Ressources humaines

- | Frankreich 1999 | 103 Minuten

Regie: Laurent Cantet

Ein Student der Betriebswirtschaft soll als Praktikant in der Firma, in der sein Vater seit Jahren hinter einer Stanzmaschine steht, eine Befragung über die 35-Stunden-Woche durchführen. Als er erfährt, dass seine Arbeit in Wahrheit der Umstrukturierung des Betriebes dient und Entlassungen zur Folge haben wird, von denen auch sein Vater betroffen sein wird, organisiert er einen Streik. Ausgerechnet bei seinem Vater, der die Karriere seines Sohnes gefährdet sieht, stößt er auf taube Ohren. Eine packende Geschichte über Arbeitsethik und Aufsteigermentalität, Anpassung und Widerstand. Überzeugend vermittelt sich der Riss, den sozialer Aufstieg innerhalb eines Mikrokosmos hinterlassen kann. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Der Jobkiller") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RESSOURCES HUMAINES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
La Sept/arte/Haut et Court/arte
Regie
Laurent Cantet
Buch
Laurent Cantet · Gilles Marchand
Kamera
Claire Caroff · Matthieu Poirot-Delpech
Schnitt
Robin Campillo
Darsteller
Jalil Lespert (Frank) · Jean-Claude Vallod (Vater) · Chantal Barré (Mutter) · Véronique de Pandelaère (Sylvie) · Michel Begnez (Olivier)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ein Nahverkehrszug rattert durch ödes ländliches Gewerbegebiet. Frank schaut aus dem Fenster. Keine qualmenden Schlote, sondern Industrieansiedlungen wie sie überall in Europa zu finden sind – Lagerhallen und Fabrikanlagen zwischen Bäumen. Frank hat in Paris Betriebswirtschaft studiert und kehrt jetzt in seine Heimatstadt zurück, um ein Praktikum in der Firma zu machen, in der sein Vater seit 30 Jahren an der Maschine steht. Am kleinen Bahnhof wird er von seiner Familie abgeholt. Schon ganz am Anfang gelingt Laurent Cantet ein prägnanter Aufbau von sozialem Milieu und Kontext. Der Vater wird als wortkarger Arbeiter gezeichnet, dessen Leben durch die Loyalität zu seiner Firma geprägt wurde; bescheidener Wohlstand – Mittelklassewagen, Einbauküche, Eigenheim – , die Segnungen jahrzehntelanger Sozialpartnerschaft in der Provinz. Die Familie ist stolz auf Frank, denn sein Weg scheint direkt aus dem kleinbürgerlichen Arbeitermilieu in die Chefetage zu führen. In den überschaubaren Zusammenhängen der Provinzstadt kennt man sich noch, klopft der Chef dem Arbeiter auf die Schulter, der soziale Aufstieg gilt als Lohn der Tüchtigen. Schon bald kann Frank eigene Projekte in Angriff nehmen: In Frankreich ist die 35-Stunden-Woche gesetzlich beschlossen worden, Firmenleitung und Gewerkschaft ringen in zähen Verhandlungen um die Konditionen. Für den eifrigen Berufsanfänger Frank eine spannende Aufgabe, sein angelerntes Wissen in die Praxis umzusetzen. Die Gewerkschaft will Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, die Firmenleitung fordert Opferbereitschaft. Gegen den Willen der Gewerkschaft organisiert Frank unter den Arbeitern eine Umfrage, um Präferenzen zur 35-Stunden-Woche festzustellen Feinfühlig und realistisch zeichnet der Film die schwierige Vater-Sohn-Beziehung: „Hast du meinen Test schon kontrolliert?“, fragt der Vater nach der Umfrage, und der Sohn versucht ihm zu erklären, dass eine Umfrage kein Examen sei – vergeblich, denn dessen Auffassung von der Arbeitswelt beschränkt sich auf den simplen Zusammenhang von Pflicht und Erfüllung, von unbedingter Treue zur Firma. Ganz anders die radikale Gewerkschaftsvertreterin, die sich in einer permanenten Auseinandersetzung mit der Firmenleitung befindet. Frank spürt den Widerspruch zwischen den erlernten Techniken des modernen Managements und der Realität und auch, wie er sich unmerklich seinen bisherigen Freunden, seinem sozialen Umfeld entfremdet – wenn er mit Krawatte und Jacket durch die Werkhallen schlendert oder wenn er in der Kantine mit den Vertretern der Firmenleitung isst, während sein Vater und seine Jugendfreunde in Arbeitskluft an einem anderen Tisch sitzen. „Ressources Humaines“ gelingt die Vision des „gemeinsamen Boots“ in einem beeindruckenden Spagat. Die Protagonisten und Nebenfiguren dieses Mikrokosmos sind auf der einen Seite fast lehrstückartig modellhaft, auf der anderen in dieser Modellhaftigkeit faszinierend menschlich. Als Frank durch Zufall auf die eigentlichen Pläne der Firmenleitung stößt, wird ihm bewusst, dass er zum Werkzeug übergeordneter Interessen geworden ist. Er erkennt Kategorien von Rentabilität, die die menschliche Dimension dieses Mikrokosmos völlig gleichgültig lässt, und stürzt in einen Loyalitätskonflikt: „Eines Tages wirst du selbst eine Firma leiten und ähnliche Entscheidungen treffen müssen“, sagt sein Chef. Frank wendet sich ab, sein Weg geht jetzt in eine andere Richtung. „Ressources humaines“ zeigt einen Arbeitsalltag jenseits sozialromantischer Klischees und integriert gerade dadurch den Zuschauer. Die Stärke des Films liegt in der Dualität von Privatem und Politischem – in der brillanten Vermittlung sozialpolitischer Zusammenhänge, die gemeinhin als filmisch unattraktiv gehandelt werden, über die Strukturierung eines Mikrokosmos, die private Geschichte einer Rückkehr und Bewusstwerdung. Dabei liegt die besondere Tragik des Films in der Vater-Sohn-Beziehung, die unausweichlich auf den Konflikt zusteuert. In seiner Dynamik lässt sich der Film durchaus mit Bibermans „Das Salz der Erde“ (fd 4028) vergleichen, einem weiteren Film, der Zusammenhänge verdeutlicht, ohne den belehrenden Zeigefinger zu heben. Dabei ist die Inszenierung ebenso sensibel wie unspektakulär. Ein Film, der ganz nahe am Menschen steht; ein subtiler und fesselnder Beitrag zu den dunklen Seiten der Globalisierung, ohne durch soziale Larmoyanz Druck auf die Tränendrüsen auszuüben.
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