Das Meisterspiel

- | Deutschland 1998 | 105 Minuten

Regie: Lutz Dammbeck

Dokumentarfilm über einen spektakulären Fall von Bilderstürmerei, in deren Rahmen 1994 zahlreiche Gemälde des prominenten Avantgardisten Arnulf Rainer übermalt worden waren. Allerdings geht es dem Filmemacher Lutz Dammbeck nur scheinbar um die Aufklärung der verwirrenden Vorfälle: Seine Arbeit erweist sich als ein aufregender Exkurs über die Moderne sowie über ihre Euphorien, Krisen und Widersprüche. Dammbeck, selbst ein bildender Künstler von Gewicht, stellt mehr Fragen als dass er Antworten gibt, was sich als besondere Qualität seines Films herausstellt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Lutz Dammbeck Filmproduktion
Regie
Lutz Dammbeck
Buch
Lutz Dammbeck
Kamera
Eberhard Geick · Thomas Plenert · Leo Potesil
Musik
J.U. Lensing
Schnitt
Margot Neubert-Maric
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Diskussion
1994 waren in Arnulf Rainers Atelier in der Akademie der Bildenden Künste zu Wien zahlreiche großformatige Arbeiten schwarz übermalt worden. Eine zusätzliche Aufschrift spielte mit der Formulierung „Und da beschloß er, Aktionist zu werden“ auf den Satz „Ich aber beschloß, Politiker zu werden“ aus Hitlers „Mein Kampf“ an. Ein pikantes Detail, und dies nicht nur deshalb, weil es sich ausgerechnet in jener Kunsthochschule fand, von der der Postkartenkopist Adolf Hitler 1907 und 1908 abgewiesen worden war. Der Avantgardekünstler Arnulf Rainer selbst war es, der umgehend die Urheberschaft des Anschlags im rechtsnationalen Lager ansiedelte. Ein wenig später eintrudelndes mehrseitiges Bekennerschreiben schien diese Theorie zu bestätigen: Es kristallisierte sich das Täterprofil eines sprachlich hochbegabten jungen Mannes heraus, dessen Bildung sowohl juristisch als auch musisch geprägt war und der in Professor Rainer die Inkarnation einer moralisch verderbten, linksintellektuellen Moderne sah. Mit Christian Böhm-Ermolli, einem zeitweiligen Schüler Arnulf Rainers und auch Peter Weibels, gab es bald einen konkreten Verdächtigen. Der nach seinem Kunststudium zur Leitfigur der rechten Szene Aufgestiegene hatte sich 1996, gerade einmal 31jährig, durch Kopfschuß getötet. Beweise für seine Verstrickung in den Fall gibt es keine. Es schien hingegen eine Zeitlang denkbar (und es wurde in Wien auch laut darüber nachgedacht), daß hinter dem geheimnisvollen Attentat niemand anderes als der „Malerfürst“ Rainer selbst stand. Lediglich ein Beispiel für Wiener Schmäh? Oder eine eher naheliegende Spekulation, da dem Geschädigten durch die Tat auch einige Vorteile erwuchsen? Immerhin stellte sich infolge der unfreiwilligen (?) Publicity eine erneute Nachfrage auf dem Kunstmarkt ein.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß der als „Übermaler“ in die Kunstgeschichte eingegangene Rainer am Ende seiner Laufbahn selbst einer Übermalungsaktion zum Opfer fällt. In Lutz Dammbecks Film nimmt es schon groteske Züge an, wenn nach und nach immer mehr Bilder bei der Polizei als übermalt gemeldet werden – im ersten Moment hatte Rainer sie nämlich nicht als geschändet erkannt. (Jemand, der einst berühmt geworden war für den zerstörerischen Akt, wird nun beim Amt vorstellig, um Zerstörungen zu melden, ist sich aber nicht sicher!) Jedenfalls konnte der Fall bis zum heutigen Tag nicht geklärt werden. Die vielen Ungereimtheiten und Widersprüche blieben ebenfalls bestehen. Wie konnte der Täter überhaupt ohne Gewaltanwendung, aber mit vielen Eimern Farbe im Gepäck in das Atelier eindringen, um dort stundenlang ungestört an den Übermalungen zu arbeiten? Warum blieb der Anschlag viele Tage unentdeckt? Warum verweigerte Gabriele Wimmer, die Galeristin Rainers, trotz vorheriger Zusage ein Statement zu den Vorfällen? Gibt es Verbindungen zwischen dem Anschlag auf Rainers Bilder und den berühmten Briefbomben-Attentaten?

Dammbecks Film stellt mehr Fragen als er Antworten liefern will und kann. Das ist seine große Stärke und stellt gleichzeitig sein künstlerisches Programm dar. Denn natürlich geht es ihm nicht um eine investigative Recherche. Vielmehr benutzt er den vorliegenden Kriminalfall als Plattform für kulturhistorische Exkurse, die den Künstler Lutz Dammbeck unmittelbar selbst betreffen. Insofern kann man „Das Meisterspiel“ sogar als autobiografischen Film bezeichnen. Im erwähnten Bekennerschreiben ist ausdrücklich vom Verrat die Rede, den Männer vom Schlage Rainers an der Idee einer revoltierenden Moderne begangen haben. Was not tut, so die unterschwellige Botschaft des anonymen Schreibens, sei eine neue Moderne – aber diesmal von rechts! Nach dem „Ende der großen Erzählungen“ (Lyotard), klagen die theoretischen Wortführer der Ultrakonservativen ausgerechnet eine Revision der Moderne selbst ein. Dammbeck wirft sich in seinem „Meisterspiel“ an keiner Stelle zu kulturtheoretischen Thesen auf. Allerdings produziert das Arrangement der Faktenfülle ständig entsprechende Mutmaßungen. Off-Kommentar, dokumentarisches Material, Interviews usw. – alle Ingredienzen könnten auch die einer klassischen Dokumentation sein. Eine Täuschung. Denn hinter der Folie dieser detektivisch angelegten Film-Recherche versteckt sich die konsequent angewandte Methode einer offen strukturierten Assoziationsmontage. Den wirklichen Film bekommt man auf der Leinwand nicht zu sehen – er kann sich nur im Kopf des Zuschauers herstellen. Dabei scheinen Rollen und Zuordnungen vertauscht. Aus Linken werden Rechte, aus Künstlern werden Terroristen, aus Kunsthistorikern werden Polizei-Informanten, aus Kommissaren Kunstgutachter, aus Terroristen Künstler. Finden das abgeschnittene Ohr Van Goghs und die abgesprengten Hände von Franz Fuchs gar Platz im erweiterten Kunstbegriff? Und ist dem historischen Material, das der Film verwendet, überhaupt zu trauen? Einer Realität, die aus Lügen, Inszenierungen, Fakes und Simulationen besteht, ist offenbar nicht länger mit den klassischen Mitteln des Dokumentarfilms beizukommen. Dammbeck plädiert eindrucksvoll für eine ganz andere, offene und sich selbst in Frage stellende Filmsprache.
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