Toulouse-Lautrec

Biopic | Frankreich 1998 | 126 Minuten

Regie: Roger Planchon

Filmische Biografie des Malers Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901), die sich um eine möglichst "komplette" Erzählung des Künstlerlebens bemüht. Dabei bleibt der Film in der Aufbereitung seiner Stationen allzu oft an der Oberfläche und reproduziert lediglich weitgehend bekannte Klischees, so etwa in der Darstellung des vergnügungssüchtigen Pariser Nachtlebens. Aufwendig ausgestattet, fesselt er durch die glänzende Fotografie sowie teilweise vorzügliche Darsteller und überzeugt vor allem in der Darstellung der schwierigen Beziehungen innerhalb der Familie des Künstlers. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LAUTREC
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Les Films du Losange/Le Studio Canal +/France 3 Cinéma/Societad General Cine SA
Regie
Roger Planchon
Buch
Roger Planchon
Kamera
Gérard Simon
Musik
Jean-Pierre Fouquey
Schnitt
Isabelle Devinck
Darsteller
Régis Royer (Henri de Toulouse-Lautrec) · Elsa Zylberstein (Suzanne Valadon) · Anémone (Adèle de Toulouse-Lautrec) · Claude Rich (Alphonse de Toulouse-Lautrec) · Jean-Marie Bigard (Aristide Bruant)
Länge
126 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Ein Mann im Freudentaumel: Alphonse de Toulouse-Lautrec feiert die Geburt seines „Stammhalters“. Zahlreiche geladene Gäste, das Personal und eine Musikkapelle werden zu Teilnehmern einer ausgelassenen Festlichkeit, die weniger der Geburt an sich als dem „richtigen“ Geschlecht des Neugeborenen gilt. Wenige Jahre später: Der kleine Henri muß sich schmerzhaften medizinischen Prozeduren unterziehen, die – so erklärt der behandelnde Arzt dem verzweifelten Vater unzweideutig – am Faktum seiner körperlichen Behinderung nichts ändern werden. Schließlich sei den Eltern bewußt gewesen, daß ihre Blutsverwandtschaft als Vetter und Cousine ein Risiko für die Gesundheit ihrer Nachkommen darstellen würden.

Schon in diesen beiden Sequenzen wird deutlich, mit welchem Konzept Roger Planchon an die filmische Aufarbeitung eines Künstlerlebens herangeht: Historische Fakten, Stationen und Anekdoten werden zu schlaglichtartigen und oftmals üppig ausgestalteten Szenen verdichtet, die sich zu einer Art bewegtem Bilderbogen fügen. Was in dieser Exposition – im Gegensatz zu späteren Episoden des Films – auch ausgezeichnet funktioniert. Die komplexen, durchgängig aus einer schwierigen Mischung von Zuneigung und Schuldgefühlen gespeisten Beziehungen der Familienmitglieder untereinander kommen in den Blick. Nach der Geburt Henris entfremden sich Vater und Mutter zusehends: Während der exzentrische Zyniker Alphonse sich mehr und mehr ins Vergnügen der Jagd und der sexuellen Ausschweifungen stürzt, zieht sich die innerlich zutiefst vereinsamte Adèle in stummes Leiden und ihren Glauben zurück. Der junge Henri wächst in dieser Umgebung wohlbehütet, um nicht zu sagen ein wenig verhätschelt auf und erfährt jede Unterstützung, wenn es darum geht, sein Talent im Zeichnen und Malen zu entwickeln. Als junger Mann geht Henri nach Paris, um eine akademische Ausbildung als Maler zu genießen. Er gerät mitten in eine Atmosphäre des Auf- und Umbruchs, die von mit aller Heftigkeit geführten „Glaubenskriegen“ zwischen Traditionalisten und „radikalen“ Erneuerern geprägt ist. Und er begegnet der Malerin Suzanne Valadon, die gleichermaßen von seinen Bildern wie seiner Fähigkeit beeindruckt ist, die Wechselfälle des Lebens mit äußerlich stets gleichbleibender Heiterkeit hinzunehmen. Zwischen beiden entwickelt sich eine leidenschaftliche Affäre, die immer wieder von künstlerischen wie privaten Rivalitäten, Eifersüchteleien und Trennungen geprägt ist. Der „Zwerg“, wie sich Henri selbst gern nennt, wird zu einer zentralen Figur der Künstlerszene im Montmartre-Viertel. In der Begegnung mit Vincent van Gogh (mit unerträglichem Pathos gespielt von Karel Vingerhoets) findet Lautrec einen Geistesverwandten. Spätestens dessen Tod und die endgültige Trennung von Suzanne Valadon bringen die selbstzerstörerischen Momente seiner Persönlichkeit ans Licht. Der plötzliche Ruhm durch ein Plakat fürs Moulin Rouge kann nicht verhindern, daß der Maler mehr und mehr Zeit in den Bordellen des Viertels verbringt und immer exzessiver dem Alkohol zuspricht. Trotz der Unterstützung durch Freunde und Familie wird Lautrec zum syphilitischen Wrack, dessen Tage gezählt sind. Er stirbt 36jährig im Kreis seiner Familie.

Wenn es Roger Planchon nur darum gegangen ist, die Atemlosigkeit eines Künstlerlebens auf Zelluloid zu bannen, muß man ihm volle Anerkennung zollen. Atemlos, viel zu atemlos ist sein Film darum bemüht, historische Begegnungen, Stimmungen und Schauplätze auferstehen zu lassen, als gelte es, ein Leben in zwei Filmstunden um jeden Preis möglichst „komplett“ zu erzählen. So ersteht – mit aller handwerklichen Sorgfalt – einmal mehr das Bild eines vergnügungssüchtigen Pariser Nachtlebens, wie man es in zahllosen Filmen zuvor gesehen hat; einmal mehr das Porträt einer ebenso leidenschaftlichen wie destruktiven Liebesbeziehung; und einmal mehr fallen Sätze wie „Die Malerei ist ein menschenfressendes Ungeheuer“, ohne daß Planchon dem Publikum je die Zeit ließe, sich auf die inneren Qualen seines Protagonisten emotional einzulassen. Zumindest gelten diese Einwände für die in Paris spielenden Szenen. Ungleich dichter wirken stets die Ausflüge ins ländlich-aristokratische Milieu der Familie, als ließen die großzügigen Parkanlagen und weiträumigen Zimmer des Familienschlosses auch mehr Platz für die Gefühle – selbst die unterdrückten Gefühle – der Personen, die sich in ihnen bewegen. Mit Claude Rich und Anémone verfügt Planchon allerdings auch über zwei exzellente Schauspieler, in deren Darstellung des desillusionierten Elternpaares sich weit mehr finstere Abgründe auftun als in der Liebesgeschichte zwischen Henri und Suzanne Valadon. Wäre hinsichtlich des Drehbuchs weniger sicher mehr gewesen, so gebührt Gérard Simons Fotografie allergrößter Respekt. Wenn sich zum Beispiel (zu Beginn von Henris Zeit in Paris) bei einer sommerlichen Landpartie der jungen Künstler die Farb- und Lichtgebung der Impressionisten in seinen Bildern wiederfindet, ist mehr über die Atmosphäre der Zeit erzählt als in manch wortreichem Disput über die Aufgabe der Kunst.
Kommentar verfassen

Kommentieren