Licht meiner Augen

Drama | Italien 2001 | 114 Minuten

Regie: Giuseppe Piccioni

Eine Frau in den Vierzigern leidet an ihrem tristen Leben, an dem Schuldenberg, der auf ihr und ihrer kleinen Tiefkühlkost-Handlung lastet, und daran, dass sie nicht mehr Zeit für ihre Tochter hat. Ein junger Mann, der zufällig ins Leben der beiden tritt, versucht, deren Situation zu erleichtern und sie zu unterstützen, selbst, wenn er sich dafür mit einem Gangster einlassen muss. Bewegendes, aber nie sentimentales Porträt einsamer Großstadt-Nomaden in Rom, das sich vor allem auf den Gesichtern der Protagonisten entfaltet; sorgfältig und diskret inszeniert. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LUCE DEI MIEI OCCHI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Albachiara/Rai Cinema
Regie
Giuseppe Piccioni
Buch
Umberto Contarello · Linda Ferri · Giuseppe Piccioni
Kamera
Arnaldo Catinari
Musik
Ludovico Einaudi
Schnitt
Esmeralda Calabria
Darsteller
Luigi Lo Cascio (Antonio) · Sandra Ceccarelli (Maria) · Silvio Orlando (Saverio Donati) · Barbara Valente (Lisa) · Toni Bertorelli (Mario)
Länge
114 Minuten
Kinostart
23.12.2004
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Manchmal gelingt es Regisseuren, einen unglücklichen Charakter mit einer einzigen Sequenz präzise zu skizzieren. In Guiseppe Picconis spätherblichstem Drama aus Rom eilen Menschen vorüber. Ihre hastigen Bewegungen verwischen das Bild, sodass die Kamera nur für kurze Momente eine unverstellte Sicht auf die weibliche Gestalt erhascht, die in der Tiefe eines Supermarkts zwischen Kühlschränken hin und her läuft. Dann sieht man das müde, schöne, wie von weither in sich hinein lauschende Gesicht einer Frau mittleren Alters. Ihr Blick ist der eines Menschen, der weiß, dass ihm sein Leben entgleitet. Sandra Ceccarelli spielt die allein erziehende Mutter Maria mit einem verbitterten Ausdruck um die Mundwinkel. Mühsam versucht sie, ihren Laden für Tiefkühlkost am Laufen zu halten. Die Schulden, die sie für die Existenzgründung aufnehmen musste, drücken auf ihr Gemüt. Zudem plagen sie Gewissensbisse, weil ihr Job kaum Zeit lässt für ihre Tochter Lisa, die gerade in die Pubertät kommt. Zu allem Überfluss hetzt ihr ihre eigene Mutter regelmäßig das Jugendamt auf den Hals, weil sie selbst gerne das Sorgerecht für die Enkelin erhalten will, obwohl Lisa es strickt ablehnt, zu den Großeltern aufs Land zu ziehen. Maria bewegt sich so sehr auf ihrer Umlaufbahn von Schuld, Pflicht und Wut, dass sie die Erinnerung ans Glück gänzlich verloren hat. Die Affäre mit einem Mann, der sich ständig via Handy mit ihr streitet, und den sie nie bei sich zu Hause empfängt, verdankt sich eher purer Gewohnheit. Als Lisa nachts jedoch fast überfahren wird, tritt der empfindsame Antonio in Marias Leben. Er arbeitet als Chauffeur, obwohl man ihm mehr zutraut. In seinem kindlichen Blick liegt eine große Portion Lebensverweigerung. Antonio lebt in den Tag hinein und doch in geheimer Erwartung, irgendwann nicht mehr allein zu sein. In seiner Freizeit flüchtet er sich in die imaginäre Welt von Science-Fiction-Heftchen, in denen ein einsamer Außerirdischer namens „Morgan“ gegen die Übel dieser Welt ankämpft. „Morgan war ein Fremder in diesem Land, wie viele andere auch“, zitiert Antonio häufig aus dem Off; ein Satz, der die Richtung des Films vorgibt. Dem verkappten Weltschmerz der Figuren entspricht die verhaltene Dynamik der Inszenierung. Obwohl sie gemeinsam eine Nacht verbringen, macht Maria Antonio sofort klar, dass sie eine neue Beziehung nicht gebrauchen kann. Doch in dem Maße, in dem sie Antonios Annäherungsversuche abweist, ignoriert dieser ihre schroffe Zurückweisung. Statt dessen besucht er sie täglich in ihrem Laden, hilft aus, kümmert sich um Lisa und wird ein Teil von Marias zerbrechlichem Kokon, ohne ihr wirklich nah zu sein. Wie schon in „Nicht von dieser Welt“ (fd 35 192) nimmt sich Giuseppe Piccioni auch in „Licht meiner Augen“ der modernen Großstadtnomaden an. Obwohl es um eingefrorene Gefühle geht – nicht ohne Grund handelt Maria mit Tiefkühlkost –, wird ohne Gefühlsduselei erzählt. Es gibt viele Spiegelungen zwischen den Figuren; denn alle leiden sie am gleichen Phantomschmerz, und nicht einmal Lisa ist davon ausgenommen. Als sie ausreißt, nachdem sich ihre Mutter besinnungslos voll laufen ließ, ahnt man, dass auch sie dem Fluch der Einsamkeit längst anheim gefallen ist. Dann aber findet Antonio den Grund für Marias Schuldenberg heraus und macht heimlich den Mann ausfindig, der ihr seinerzeit den Kredit gewährte. Der zwielichtige Saverio verspricht einen Tilgungsaufschub, wenn Antonio für ihn arbeitet. Menschenschmuggel, Erpressung und das Eintreiben von Schulden nimmt er in Kauf, um Maria den Alltag ein wenig zu erleichtern. Doch irgendwann ist ihm der Preis zu hoch, und auch die Zeit des stillen Abkommens zwischen Maria und ihm ist vorbei. Antonio verlangt, dass Maria sich festlege. Dafür müsste sie jedoch zuerst ihre Maske der Selbstgenügsamkeit ablegen, die ihr schon lange keinen Schutz mehr bietet. Es ist der Blick des Regisseurs, der diese verhinderte Liebesgeschichte vor der Rührseligkeit bewahrt, die in ihr steckt. Statt mit seinen vereinsamten Helden zu leiden, betont er sachlich den Abstand, der sie voneinander trennt, das Schlafwandlerische ihres Tuns. Immer wieder zeigt er sie hinter imaginären Trennwänden, nachts von draußen, wie sie in der Küche stumm eine Weinflasche leeren oder im Auto scheinbar ziellos durch die Straßen irren. Die Sicherheit der Inszenierung im Detail ist ebenso eine Stärke des Films wie die Genauigkeit, mit der ein Klima der Unbehausheit spürbar wird, die ungeheure Anspannung, im Leben sesshaft zu werden und ein Gegenüber zu finden. Piccioni zeigt die Gefühlsversteinerungen mit fast schon schmerzhafter Zurückhaltung, sodass man sich nur noch an den Gesichtern der Darsteller orientieren kann, die zum dominanten Spielort des Geschehens werden. Am Ende löst der Film das Versprechen seines Titels ein: Endlich finden die Gefühle einen Weg ins Freie, ans Licht, womit der ungemein intensive Film ans Herz der Dinge rührt.
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