eine ausgediente Dampflok für ein Veteranentreffen herrichten. Mit allen möglichen Tricks versuchen die Kinder, wieder an ihre Draisine zu kommen. Aber erst als sie dem eigenbrötlerischen Bastler mit Megas Computerkentnissen ein seltenes Ersatzteil besorgen, erhalten sie im Tausch ihr Gefährt zurück und gewinnen langsam die Freundschaft Kastlers. Leider übersteht die Draisine ihre Jungfernfahrt nicht: sie rast führerlos in einen mit Gasflaschen gefüllten Schuppen und explodiert. Nun helfen sie Kastler bei der Instandsetzung der Lok. Und als ihr großer Freund bei einem Dampfdrucktest verletzt wird und ins Krankenhaus muß, beschließen sie, die Lok allein zum Veteranentreffen zu fahren. Am Morgen ihres Aufbruchs fehlt ausgerechnet der von seiner Mutter erwischte Mega. Was die Kinder nicht wissen: die Bremsen sind defekt und ein Sonderzug kommt ihnen auf derselben Strecke entgegen. Der mit dunklen Vorahnungen aus dem Krankenhaus geflüchtete Kastler und Mega fahren mit dem Auto hinter den Vier her, um die Lok auf ein totes Gleis umzuleiten, was in letzter Sekunde gelingt. Und da Kastler auf dem Veteranentreffen tatsächlich gewinnt, kommen die "Hungrigen Wölfe" doch noch zu ihrer Sibirien-Reise. Denn der erste Preis ist eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Klar, daß Kastner seine neugewonnenen Freunde und Helfer mitnimmt.

"Columbus hat auch nicht gewußt, wie es ausgeht", denken sich die Kinder und stürzen sich unbekümmert und voller Fantasie ins Abenteuer, was Buch und Regie in Bilder umgesetzt haben, denen man gerne zuschaut -auch weil sie für die Kinoleinwand konzipiert sind. Gerd Haag wagt sich auch mal an Totalen, an genau kalkulierte Fahrten und außergewöhnliche Kameraperspektiven, ohne prätentiös zu wirken. Genau wie der flüssige Schnitt trifft auch die Musik den richtigen "Ton" zwischen Abenteuerromantik und einem den Kindern bekannten modernen Sound. Man fühlt sich wie auf einem überdimensionalen Abenteuerspielplatz, wo es einfach Spaß macht, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Und das dabei die im Kinderfilm oft vernachlässigten Mädchen letztlich das Heft in die Hand nehmen, gibt dem Film noch einen weiteren Pluspunkt. Sie wissen, was sie wollen, auch wenn es um Zärtlichkeit geht. Daß Erwachsene in diesem Film kaum eine Rolle spielen, ist nur folgerichtig, empfinden sie die Kinder in ihrem Drang nach Abenteuern doch eher als störend. Sie verstehen auch nicht, was in ihren Kindern vorgeht, kommen ständig mit die Situation gar nicht erfassenden Vorschlägen oder "Befehlen". Das beschreibt Gerd Haag in sehr kurzen, aber präzisen Szenen, manchmal in der Schauspielerführung ein wenig zu karikierend. Diese kleine "Führungsschwäche" fällt auch in einigen Szenen mit den Kindern auf, die allein vor der Kamera unsicherer wirken als im Ensemble-Spiel. Da überträgt sich die Dynamik der Geschichte auf ihr Spiel und sie scheinen die Kamera zu vergessen. Geschickt vermeidet der Film jede Überdramatisierung des Stoffes. Als die Kinder von Kastlers Schäferhund verfolgt werden, wird keine Angst geschürt, sondern eine kindgerechte Spannung erzeugt, die auch Lösungsmöglichkeiten für solche Situationen anbietet. Und auch der Humor entwickelt sich ganz natürlich aus den Gegebenheiten heraus. Diese leisen Töne machen den Film sympathisch. Daß konsequentes offenes Zugehen auf sich ablehnend verhalten de Menschen manche Kluft überwinden kann, zeigt die Freundschaft, die sich allmählich zwischen Kastler und den Kindern entwickelt. Rolf Hoppe spielt hier seine ganze schauspielerische Routine aus, um mit wenigen Gesten und Blicken aus einem "verletzten" wieder einen lebensfrohen Menschen zu machen. Aber keine "Botschaft" kommt mit dem pädagogischen Zeigefinger daher, sie entwickelt sich zwangsläufig aus der Geschichte heraus. Wie fein der Film auch mit "Gewalt" umgeht, zeigen die Szenen mit dem "bösen" Nachbarn Löwi: die Kinder erwehren sich seiner nicht mit "Waffen", sondern ihnen genügen ein paar Maulwürfe oder der gespielte epileptische Anfall. Auch die Computer-Manie bekommt quasi zwischen den Bildern ihr Fett ab: der Informatik-Freak Mega ist zwar das organisatorische Gehirn der Gruppe, aber er ist vom Typ her so besetzt, daß man meint, die alten Streber haben nur ihre Lerninstrumente gewechselt. Trotzdem bleibt er immer liebenswürdig, weil die Regie - wie auch bei den anderen Charakteren - vermeidet, sich auf Kosten der Figuren lustig zu machen. Nicht Schadenfreude, sondern reine Freude (und Spannung) zu erzeugen ist Ziel des Films, das er mit Konsequenz anstrebt, was über einige inszenatorische "Holprigkeiten" hinwegsehen läßt.
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