venus.de - Die bewegte Frau

- | Deutschland 2000 | 94 Minuten

Regie: Rudolf Thome

Eine attraktive, erfolgreiche Schriftstellerin verlässt für sechs Wochen ihr von Idylle und Glück geprägtes Familienleben auf dem Land, um in Berlin einen Roman zu schreiben, wobei sie beim Schaffensprozess von einer Web-Kamera beobachtet wird. Als eine spontan eingegangene Liebesaffäre mit einem Maler übers Internet "ruchbar" wird, löst sie Enttäuschung und Misstrauen aus. Rudolf Thome entwirft eine weitere "Versuchsanordnung" über die Themen Arbeit und Familie, Liebe und Ehe, wobei er in seiner offenen, ebenso unverkrampften und entspannten Erzählweise für ein utopisches Ideal einer "freien" Liebe einnimmt, die nicht von gängigen Moralvorstellungen, sondern von Vertrauen und aufrichtiger Zuneigung bestimmt wird. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Moana-Film/ARD-Degeto
Regie
Rudolf Thome
Buch
Rudolf Thome
Kamera
Carsten Thiele
Musik
Wolfgang Böhmer
Schnitt
Karin Nowarra
Darsteller
Sabine Bach (Venus Siebenberg) · Roger Tabb (Max Webber) · Vladimir Weigl (Hans Neumann/Pluto) · Nora Hanke (Sally) · Markus Perschmann (Thorsten)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Rudolf Thome erzählt weiter von den „Dingen des Lebens“. Während sich das kommerzielle (deutsche) Kino zwanghaft an verdrehten, komischen und turbulenten, letztlich aber immer gleich banalen Standard-Liebesgeschichten abmüht, berichtet Thome unspektakulär, ruhig und bewundernswert entspannt von weit komplexeren „Formen der Liebe“, wie bereits in den 80er-Jahren eine Film-Trilogie von ihm überschrieben war. Jeder neue Film Thomes erscheint wie die Fortsetzung der vorangegangenen; nicht, weil die Handlung weitergesponnen würde, sondern der vertraute Themenkosmos gewendet oder variiert wird und sich neue perspektivische Sichtweisen auf dasselbe gedankliche Zentrum ergeben. Thome, der „Philosoph“, legt sein Koordinatennetz dabei über Größen wie Arbeit und Familie, Liebe und Ehe, wobei die Suche nach Lebenssinn stets mit einem Bedürfnis nach Harmonie einhergeht; er sucht nach einem utopischen Ideal der „freien“ Liebe ohne all die nutzlosen Konflikte, Streitereien und Eifersuchtsanfälle. Seine Filme „fordern“ vielmehr andere moralische Grundsätze sowie ein (Ur-)Vertrauen, das zwischen den Partnern wie auch den Generationen als Basis für ein unverbrüchliches Miteinander dienen könnte. So greift Thome auch in „venus.de“ vertraute Motive und Konfliktsituationen auf, die filmische (Eric Rohmers „Herbstgeschichte“, fd 33 348) wie literarische (Salingers „Fänger im Roggen“, 1951) Leitfäden paraphrasieren, aber auch Bezug auf seine eigenen Filme nehmen: Einmal spielt die Schriftstellerin Venus Siebenberg in Gedanken den in „Paradiso“ (fd 34 959) realisierten Traum des Komponisten Adam durch, den (naiven?) Traum vom Paradies, in dem sich alle lieben und gut vertragen. „Wäre ich er“, sinniert Venus, „es wäre auch mein Traum.“ Die ebenso attraktive wie erfolgreiche Autorin ist freilich nicht Adam, der Mann, sondern Venus, die Frau, und sie lebt ihr eigenes Leben sowie ihren eigenen Traum. Auf einem in abseitiger Idylle gelegenen Hof führt sie mit Ehemann Max und den Kindern Sally und Thorsten ein von stillem Glück und Zufriedenheit erfülltes Dasein. Dieser (gleich mehrfach konnotierte) Stillstand soll für sechs Wochen ausgesetzt werden: Ihr Verleger hat ihr in Berlin ein schickes, rundum verglastes Turmzimmer hoch über den Dächern der Stadt als Arbeitsraum eingerichtet, wo sie, gleichsam „eingesperrt“ in einem Elfenbeinturm, ihren neuen Roman verfassen soll. Einziger Kontakt zur Außenwelt ist eine auf sie gerichtete Web-Kamera, sodass „die Welt“ ihr im Internet beim Schaffensprozess zusehen kann. Was sich als spektakulärer Marketing-Gag auszahlen soll und bereits einen Filmproduzenten auf den Plan gelockt hat, erweist sich für Venus zunehmend als Falle: Ein voyeuristischer „Web-Master“ hat weitere Geheimkameras installiert, und so bleibt es nicht verborgen, dass Venus eine Liebesbeziehung zu einem Maler begonnen hat. Sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder reagieren prompt: Ihr Verleger sieht sich in seiner Einnahmequelle bedroht; Venus’ Mann Max ist erschüttert vom Liebes-Vertrauensbruch, für den Venus verantwortlich ist; die Kinder schließlich, selbst mit ersten, für sie extrem aufregenden Liebes-„Spielen“ beschäftigt (bei denen sie freilich noch deutlich Halt und Orientierung suchen), wenden sich am Ende enttäuscht ab: Als Venus nach Hause zurückkehrt und ihren Alltag wieder aufnehmen will, weigern sie sich demonstrativ, ihrer Mutter beim Tragen des Gepäcks zu helfen. Ist Venus Siebenberg also „schuldig“? Was hat sie mit ihrer Liebesaffäre nicht alles aufs Spiel gesetzt? Darf sie sich solch „frivoles“ Spiel mit den Gefühlen und dem Vertrauen der Menschen in ihrer Umwelt und ihrer Familie erlauben? Ein wahres Sperrfeuer von Vorhaltungen und Vorwürfen prasselt auf Venus nieder, und als Zuschauer ist man versucht, sich ihnen anzuschließen, zumal Thome alle Figuren, also auch „seine“ Venus, betont holzschnittartig anlegt und es damit an vorschnell zu übernehmenden psychologischen Erklärungsmustern mangeln lässt. In der Tat gibt es zahlreiche Leerstellen in der filmischen Erzählung, in denen Thome der Stille den Vorrang vor geschwätziger Überdeutlichkeit einräumt. In diesem Zusammenhang mag manche schauspielerische Schwäche oder der eine oder andere papiererne Dialog irritieren – bevor einem bei aufmerksam-unvoreingenommener Betrachtung aufgeht, dass man mit solchen Kritikpunkten eigentlich nur versucht ist, die inszenierte Gestelztheit handelsüblicher Kinogeschichten einzufordern. Thome indes ist mit seiner raffinierten Art des „plätschernden“ Erzählens weit näher am wirklichen Leben: Allein der Blick in die Gesichter der Protagonisten verrät mehr als deren Gerede, das immer auch eine zweite Ebene der Selbstdarstellung und -rechtfertigung enthält. Einmal gibt Venus in einem ihrer literarischen Gedanken sogar preis, was sie wirklich beschäftigt: dass sie eine Frau sei, die sich nur mit den Augen der Männer sieht; dass es ein kaltes, einsames Spiel sei, das sie betreibt; und dass sie auf der Suche sei – nicht nach Männern, sondern nach sich selbst. Dafür aber müssten wohl die „Regeln“ und Normen, die unsere Zivilisation fürs Miteinanderleben aufgestellt hat, neu überdacht und verändert werden, damit auch eine Frau wie Venus ihren Traum leben kann. Das ist Thomes reizvolle Utopie in seinem ebenso wundersamen wie wunderbaren Film: dass Vertrauen und Liebe einmal stärker sein könnten als Eifersucht, persönliches Verletztsein und moralische Empörung.
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