Ceija Stojka - Porträt einer Romni

- | Österreich 1999 | 85 Minuten

Regie: Karin Berger

Porträt der 66-jährigen Romni Ceija Stojka, die Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen überlebte. Ihre Familie wurde während des Nationalsozialismus nahezu vollständig ausgelöscht. Mit Kindern und Enkelkindern wohnt sie heute in Wien. Als Malerin und Autorin hat die vitale, zerbrechliche Frau den Schritt aus dem Schweigen gewagt, mit dem ihre Volksgruppe sonst diese Vergangenheit umgibt. Der wohltuend undidaktische Film entwirft ein lebendiges Porträt und leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhellung eines wenig bekannten historischen Kapitels. Darüber hinaus schlägt er eine Brücke zur Wahrnehmung fortgesetzter Diskriminierung. (Teilweise O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CEIJA STOJKA
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Navigator Film
Regie
Karin Berger
Buch
Karin Berger
Kamera
Jerzy Palacz
Musik
Ceija Stojka · Harry Stojka · Willibald Stojka
Schnitt
Michael Palm
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ceija Stojka ist 66 Jahre alt, stets offenen Blicks, nie um ein Lächeln verlegen. Sie redet gern und gestenreich, und dies in unverkennbar österreichischem Dialekt. Wenn sie malt, singt, aus ihren Büchern liest oder für die vielköpfige Familie mehrgängige Menüs kocht, kommt immer wieder die Tätowierung auf dem linken Unterarm ins Bild: Ceija Stojka war in Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen, überlebte nur durch eine Reihung von Zufällen die ihr zugedachte Vernichtung in den deutschen Todesfabriken. Als sie zwölfjährig nach Wien zurückkehrt, sind bis auf wenige Ausnahmen sämtliche Verwandten verschwunden. Sie sind als „lebensunwertes Leben“ eingestuft und ermordet worden: Ceija Stojka ist Zigeunerin. Und immer wieder schiebt sich die traumatische Vergangenheit in ihr gegenwärtiges Leben.

„Wir leben im Verborgenen“ war programmatisch das erste Buch Ceija Stojkas überschrieben, das 1988 in Wien veröffentlicht wurde. Mit diesem Buch vollzog die Autorin den entscheidenden Schritt aus der Isolation heraus. Die Roma und Sinti der Alpenrepublik hatten sich bis dahin dem stillschweigenden Konsens gefügt, ihren Alltag unauffällig zu leben und erst recht nicht an die durch den Nationalsozialismus geschlagenen Wunden zu rühren. Gerade so, als hätten sie sich als Volksgruppe eines kollektiven Vergehens schuldig gemacht. In seltsamer Umkehrung der Opfer-Täter-Konstellation erinnert dieses Verhalten an den makabren jüdischen Witz, der unmittelbar nach Kriegsende kursierte („Das werden uns die Deutschen nie verzeihen!“). Doch anders als die jüdischen Überlebenden verfügten die Zigeuner nach 1945 über keine internationale Lobby. Wenige Monate nach der Kapitulation „Großdeutschlands“, als die Entnazifizierung im von den Alliierten zum Opferland erhobenen Österreich fröhliche Urstände feierte, sahen sich diese vergessenen Auschwitz-Rückkehrer schon wieder als ethnische Manövriermasse. Übergangslos erlebten alte Vorurteile und soziale Klassifizierungen ihre Fortsetzung. Im konkreten Fall der Familie Stojka bedeutete dies, dass die soeben zugewiesene Wohnung an zwischenzeitlich flüchtige Ex-Parteigenossen zurückgegeben werden musste. Das unstete Leben der Straße nahm damit unfreiwillig seinen Fortgang. Erst mit den 60er-Jahren, als im sich wirtschaftlich konsolidierenden Nachkriegs-Europa immer weniger Platz für „fahrendes Volk“ war, vollzog sich die allmähliche Integration in urbane Strukturen. Ohne dass damit freilich die Vorurteile ausgeräumt wären. In langen Fahrten durch die Wiener Innenstadt und dem Umland sowie bei fast nebenbei geführten Küchengesprächen entblättert sich nach und nach dieses ganz individuelle Schicksal der gleichermaßen vitalen wie zerbrechlichen Heldin des Films. Ihre persönliche Chronik steht dabei auch als Gleichnis für die Odyssee ihrer Volksgruppe. Humor und Sentimentalität, Lebenslust und Verzweiflung liegen stets dicht beieinander. Der Geruch der verwesenden und verbrannten Leichen, die ohnmächtigen Hilferufe der Selektierten sind für Ceija Stojka allgegenwärtig. Sie hat damit leben gelernt, bewältigen lassen sich diese Erinnerungen aber nicht. In ihrem Küchenschrank liegt, in Packpapier eingewickelt, ein Ziegelstein aus dem Konzentrationslager Auschwitz, Block Nr. 10. Das „Zigeunerlager“ befand sich in unmittelbarer Nähe des Krematoriums.

Karin Berger kennt ihre Protagonistin seit mehr als zehn Jahren. Diese Intimität macht sich in zahlreichen Momenten wohl tuend bemerkbar. Nicht nur, dass nie ein exotischer oder folkloristischer Gestus durchschlägt, man spürt oft ein gegenseitiges Vertrauen, das die Kamera regelrecht vergessen macht. Vor allem die Szenen der großen Familienfeste wären ohne diese Basis kaum vorstellbar. Prekär hätte die Konfrontation mit Fotografien aus der Häftlingskartei von Auschwitz werden können, die Ceija und ihre Angehörigen noch nie vorher zu Gesicht bekommen haben. So aber gerät die Dokumentation der abgründigen Situation zu den stärksten Augenblicken des Films. Großeltern, Eltern, Onkel, Tanten, Geschwister, Ceija selbst als Kind - abgelichtet, vermessen und registriert durch die Bürokratie der Vernichtung. Ohne dass die Wahlerfolge der Haider-Partei oder der Bombenanschlag von Oberwart konkrete Erwähnung finden, vermitteln sich diese aktuellen Bezüge doch. Gerade durch seine Unaufdringlichkeit und das Fehlen vordergründiger Didaktik leistet der Film einen wichtigen Beitrag für die Erhellung eines noch immer wenig bekannten historischen Kapitels: Oral History, wie sie besser nicht sein könnte. Darüber hinaus wird eine Brücke zur augenblicklichen Wahrnehmung fortgesetzter Diskriminierung geschlagen. Der Begriff Zigeuner, dies sollten sich die Wächter politischer Korrektheit in ihre Kladde eintragen, hat für die Betroffenen selbst keinerlei diskriminierenden Anstrich. Der Sohn Ceija Stojkas bringt es auf den Punkt: „Wir sind nicht böse, dass wir Zigeuner genannt werden. Wir sind ja Zigeuner. Ich will auch gar nichts anderes sein. Jetzt sagen sie Rom oder Roma und Sinti oder was weiß ich! Keiner kennt sich mehr aus.“
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