Ludwig II. (1972)

Biopic | Italien/Frankreich/BR Deutschland 1972 | 235 (gek. 144) Minuten

Regie: Luchino Visconti

Leben und Leiden des "Märchenkönigs" Ludwig II., der sowohl an seinen Herrscherpflichten als auch an seinen persönlichen ästhetischen Utopien zerbricht. Stilsichere und poetische, ebenso einfühlsame wie sezierende Studie einer anachronistischen Existenz und des Scheiterns einer Selbstbefreiung. Luchino Visconti gelingt es überzeugend, die rauschhafte Ästhetik des 19. Jahrhunderts aufwendig zu beschwören und zugleich mehrfach kritisch zu brechen. Der Film liegt seit 1993 in einer ungleich längeren rekonstruierten Fassung des ZDF vor, die durchaus neue Wertungsakzente zuläßt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LUDWIG | LE CREPUSCULE DES DIEUX
Produktionsland
Italien/Frankreich/BR Deutschland
Produktionsjahr
1972
Produktionsfirma
Mega/Cinetel/Divina/Dieter Geissler Filmprod.
Regie
Luchino Visconti
Buch
Luchino Visconti · Enrico Medioli
Kamera
Armando Nannuzzi
Musik
Robert Schumann · Richard Wagner · Jacques Offenbach · Franco Mannino
Schnitt
Ruggero Mastroianni
Darsteller
Helmut Berger (Ludwig II.) · Romy Schneider (Elisabeth von Österreich) · Trevor Howard (Richard Wagner) · Helmut Griem (Dürckheim) · Nora Ricci (Ida von Ferenczy)
Länge
235 (gek. 144) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Historienfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Special Edition (2 DVDs) beinhaltet die fünfteilige Langfassung des Films (247 Minuten) sowie die erhellende, 60-minütige TV-Dokumentation "Lucino Visconti" von Carlo Lizzani.

Verleih DVD
Kinowelt (FF, Mono ital./dt.)
DVD kaufen

Luchino Viscontis Porträt des bayerischen „Märchenkönigs“ als Teil seiner „Deutschen Trilogie“ über Dekadenz und Wirklichkeitsverlust.

Diskussion
Endlich liegt nun eine befriedigende, Viscontis Intentionen denkbar nahe kommende Version des Films auch für das deutsche Publikum vor. Die Verleihfassung im Jahr 1972 (fd 18 274) war fast 100 Minuten kürzer (vgl. Artikel in fd 6/1992) - ein Tribut, den man dem Geschäftssinn der Kinobesitzer und den zu erwartenden Protesten hitziger königstreuer Gemüter in Bayern glaubte zollen zu müssen. Dabei riskierte man die Verzerrung höherer Sinnzusammenhänge, ja sogar die Auflösung der Chronologie. Gespenstische Eingriffe dämpften die zentrale Kunst- und Sexualthematik bis zur rührenden Biederkeit ein. In der Tat ein gründlicher Akt der Barbarei, der nun glücklicherweise durch die Bemühungen des ZDF wieder wettgemacht wurde.

Der Zeitraum des Films umspannt Ludwigs Laufbahn von der Krönung bis zu seinem Tod im Starnberger See. Seine platonische Liebe zu Elisabeth von Österreich, das vergebliche Bemühen durch die Freundschaft mit Wagner selbst zu ewigem Künstlerruhm emporzusteigen, innen- und außenpolitische Niederlagen, zunehmende Verweigerung der Regierungs-pflichten und Wegdämmern in exaltierte Kunstwelten und homoerotische Schwärmerei und schließlich der schleichende Wahnsinn, an dessen Ende Absetzung, Internierung und mutmaßlicher Selbstmord stehen, kennzeichnen seinen Weg. Visconti inszeniert, ja zelebriert die hinlänglich bekannten Lebensstationen seines Helden mit unverhohlener Sympathie in schwelgerischen und dekadent schönen Szenenfolgen, deren Rhythmus mehr von musikalischen als erzählerisch-dramaturgischen Erwägungen diktiert scheint. In der Tat macht er sich Ludwigs entrückt-subjektive Sicht zu eigen, taucht ein in den gefährlichen Sog der großen Bilder voll Suggestion und Illusion. Dagegen aber setzt er karge, quasi-dokumentarische Kommentarsequenzen, die eine Art kühle Gegenposition zur ästhetisierenden Binnenerzählung darstellen. Gerade diese wichtige Wechselwirkung der Betrachtungsebenen war durch die Kürzungen erheblich aus der Balance geraten und damit die Brisanz dieser einfühlsam-kritischen Auseinandersetzung bedenklich aufs Spiel gesetzt.

Nicht nur diese formale Dialektik betont den kritischen Ansatz des Films, sondern vor allem auch sinnfällige Spiegelungen und Kontrastierungen in der Führung der Nebenfiguren. Die von Romy Schneider mit Bravour verkörperte Elisabeth ist nicht allein Ludwigs vollkommene weil unerreichbare Liebe, sie ist in der ausführlichen Fassung sowohl sein weibliches Ebenbild als auch sein ironischer Gegenpart. Beide verbindet das Wissen, Vertreter einer überlebten Gesellschaftsform zu sein, lebende Anachronismen; die Geschichte der europäischen Herrscherhäuser erscheint ihnen als eine Abfolge von "Inzesten und Brudermorden". Aber während Elisabeth immerhin mit scharfsinnigem Witz rebelliert, weicht Ludwig zurück in Verweigerung, Träumerei und Exzesse. Er stiehlt sich weg aus seiner politischen Verantwortung, ohne seine hehren Kunstutopien auch nur annähernd einlösen zu können. Und mit diesen Kunst-Utopien ist es wahrlich nicht weit her. Er lebt ein lediglich angemaßtes Künstlertum aus zweiter Hand. Allenfalls Pomp und Eklektizismus kann der sensible Weltfiüchtling seiner politischen Tatenlosigkeit entgegensetzen. Und ironischerweise klammert er sich ausgerechnet an Wagner und Kainz, jene Genies, die sich in kürzester Zeit als raffgierige Bourgeois entpuppen. Hier variiert der politische Skeptiker Visconti ein Thema aus "Der Leopard" (1962, fd 12 378), wo er eine in Schönheit zugrundegehende Feudalgesellschaft gegen ein nicht minder fragwürdiges Geld-Bürgertum ausspielt.

Die nur halbherzige, allein nach innen gerichtete Rebellion des Helden setzt sich auch in seinem Intimleben fort. In einer Schlüsselszene mit dem Beichtvater - einer der wenigen Szenen, in denen die Chronologie durchbrochen wird - montiert Visconti in die Leugnung Ludwigs, seinen homosexuellen Neigungen erlegen zu sein, eine doppelte Rückblende auf den tatsächlich erfolgten "Sündenfall" hinein. Dieser Lossagung aus dem Kanon gesellschaftlicher und kirchlicher Regeln haftet zugleich etwas Rebellisches und Blasphemisches, aber auch Jämmerliches an, sie irrlichtert seltsam zwischen Feigheit und verzweifeltem Aufbegehren. Und die oft zensierte Orgienszene in der Hundinghütte macht es endgültig deutlich: hier findet keine lustvolle Befreiung körperlicher Sehnsüchte statt, sondern eher ein schwülstiges "schuldbeflecktes" Zwangsritual. Der homosexuelle Künstler Visconti spricht hier bei aller Sympathie und Seelenverwandtschaft letztlich, ein trauriges Urteil über seinen Helden.

Diese wenigen exemplarischen Schlaglichter auf die Hauptthemen dieses stimmungsvollen elegischen Meisterwerks mögen genügen, um deutlich zu machen, welch vielschichtige Inhalte und welche gesellschaftskritische Brisanz hier durch sinnentstellende Kürzungen bis zur Unauffälligkeit eingeebnet wurden. Zugleich mögen diese Schlaglichter aber auch genügen, um den angesichts der verharmlosenden deutschen Schnittfassung aufgetauchten Einwänden zu begegnen, Visconti sei der ästhetischen Scheinwelt seines Helden allzu ungebrochen erlegen. Und noch eines macht die wiederhergestellte lange Fassung erst richtig deutlich: ob Visconti nun in ausufernder Pracht schwelgt oder mit fast makabrer Hartnäckigkeit den körperlichen und seelischen Verfall des Helden bis an die Grenzen von Kitsch und Überdruß ausbreitet, immer dient die Ausführlichkeit und Eindringlichkeit seines Verfahrens dazu, die Ambivalenz der verführerischen Bilderwelt der Epoche aufzudecken. Bewußt und methodisch überschreitet er bisweilen heute gültige Geschmacksgrenzen. Er inszeniert eine Schönheit, die sich gleichsam in ihrer Maßlosigkeit selbst verzehrt.
Kommentar verfassen

Kommentieren