- | Österreich 1998 | 102 Minuten

Regie: Michael Bindlechner

Die Geschichte dreier junger Leute am Rande einer österreichischen Industriestadt. Ein 17-jähriger sucht seinen Platz im Leben, begegnet einem Mädchen und bittet es, seine Freundin zu sein. Die junge Frau lässt sich darauf ein und träumt dennoch von einem imaginären Glück in weiter Ferne. Sein Freund indes hat das unstete Leben satt. Diese "menage à trois" verläuft ohne Besitzansprüche; die Helden tasten nach Nähe, Geborgenheit, Harmonie. Der undramatische, in einzelnen Momenten wie hingetupft wirkende Film überzeugt durch die Intensität des Spiels und die Genauigkeit der sozialen Hintergründe. Eine Alltagsstudie, die sich unaufdringlich zum philosophischen Gleichnis verdichtet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IN HEAVEN
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Frames Filmprod./Edgar Reitz Filmprod.
Regie
Michael Bindlechner
Buch
T.G. Téglásy Gergely
Kamera
Michael Kaufmann
Musik
Flora St. Loup
Schnitt
Eliska Stibrova
Darsteller
Sylvie Testud (Valeska) · Xaver Hutter (Csiwi) · Merab Ninidze (Levi)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Fernab aufgeplusterter Kabarettfilme („Hinterholz 8“, fd 33 693) und krachlederner Parodien („Helden in Tirol“, fd 33 662) gibt es im österreichischen Kino auch dies: eine kleine, feine Alltagsstudie, die sich unaufdringlich zum philosophischen Gleichnis verdichtet. „In Heaven“, das Debüt des 42-jährigen Michael Bindlechner, fabuliert über die Freundschaft dreier junger Leute und braucht dazu nicht viele Worte. Seelenzustände werden durch Bilder und Stimmungen transparent gemacht. Es geht um Einsamkeit und Hoffnung, um Utopien und deren Zerstörung durch den Tod. Csiwi, der 17-jährige Held, erzählt die Geschichte: Seine aus dem Off gesprochenen Worte weisen das Geschehen als Erinnerung an einen unvergesslichen Sommer aus – eine subjektive Reminiszenz, die eine gewisse Weichheit beansprucht, aber romantische Verklärung eher scheut. Die erste Szene umreißt, wie Csiwi lebt: Zu sehen sind ein Haus am Rande einer Großstadt und eine Wohnung, in der nichts zu Ende gebracht ist. Die Wände sind nicht geputzt, die Wäsche nicht gebügelt, die Küche nicht aufgeräumt. Der Vater ist weggelaufen; die Mutter hat sich einen anderen Mann ge-nommen; der Bruder, ein Automechaniker, versucht sein Glück mit alten Autos: auch hier mehr Schrott als fertige Ware. Csiwi hilft ihm, weder mit Lust noch Erfolg. Nebenbei hehlt er ein bisschen, ohne dass der Film das näher ausführt; die Gelegenheitsgaunereien sind nur für die Atmosphäre wichtig, nicht für die Story.

So undramatisch, eher getupft als forciert, setzt sich der Film dann fort, als Valeska in Csiwis Alltag tritt. Mit ihr erfährt sein Dasein einen neuen Sinn. Es ist ein schöner, poetischer Einfall, wie Bindlechner die Unbeholfenheit des Jungen und zugleich seine Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Liebe skizziert: Csiwi nimmt Valeskas Pass aus der Handtasche, behält ihn bei sich und bietet ihn zum Tausch gegen ihre Freundschaft an. Wo in der deutschen Beziehungskomödie die auf Achtung und Unabhängigkeit pochende Frau vermutlich lautstark ausgerastet wäre, folgen hier nur ein paar Blicke: Sylvie Testud, die die Szene vollkommen beherrscht, erfühlt gleichsam die Hilferufe des Jungen und lässt sich auf ihn ein. Wie vieles, delegiert Bindlechner auch das Weiterdenken erotischer Momente in den Kopf des Zuschauers: Man sieht, wie Valeska nackt im See badet, wie es zu ersten Berührungen der beiden am Ufer kommt; dazu erklingt ein Klaviermotiv, dann wird abgeblendet. Solche „Lücken“, die den Film als Hommage an ebenso intensive wie dezente französische Liebesgeschichten der 60er-Jahre, vor allem an die Arbeiten eines François Truffaut, ausweisen, gibt es mehrfach. So lässt Bindlechner das Paar allein, als Sylvie dem Jungen gesteht, dass sie eine Flugkarte nach Mexiko gekauft hat. Als mit Levi ein Dritter in den Bund gerät, spart „In Heaven“ – jenseits alles Spekulativen – die gemeinsame Liebesnacht aus und zeigt nur den Morgen, das Erwachen, das Glück auf den Gesichtern. Keine Frage, dass auch die „menage à trois“ ohne dramatische Ausbrüche abläuft, ohne Eifersüchteleien und Intrigen. Niemand meldet Besitzansprüche an; stattdessen verharrt der Film konsequent beim lebens-, ja überlebensnotwendigen Tasten nach Nähe, Geborgenheit, Harmonie.

Dennoch ist nicht alles nur fließend, angedeutet, veristisch. Bindlechner hat das Dreieck seiner Hauptfiguren genau auskalkuliert: Csiwi steht im Mittelpunkt; er wird im Lauf des Geschehens erwachsener, und in diesem Zusammenhang gesteht ihm der Film auch die einzige dramatische Szene zu: die Jagd im Auto nach dem Zug, mit dem das Mädchen davonfährt. Valeska sucht ihren Platz im und zum Leben gewissermaßen schon auf einer höheren Stufe: Sie glaubt, dass ihr Traum vom Glück nur in einer imaginären Ferne wahr werden kann, und nimmt dafür die Trennung, den Abschied, die große Reise auf sich. Ihr Bild vom Paradies trägt sie in der Westentasche: das Foto einer Landschaft mit Brücke, irgendwo aufgenommen, nicht konkret lokalisierbar. Levi, auf der anderen Seite der Waage, hat dagegen das Unstete satt: „Immer wieder neu anfangen“, sagt er, „das ist doch das Beschissenste, was es gibt.“ Beide ahnen, dass der Moment des Glücks, in dem sie sich gerade befinden, vielleicht schon das Ziel sein könnte. Aber der Zufall spielt nicht mit – und hält einen plötzlichen, unsinnigen Tod parat, der den Sommer abrupt beendet. „In Heaven“ beeindruckt durch seine soziale Genauigkeit, sein Gespür fürs Milieu, für private und Arbeitswelten. Ob Disco oder China-Imbiss, ob die als großes Tableau ausgeführte bulgarische Hochzeit oder die Silhouette der Industrielandschaft: nichts riecht nach Erfundenem, bedeutungsvoll Ertüfteltem; alles wirkt einfach, klar und doch doppelbödig. Die Musik führt, den Stimmungen entsprechend und diese mit erzeugend, vom weichen Trompetensound zu kraftvollen Csardas. Die Darsteller arbeiten vor allem mit Blicken, Lächeln, scheuen Handbewegungen. Bindlechner gelang ein Debüt voller Zärtlichkeit und leiser Trauer. Ein auf den ersten Blick unscheinbarer – und sehr poesievoller Film.
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