Der Flug der Biene

- | Südkorea/Tadschikistan 1998 | 88 Minuten

Regie: Jamshed Usmonov

In einem abgelegenen Dorf in Tadschikistan gerät das tradierte Gleichgewicht aus den Fugen, als sich der Schulmeister mit einem Großgrundbesitzer und dem Bürgermeister anlegt, für die Gerechtigkeit eintritt und beim Kampf um sein Recht zeitweilig selbst über jedes Ziel hinausschießt. Ein archaisches Volksmärchen von großer Bildkraft, das sich über zahlreiche sinnfällige Nebenepisoden entwickelt und sich zur Parabel über menschliche Schwächen verdichtet. Ein Film voller augenfälliger Symbole, erzählt in getragenem Rhythmus und mit lebensklugem Humor. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PARVAZ-E ZANBUR
Produktionsland
Südkorea/Tadschikistan
Produktionsjahr
1998
Regie
Jamshed Usmonov · Min Wen Hun
Buch
Jamshed Usmonov
Kamera
Min Wen Hun
Musik
Satyajit Ray
Schnitt
Igor Bosc · Safar Hakadodov · Jamshed Usmonov · Min Wen Hun
Darsteller
Muhammadjon Shodi · Mastura Ortik · Taghoymurod Rozik · Beknazar Kabirov · Mardonkul Kulbobo
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Ländliche Bilder, Sepiatöne einer friedlichen Idylle, eine Baumkrone im Gegenlicht. Der silbrig glänzende Bach rauscht, das Dorf erwacht. Wasser ist das Lebenselixier in Tadschikistan - das Leitmotiv zieht sich durch den ganzen Film - schlechtes Wasser in der Kloake, süßes Wasser, das im Boden schlummert. Der südkoreanische Co-Regisseur und Kameramann Min Wen Hun hat diese beeindruckenden Bilder des kleinen tadschikischen Dorfes eingefangen, die von einer ebenso exotischen wie heimatlich klingenden Musik aus den Filmen des indischen Altmeisters Satyajit Ray untermalt werden. „Der Flug der Biene“ ist das Produkt einer seltenen Zusammenarbeit zwischen Tadschikistan und Korea, eine epische zeitlose Schelmengeschichte vom Kampf des Wissens gegen Geld und Macht, verkörpert im Ringen des Dorfschulmeisters mit dem Großgrundbesitzer und dem Bürgermeister. Ein Volksmärchen über das alte Motiv, dass auch der Kampf um Gerechtigkeit die Züge der Menschen verzerren kann.

Das Dorf in der Hochebene, die Gärten, das Haus des Lehrers, die junge Frau, der Sohn. Doch die Idylle trügt - ganz nach der alten Volksweisheit, dass auch der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es der böse Nachbar nicht will. Der starrt ganz penetrant in den Garten des Dorfschulmeisters und auf dessen junge Frau. Damit nicht genug: gleich an der Mauer hat er den stinkenden Abort seines Hauses gesetzt - deutlicher könnte er seine Missachtung nicht ausdrücken. In der Schule ist der strenge, aber auch nachgiebige Lehrer hingegen beliebt. Fast dokumentarisch zeigt der Film die Vielfalt des kleinen Dorfes, die Spiele der Kinder in der Zwergschule, die Tiere, das Leben auf der Straße und in den Lehmhäusern. Der Titel des Films beruht auf einer Geschichte, die der Lehrer den Schulkindern auf einem Spaziergang durch die kahle, ausgedörrte Landschaft erzählt: Als Alexander der Grosse mit seinem Heer fast verdurstete, rettete sie ein alter Mann aus dem Dorf. Auf seinen Rat hin gaben sie einer Biene im Morgengrauen Honig und folgten dem Flug des durstigen Insektes, das die Truppen direkt zum ersehnten Wasser führte.

Die Psychologie der Protagonisten ist einfach, aber nicht oberflächlich. Der Lehrer will den hartherzigen, geldgierigen Nachbarn zur Rede stellen. Die Leibesvisite am Eingangstor lässt er noch geduldig über sich ergehen, doch dann demütigt ihn der Nachbar und wirft ihn vor die Türe. Daraufhin sucht der Dorfschullehrer Gerechtigkeit beim Bürgermeister. Der aber weist ihn energisch auf das Recht an Privateigentum hin, und das sei auf der Seite des Nachbarn. Als der Lehrer erkennt, dass das Recht niemals auf seiner Seite stehen wird, will er sich am Bürgermeister rächen. Er verkauft sein letztes Vieh, um ein Haus in direkter Nachbarschaft des Bürgermeisters zu erweben. Direkt unter dessen Fenster fängt er an, eine riesige Grube zu graben. Er ist besessen von der Idee, dem Bürgermeister die größte Kloake des Dorfes unters Fenster zu bauen. In der Nacht aber schüttet der Bürgermeister die Grube wieder zu. Die Situation spitzt sich zu - der Lehrer gräbt weiter, sein kleiner Sohn sucht Geld, jeder hat seine Träume, und die Frau wirft dem reichen Nachbarn verstohlene Blicke über die Mauer zu. In seiner brennenden Gier nach Rache ist der Lehrer sogar bereit, seinen Sohn zu opfern. Ein Besessener aus verlorener Ehre, der auch das eigene Leben und die Grundlagen seiner Familie aufs Spiel setzt.

„Der Flug der Biene“ entwickelt sich über einen Reigen bukolisch satirischer, wunderschöner Nebenepisoden, wenn etwa der Alte den kleinen Sohn zum Beten verführt, indem er ihm seine Uhr schenkt. Es gelingt dem Film über eine einfache Geschichte, die Solidarität fühlbar zu machen; man spürt die Anstrengung des Lehrers, die Kraft, mit der er sich immer weiter in die Erde gräbt. Am Ende ist alles, wie es immer war - und doch anders: in der Grube hat sich eine Quelle gebildet - silbriges süßes Wasser. Der Bach rauscht durch das Dorf, die Kinder singen die Hymne, der Sohn und der Alte bestaunen einen Baum. Der Lehrer sitzt mit verbundenen Händen und lächelt - ein Lächeln über die Gier, den Stolz und die Kurzlebigkeit menschlichen Handelns. „Der Flug der Biene“ ist ein zeitloser Film über archaische, aber durch und durch menschliche Lebensformen - eine Geschichte, die durch den ruhigen Rhythmus, durch die subtile Psychologie der Protagonisten besticht. Eine Erzählung um Essentielles: Demütigung, Suche nach Gerechtigkeit, Suche nach Vergeltung, Frieden mit sich selbst.
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