Brennen im Wind

- | Italien/Schweiz 2001 | 120 Minuten

Regie: Silvio Soldini

Der Sohn einer osteuropäischen Dorfhure flieht nach einem Mordversuch an seinem Erzeuger in die Schweiz und fängt unter falschem Namen ein neues Leben an. Der Tristesse des Alltags und der Isolation des Emigrantendaseins entzieht er sich durch literarische Versuche und den Glauben an die große Liebe seines Lebens, die er einst in der ehelichen Tochter seines Vaters gefunden zu haben glaubte. Als er diese in der Schweiz tatsächlich wieder trifft, beginnt ein langer Kampf um die Erfüllung des Traums. Von ausgezeichneten Darstellern, einer stimmungsvollen Kamera und einer die emotionalen Stärken des Genres präzise herausarbeitenden Inszenierung getragenes Melodram, das trotz poetischer Überhöhung auch einen Blick auf die innere Zerrissenheit Heimatloser wirft. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BRUCIO NEL VENTO
Produktionsland
Italien/Schweiz
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Albachiara/Vega Film/RAI/RTSI
Regie
Silvio Soldini
Buch
Doriana Leondeff · Silvio Soldini
Kamera
Luca Bigazzi
Musik
Giovanni Venosta
Schnitt
Carlotta Cristiani
Darsteller
Ivan Franek (Tobias) · Barbara Lukesova (Line) · Ctirad Götz (Janek) · Caroline Baehr (Yolande) · Cecile Pallas (Eve)
Länge
120 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Mit der melancholisch-beschwingten Komödie „Brot und Tulpen“ (fd 34 632) landete Silvio Soldini vor zwei Jahren einen Überraschungserfolg. Auch in seinem auf der diesjährigen „Berlinale“ vorgestellten „Brennen im Wind“ stimmt er wieder das Hohelied auf die Liebe an – allerdings ist der Ton etliche Oktaven tiefer angesetzt. Nach einem autobiografisch gefärbten Roman der 1956 in die Schweiz geflohenen Ungarin Agota Kristof erzählt er die Geschichte des kleinen Tobias, der irgendwo in Osteuropa als Sohn einer Dorfhure aufwächst. Als er als Jugendlicher erfährt, dass er der Sohn des Lehrers ist, sticht er diesen im Bett seiner Mutter nieder. Er flieht, landet schließlich in der Schweiz und fängt unter dem Namen Dalibor ein neues Leben als Arbeiter in einer Uhrenfabrik an. Verfolgt vom Albtraum, seinen Vater ermordet zu haben und gefangen in der Monotonie des tristen Arbeitsalltages, sucht er Zuflucht in der Schriftstellerei und in der Hoffnung, eines Tages seine große Liebe aus Kindestagen, die eheliche Tochter seines Vaters, Line, wieder zu treffen. Und tatsächlich erkennt er eines Tages in seiner Arbeitskollegin Caroline die Ersehnte, die er erst heimlich beobachtet, ehe er sich ihr offenbart. Dabei erfährt er auch, dass er ihren und seinen Vater damals nicht getötet hat, und sie mit Mann und Kind in die Schweiz ausgewandert ist. Obwohl Line zunächst keine Zukunft für ein gemeinsames Leben sieht, lässt sie sich schließlich von Dalibors unerschütterlicher Liebe „anstecken“. Gemeinsam setzen sie auf das „Prinzip Hoffnung“, das schließlich ein Happy End erahnen lässt. „Seltsam, ich habe Sie nie lachen gesehen“, sagt eine Arbeitskollegin einmal zu Dalibor. Und als er sie mit einem gekünstelten „Lacher“ regelrecht erschreckt, bittet sie ihn, es in Zukunft doch lieber wieder bleiben zu lassen. Es ist diese Melancholie im Gesichtsausdruck Dalibors, sein intensiver, gleichsam nach innen gerichteter Blick, der für diese von Ivan Franek mit großer Sensibilität verkörperte Figur Interesse weckt. Die Fragilität seines Charakters droht manchmal den äußerlich robusten Körper zu zerbrechen. Nie findet er Ruhe, weder in den Armen seiner Freundin Yolande, noch in denen einer attraktiven Anwältin oder in der Gesellschaft seiner Landsleute, die er nur sehr selten sucht. Und doch korrespondiert die in wenigen, aber prägnant eingefangenen Momenten spürbare Fremdheit der Emigranten mit Dalibors innerer Einsamkeit und selbstauferlegter Isolation. Es sind jene Szenen, die dem Melodram einen unaufgeregten Gegenwartsbezug geben, die es aus seiner zeit- und raumlos scheinenden Atmosphäre befreien. Dennoch steht das Melodram als Genre immer im Zentrum von Soldinis Inszenierungsstil, der aus der Überzeugungskraft der Erzählung, aber auch aus der „stillen“ Schönheit von Barbara Lukesova schöpft, die das Absolute dieser „amour fou“ erst glaubwürdig macht. Selten hat im Kino die Poesie der Liebe so triumphal über die Wirklichkeit und die untergründigen Gefühle einer beinahe inzestuösen Beziehung gesiegt. Zusammen mit seinem Kameramann Luca Bigazzi hat Soldini Bilder von klassischer Klarheit gefunden, die vor allem das CinemaScope- Format künstlerisch ausfüllen. Die sich ständig wiederholenden Fahrten mit dem Bus zur Arbeit, der Blick auf verregnete Landschaften, werden so nicht zu Füllszenen eines Road-Movies, sondern bebildern Seelenlandschaften, mit denen auch die kalten blaugrauen Farben der Gegenwart und die düsteren Brauntöne der Rückblenden korrespondieren. Giovanni Venostas sinfonische, von Gitarren akzentuierte (Geigen-)Klänge fügen sich dabei unaufdringlich ins atmosphärische Konzept eines Films ein, der wie wenige seines Genres Mut zur schnörkellosen Reinheit hat.
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