- | Deutschland 1999 | 100 Minuten

Regie: Gerd Kroske

Porträt des deutschen Boxprofis Norbert Grupe (Kampfname: Prinz Wilhelm von Homburg), der in den 60er- und 70er-Jahren nicht nur durch den Sport, sondern auch durch seine Kontakte zum Hamburger Kiez- und Rocker-Milieu sowie ein legendäres Fernsehinterview für Schlagzeilen sorgte, bei dem er jede Antwort verweigerte. Der Film zeichnet das Bild einer schillernden Persönlichkeit und verdichtet sich durch die ebenso freimütigen wie eitlen Aussagen ehemaliger Weggefährten zu einer beredten Zeit- und Milieustudie. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
realistfilm
Regie
Gerd Kroske
Buch
Gerd Kroske
Kamera
Susanne Schüle
Musik
Archie Shepp · Charlie Parker
Schnitt
Karin Schöning
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
1966 leitet die Niederlage im Kampf gegen Oscar Bonavena das Ende der Karriere des deutschen Boxprofis Nobert Grupe ein. Mit einer Bilanz von 29 Kämpfen und nur zwei Niederlagen zählte Grupe, der unter seinem Kampfnamen Prinz Wilhelm von Homburg bekannt wurde, zu den großen Hoffnungen des deutschen Boxsports. Sein ungewöhnlich ruppiger Kampfstil aber und seine, gelinde gesprochen, eigenwillige Persönlichkeit standen einer Berufung zu Höheren schon davor im Weg. Er war kein strahlender Held, kein Vorzeigeathlet mit vorbildlichem Lebenswandel, sondern ein Straßenkind mit eisernem Willen und gutem Punch, das sich durchboxen wollte, ohne an die Gagen heutiger Kollegen auch nur denken zu können. Legendär wurde sein Interview, das er im ZDF-Sportstudio mit oder gegen Rainer Günzler führte: von sechs Fragen beantwortete er keine Einzige; Grupe schrieb damit nicht nur deutsche Fernsehgeschichte, sondern torpedierte die Karriere seines Interviewpartners nachhaltig. Eine Tatsache, auf die Grupe auch heute noch stolz ist. Der Dokumentarist Gerd Kroske („Vokzal – Bahnhof Brest“, fd 31 306) hat den „Prinzen“, der heute in Los Angeles lebt und sich mit schauspielerischen Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht durchschlägt (u.a. „Ghostbusters“, „Stirb langsam“), aufgesucht, seine Gegenwart abgebildet und ihn mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Entstanden ist dabei das Bild eines Außenseiters, der sich auch heute noch allen gesellschaftlichen Normen zu entziehen versucht und sich im halbseidenen Milieu sichtlich wohler fühlt als im gutbürgerlichen. Ein Lebensgefühl, durch das Probleme mit der deutschen Gesellschaft der 60er- und 70er-Jahre nicht ausbleiben konnten. Leistungssport verträgt sich schon damals schlecht mit Sauftouren und Drogenexzessen, ständiger Präsenz auf dem Hamburger Kiez, der (Ehren-)Mitgliedschaft bei den „Hell Angels“ oder dem Versuch, als Zuhälter Fuß zu fassen. Doch Kroske beschränkt sich nicht auf die Selbstaussagen des Ex-Boxers, der freimütig über die damaligen Gepflogenheiten seines Gewerbes Auskunft gibt und eingesteht, dass sich durchaus auf abgesprochene Kämpfe eingelassen hätte, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte, oder dass er noch heute auf einen französischen Ringrichter wütend ist, dem er wegen eines vorgeblichen Kopfstoßes eine Disqualifikation zu verdanken hat. Dabei ärgert sich Grupe weniger, dass ihn der französischen „Onanist“ um einen Titel gebracht hat, sondern es geht ihm mehr um die „Kohle“, die ihm dadurch entging. In solchen Momenten wird der Mythos des Sports auf die billige Formel des Geldverdienens reduziert; eine Aussage, die gerade heute, wo im Leistungssport weitaus höhere Summen zu verdienen sind, überdenkenswert ist und eine Scheinheiligkeit hinter hehren Motiven durchschimmern lässt. Abgerundet wird dieses beispielhafte Porträt durch Interviews mit ehemaligen Weggefährten, wobei Kroske bei seinen Gesprächspartnern auf Personen trifft, deren Selbstgefälligkeit höchst entlarvende Schlaglichter auf das Milieu wirft. Durch Worte und Gesten wird eine Eitelkeit und Selbstüberschätzung deutlich, die in jenen Kreisen vielleicht überlebenswichtig ist, Normalbürger jedoch mit einer überaus bizarren Welt und ungewöhnlichen Verhaltensweisen konfrontiert, die jenseits deren Vorstellungskraft liegen. Etwa der in Amerika zur Ruhe gekommene Ex-Zuhälter, der Box-Trophäen sammelt und seine Lebensgefährtin mit einer Verachtung sondergleichen behandelt. Oder der ehemalige Puff-Besitzer, der von den guten alten Kiez-Zeiten schwärmt. Oder der alt gewordene „Hell Angel“, der versonnen von den Tagen erzählt, in denen Prostitution, Schutzgelderpressung und Drogendelikte, in die auch Grupe verwickelt war, scheinbar noch als Kavaliersdelikte galten. Ein glücklicher Zufall kommt dem Filmmacher zur Hilfe, als er mit einer ehemaligen Kiez-Größe über die Reeperbahn geht. Der alerte Geschäftsmann, der freilich nicht sagen will, womit er heute sein Geld verdient, schreitet sein ehemaliges Revier ab, schüttelt Hände, begrüßt Türsteher und Besitzer von Etablissements. Plötzlich taucht ein abgerissen aussehender Nachtschwärmer an seiner Seite auf und wagt es, sich ins Gespräch einzumischen. Mit einer saftigen Ohrfeige wird er von besagtem „Geschäftsmann“ aus dem Bild gewischt; anschließend geht die Kiez-Besichtigung weiter, als wäre nichts geschehen. In solchen Szenen und Gesten, in eitlen Selbstdarstellungen und selbstbewusster Verklärung der Vergangenheit, in der Messer und Pistolen bei Auseinandersetzungen noch verpönt waren, entsteht weitaus mehr als das Bild eines Boxers, der „den ganzen Kiez hätte haben können“. Kroskes Film verdichtet sich vielmehr zu einer eindrucksvollen Milieustudie, in der Halbwelt, Halbwahrheiten und Wunschdenken eine Allianz eingehen, die der Verklärung der guten alten Zeit dient. Eine Zeit, in der Grupe auch kleine Rollen in Hitchcocks „Der zerrissene Vorhang“ oder Herzogs „Stroszek“ spielte. Lang ist’s her, doch der „Boxprinz“, der klug genug ist, um seine jetzige Lage nicht zu verkennen, sonnt sich noch immer noch im Glanz jener Tage.
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