Yi Yi - A One and a Two

- | Taiwan/Japan 1999/2000 | 173 Minuten

Regie: Edward Yang

Ein taiwanesischer Computerspezialist in den Vierzigern gerät durch eine Reihe von widrigen Umständen in eine Lebenskrise, die ihn zwingt, sein bisheriges Dasein zu überdenken. Feinsinnig entwickeltes Familien- und Zeitporträt, das den Alltagskatastrophen mit großer Gelassenheit gegenübertritt und seine vielen Akteure aus einer wohltuenden Distanz bei ihren Versuchen betrachtet, mit den Glücks- und Unglücksfällen ihres Daseins fertig zu werden. Sowohl formal als auch inhaltlich brillant entwickelt und meisterlich inszeniert. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
YI YI - A ONE AND A TWO
Produktionsland
Taiwan/Japan
Produktionsjahr
1999/2000
Produktionsfirma
Pony Canyon/Toranomon/Minato-ku
Regie
Edward Yang
Buch
Edward Yang
Kamera
Yang Wei-Han
Musik
Kai-li Peng
Schnitt
Chen Bowen
Darsteller
Wu Nianzhen (NJ, der Vater) · Elaine Jin (Min-Min, die Mutter) · Kelly Lee (Ting-Ting, die Tochter) · Jonathan Chang (Yang-Yang, der Sohn) · Issei Ogata (Mr. Ota)
Länge
173 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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IMDb | TMDB

Diskussion
Im 19. Jahr seines Schaffens wird nun endlich auch Edward Yang, der – neben Hou Hsiao-Hsien – zweite herausragende Filmemacher des modernen taiwanesischen Kinos, dem deutschen Publikum über einen regulär verliehenen Film bekannt – seine früheren Werke waren, wenn überhaupt, nur im Fernsehen zu sehen oder tourten mit einer Festivalkopie durch die Kommunalen Kinos. Und das auch gleich mit einem neuerlichen Meisterwerk: „Yi Yi – A One and a Two“ erzählt eine Geschichte über die Wirrungen – ohne Irrungen – einer Durchschnittsfamilie in Taipeh, die zu erzählen rund drei Stunden braucht und füllt. NJ, ein stiller Mann in den Vierzigern, bleibt zunächst recht gelassen, als am Hochzeitstag seines Schwagers seine Schwiegermutter ins Koma fällt. Äußerlich merkt man ihm auch dann nichts an, als er im Hotel, wo die Hochzeit gefeiert wird, in der Lobby durch Zufall auf die erste große – und doch feige sitzen gelassene – Liebe seines Lebens trifft. Insgeheim aber beschäftigt ihn die Frage, ob sein Leben nicht auch anders hätte verlaufen können, schon eine ganze Weile. Die Fundamente seines bisherigen Lebens geraten weiter ins Wanken, als sich seine von der Stumpfheit ihres Hausfrauendaseins völlig entleerte Ehefrau entschließt, ihrem Guru zu folgen und in dessen Ashram flieht; außerdem empfehlen die Ärzte, dass die Familienmitglieder mit der weiter bewusstlosen Großmutter sprechen sollen, was vor allem für die Kinder zur Belastung wird. NJs Sohn Yang-Yang, der ständig von irgendwelchen Mädchen gepiesackt wird, gerät in schulische Schwiergkeiten; Ting-Ting, seine Tochter im Teenager-Alter, wird in einen Mord verwickelt,; und schließlich gerät auch noch seine Computerfirma, deren Gesellschafter NJ ist, in eine ernsthafte finanzielle Krise, wobei sich seine Kollegen, die ebenfalls Mitinhaber sind, als unfähig zu einer Neuorientierung erweisen. Trotz der Häufung desillusionierender Momente, die jede Illusion über eine scheinbar gesicherte Existenz zerstreuen, bedeutet dies jedoch nicht automatisch, dass man sich dem Leben nicht ein zweites Mal neu nähern könnte. Angesichts dieser Einsicht passiert mit einem Mal sehr viel – wobei keinem der Vorkommnisse entscheidende Bedeutung zu kommt (und sie oft genug völlig nebensächlich beginnen), weshalb ihre Ballung nie abstrus, sondern eher ironisch wirkt. Die Geschichten haben miteinander wenig zu tun, ihr primärer Zusammenhalt ist die Familie, mit NJ als realer und der im Komaschlaf dahindämmernden Schwiegermutter als metaphorischer Achse; jedes Mitglieder erlebt seine Katastrophe im Prinzip allein, was an sich schon deprimierend genug ist. Edward Yangs Inszenierung übertreibt nie, was diese Alltagsapokalypse ebenso überschaubar hält wie unerträglich macht – wobei man in ihrem Verlauf durchaus merkt, dass man dies alles sehr wohl ertragen, meistern und überleben kann, genauso wie NJ. In gewisser Weise gilt das wohl auch für Yang selbst, für den „Yi Yi“ eine Art Bestandsaufnahme seines Schaffens darstellt – die Welt hat sich nicht groß verändert, scheint sein mit einem Schulterzucken konstatiertes Ergebnis zu sein –, verweist doch so mancher Teil auf Momente aus seinen früheren Werke: der Gesamtgestus auf die Welt von „Taipei Story“ (1985) und „Die Spur des Schreckens“ (1986), die Mordgeschichte mit der Tochter auf sein Opus magnum „Ein Sommer zum Verlieben“ (1991), der von Frauen gequälte Sohn auf den jugendlichen Protagonisten von „Mahjong“ (fd 32 598), der Schwager und das ganze Firmenszenario auf „A Confucian Confusion“ (1994), die verlassene erste Liebe auf „That Day, on the Beach“ (1983). Vielleicht wirkt in „Yi Yi“ vieles aber auch so selbstverständlich, weil Yang dem Ganzen mit einer feinsinnig-weltweisen Gelassenheit entgegentritt: Jedes Bild ist genau komponiert – meist reicht eine Einstellung, ohne dass dies je gewollt kunstsinnig wirken würde –, jede Szene ist in sich rhythmisch perfekt inszeniert, alle Handlungsstränge werden locker nebeneinander gehalten, ohne dass man den Eindruck von übertriebener handwerklicher Sorgfalt bekäme – auch wenn der Film im Ganzen doch vielleicht ein wenig zu rund ist und der eine oder andere Charakter, allen voran der kleine Sohn, in seinen Eigenarten – beispielsweise dem Fotografieren von Hinterköpfen – einen Tick zu konstruiert wirkt. Doch diese Ausgeglichenheit hat auch etwas Tröstliches, wodurch sie wunderbar als Kontrapunkt zu der inhaltlichen Bitternis funktioniert. Der chinesische Titel „Yi Yi“ heißt wörtlich eigentlich „Eins Eins“, was soviel wie Individualität bedeutet; legt man die beiden Schriftzeichen horizontal übereinander, erhält man das Zeichen für „Zwei“, was die Art und Weise anzeigt, wie Individuen miteinander verbunden sind. Der englische Titel „A One and a Two“ spielt auf den Beginn einer Jam-Session an, weil für Yang das Leben gerne wie eine Jazz-Melodie verstanden wissen will.
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