Auf der Jagd nach dem Nierenstein

Abenteuer | Norwegen 1996 | 91 Minuten

Regie: Vibeke Idsøe

Auf einer norwegischen Insel hört ein Achtjähriger auf die Einflüsterungen seines Teddybären, durch einen Zaubertrank auf Stecknadelkopfgröße zu schrumpfen und im Körper seines todkranken Großvaters nach dem Rechten zu sehen. Eine an Puppen- und Kindertheater orientierte märchenhafte Abenteuerreise, die vergnüglich und lehrreich zugleich abstrakte Körpervorgänge und seelische Gemütslagen in fantasievolle Bilder umsetzt. Die etwas düstere, gleichwohl liebevolle Inszenierung eröffnet der kindlichen Fantasie weite Räume und vermag durch ihren optischen Einfallsreichtum auch Erwachsene mühelos zu fesseln. (Videotitel: "Die phantastische Reise des kleinen Simon") - Sehenswert ab 8.
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Filmdaten

Originaltitel
JAKTEN PA NYRENSTEINEN
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Filmkameratene AS/AB Svensk Filmindustri/Norsk Film AS/NRK Drama
Regie
Vibeke Idsøe
Buch
Vibeke Idsøe
Kamera
Kjell Vassdal
Musik
Ragnar Bjerkreim
Schnitt
Håkon Overås
Darsteller
Torbjørn T. Jensen (Simon) · Jenny Skavlan (Alveola) · Benjamin Helstad (Karta) · Terje Strømdahl (Großvater) · Caecilie Norby (Großmutter)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 8.
Genre
Abenteuer | Fantasy | Kinderfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Nicht an sondern zu den Nieren geht die Reise im wunderbaren Spielfilmdebüt der 30jährigen Norwegerin Vibeke Isdöe, die Joe Dantes "Reise ins Ich" als Ausgangsidee für einen ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Kinderfilm genutzt hat. In ihm vertraut der achtjährige Simon den Einflüsterungen seines Teddybärs, sich mit Hilfe eines magischen Chemiekastens auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen zu lassen, um im Körper seines kranken Großvaters nach dem Rechten zu sehen. Notwendig wird diese ungewöhnliche Exkursion, weil sie auf einer abgelegenen norwegischen Insel leben und Hilft; von außen nicht mehr rechtzeitig eintreffen würde. Über den Mund schlüpft der winzige Blondschopf ins Körperinnere, wo er auf einen Jungen namens Karta und dessen Freundin Alveola stößt, ein weißes und ein rotes Blutkörperchen, die ihm ihre Unterstützung zusagen. Gemeinsam durchstöbern sie Herz und (Raucher-)Lunge, landen in Magen und Blase, werden in der Galle festgehalten, um schließlich doch die lebensbedrohende Ursache zu finden: bizarre Salzhacker kristallisieren jeden Tropfen Körperflüssigkeit, um einen riesigen, funkelnden Nierenstein zu errichten. Gegen deren unermeßliche Gier könnten nur die Tränenmacher helfen. Doch seit vor mehr als dreißig Jahren Großvaters Frau, eine junge Jazzsängerin mit der rauhesten Stimme Skandinaviens, gestorben ist, sind dem alten Mann die Tränen versiegt. Rat wissen schließlich Herr A. Pendix, der unterbeschäftigte, von allen gemiedene Chef des Blinddarms, und die Bewohnerin des Herzens: Simons Großmutter, die nach ihrem Tod im Herzen ihres Mannes Wohnstatt genommen hat.

So schlicht und zugleich faszinierend verbinden sich in dieser märchenhaften, an Puppen- und Kindertheater orientierten Inszenierung abstrakte Körpervorgänge und seelische Gemütslagen zu einer spannenden Abenteuergeschichte, die mühelos auch Erwachsene fesselt. Seinen erstaunlichen optischen Einfallsreichtum verdankt der Film dem glücklichen Umstand, daß für die Produktion nur in begrenztem Umfang digitale Trickkünste zur Verfügung standen und die junge Regisseurin aus der Not eine Tugend zu machen wußte. Aus der simplen Idee, den Körper als begehbare Landschaft zu interpretieren, entwickelt sie ein fantastisches Universum, eine geheimnisvolle Innenwelt, die von menschenähnlichen Wesen bevölkert ist: im Kehlkopf sitzt ein spindeldürrer Organist an einer gewaltigen Orgel und spielt jene Kompositionen, die ihm von der Zentrale im Gehirn zugeleitet werden; das Herz gleicht einer riesigen Philharmonie, dessen Orchester die seelische Grundmelodie intoniert; in der giftgrünen Galle spalten sie Fett und Vitamine und wird auch das schlechte Gewissen geschürt; Herr A. Pendix schließlich haust in einer staubigen, gelbbraunen Halle. Die Zeichen der Krankheit und des körperlichen Verfalls sind dezent gesetzt. Zwar schleppen sich in der Lunge übel verkrustete Gestalten durch rußigen Schlamm und wird über den schlechten Atem lamentiert, der für Erwachsene eindeutig mit Nikotin assoziiert wird, doch das Alter hat seine Spuren hauptsächlich im altmodischen Ambiente hinterlassen, das wie ein Großteil der Bewohner auf viele Jahre zurückschauen kann.

Neben der liebevoll in Szene gesetzten medizinischen Expedition und dem amüsanten Spiel mit den Sprachmetaphern durchlebt das Trio bei seiner Wanderschaft auch eine beträchtliche Bandbreite menschlicher Gefühle, von leiser Eifersucht und Rivalität bis zu Freundschaft und Solidarität. Auch wird das traurige Geheimnis des Großvaters andeutungsweise enthüllt, der über dem Tod seiner Frau einen Großteil seiner Vitalität verloren hat. Die distanzierte, kühle Atmosphäre, bildlich durch stets ein wenig zu groß wirkende Räume angedeutet, füllt sich mit wärmeren Farben, als die Großmutter Simon mit einem Auftrag zurückschickt: Der Großvater soll beim Treffen mit seinen alten Bandkollegen, zu dem er am nächsten Tag aufbrechen will, wieder jenes Lied auf dem Saxophon spielen, das sie einst zusammenführte: Medizin für das gebrochene Herz, deren Weisheit aus dem eigenen Innern kommt. Auch wenn kleine Zuschauer solche Zusammenhänge nicht wahrnehmen werden, verstehen sie doch wie im Märchen, wovon die Rede ist: weil die putzigen Gestalten ihrer Fantasie das Tor öffnen und zur altersgemäßen Auseinandersetzung animieren. Vibeke Idsöes Geschick, vieles über plastische Bilder anzudeuten und die pädagogischen Intentionen mühelos in die stringent und unterhaltsam erzählte Traumreise einzubinden, macht ihren sympathischen Film zu einem sehenswerten Stück Familienkino.
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