- | Japan 2001 | 118 Minuten

Regie: Kunitoshi Manda

Eine junge Japanerin lebt mit sich und der Welt in stillem Einklang. Sie lässt sich auf das Werben eines dynamischen Jungunternehmers ein, erteilt ihm aber nach eingehender Prüfung eine Absage und liiert sich mit einem wortkargen Hilfsarbeiter. Radikale Studie über einen unzeitgemäßen Charakter, die durch ihre extrem reduzierte, kontemplative Bildsprache fasziniert. Psychologisch fein gesponnen und als Gegenentwurf zum Entwicklungsparadigma der Moderne nicht ohne kulturkritische Untertöne, besticht der Film vor allem durch seine filmischen Qualitäten. ("Future Talent"-Preis der Ökumenischen Jury in Cannes 2001; O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UNLOVED
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Suncent Cinema
Regie
Kunitoshi Manda
Buch
Kunitoshi Manda · Manda Tamami
Kamera
Akiko Ashizawa
Musik
Kenji Kawaj
Schnitt
Kakesu Syuichi
Darsteller
Yoko Moriguchi (Mitsuko) · Toru Nakamura (Eiji) · Shunsuke Matusoka (Hiroshi)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Eine Hand wird ins Freie gestreckt, um das Wetter zu prüfen. Wenn es regnet, stülpt Mitsuko eine blaue Pellerine über, wenn es trocken ist, tut es ein leichter Wollmantel. Im Rathaus der kleinen Stadt hängt sie ihre Jacke akurat in den Schrank und verschwindet in einer orangen Bürouniform hinter der nächsten Tür. Ihr Chef lobt sie und ihre Arbeit in höchsten Tönen; gerade deshalb will es ihm nicht in den Sinn, dass Mitsuko keinen Ehrgeiz zeigt, beruflich vorwärts zu kommen. „Meine Arbeit passt zu mir“, wiederholt sie ein ums andere Mal, wenn ihre Umwelt mit Kopfschütteln reagiert. Irgendetwas an der stillen Frau scheint die anderen aber nicht in Ruhe zu lassen. Auch Eiji, der junge dynamische Chef eines aufstrebenden Unternehmens, ist von Mitsuko fasziniert; zunächst will er sie als Mitarbeiterin gewinnen, insgeheim aber als Freundin und Geliebte. Doch Mitsuko lehnt ab, zunächst mit leichtem Sinn das Jobangebot, nach längerer Prüfung auch den Entwurf eines gemeinsamen Lebens. Statt dessen freundet sie sich mit ihrem Nachbarn Hiroshi an, einem wortkargen Hilfsarbeiter, der in seiner Freizeit auf dem Bett liegt und Gitarre spielt. Eine Wendung, die Eiji sprachlos macht: Wie kann eine gebildete Frau ein anregendes, materiell sorgenfreies Dasein an seiner Seite scheinbar grundlos ausschlagen und stattdessen ein Leben im Abseits wählen? Die Antwort darauf fällt nicht leicht, weil es Kunitoshi Manda in seinem Spielfilmdebüt nicht um vordergründige Motive oder die Konventionen des Erzählkinos geht. „Unloved“ ist ein strenger, karger Film, der zum Sehen zwingt und dessen statisch- meditative Kamera manchmal an Ozu oder Bresson erinnert. Es gibt keine Totalen und Nahaufnahmen; auch die Bewegung im Bild ist minimiert; die Spannung resultiert zumeist aus der Unvermittelheit der Körper und des raffinierten Umgangs mit der Stille. Die Szenen sind zudem so reduziert, dass sie wie konzentrierte Momentaufnahmen wirken, die lauter irritierende Nachbilder auf der Netzhaut hinterlassen. Dass dies trotzdem nie langweilig ist, hängt am steten Wechsel von Alltäglichem und Exzeptionellem. So benötigt der Film für die Etablierung der Beziehung zwischen Mitsuko und Eiji nur eine Handvoll Szenen, zwischen denen ein Zwiegespräch Eijis mit seiner Mutter schon den Wendepunkt vorbereitet, der an Fassbinders „Martha“ (fd 31 074) denken lässt: Mitsuko wird zum Essen in ein vornehmes Lokal eingeladen, zuvor aber von Kopf bis Fuß bei Calvin Klein eingekleidet – und noch vor der Bestellung allein gelassen, weil Eiji zu einem Kunden muss. Der modischen Transformation – aus der unauffälligen Angestellten wird eine verführerische Begleiterin – entspricht die Entblößung des Körpers, vor allem aber eine rapide wachsende Leere, deren Resultat, die Trennung, erst später in einem langen, komplexen Dialog zu Bewusstsein kommt. Diese Szene ist ein Meisterwerk visueller Kommunikation, weil sie das mühsam Verbalisierte durch ein dichtes Stellungs- und Körperspiel der Beiden in Bilder „übersetzt“. In den gestaffelten Konfigurationen von Zu- und Auseinander, Vor- und Hintereinander findet man dann auch die „plastischste“ Anwort auf das Rätsel Mitsuko, ihren Eigenwillen und Eigenstand: auch – oder vielleicht gerade – als Frau ein Selbst zu sein, das nicht der Anerkennung durch die Umwelt bedarf. Vom Traktat oder einer Kampfschrift unterscheidet sich „Unloved“ dadurch, dass die Stärke zugleich auch eine Schwäche ist. Denn der Film treibt weiter, psychologisch wie philosophisch. Was Mitsuko als innerste Struktur Eijis entdeckte, das Gefühl, aus der Position des Stärkeren von oben auf die anderen herab zu blicken, kehrt unter anderem Vorzeichen in Hiroshis Minderwertigkeitsgefühlen wieder. Plötzlich schämt er sich seines lausigen Daseins und beneidet Eiji um dessen Erfolg und Reichtum. Mit der stillen Zufriedenheit ist es bald vorbei – und damit auch mit Mitsukos Illusion, eine ihr verwandte Seele gefunden zu haben. Wo alles Feste in Bewegung gerät, kann es jedoch schwerlich einen unbewegten Fixpunkt geben. Doch es ist nicht das Ende und die Auflösung dessen, worauf sich der Titel bezieht, die die seltsame Dreiecksgeschichte als sperriges Kinogut in Erinnerung behält; auch nicht die radikal unzeitgemäße Vision einer kontemplativen Existenz, die sich dem omnipräsenten Entwicklungsparadigma verweigert, und wohl auch nicht die Kunst, von Liebe und Begehren, Verführung und Nähe, Sehnsucht und Distanz zu erzählen, ohne Close-Ups und emotionales Miemenspiel zu benützten; was „Unloved“ so faszinierend und emotional tief berührend macht, ist seine elementare Bildsprache, die zentrale Aspekte in einfachen, aber extrem eindringlichen Einstellungen mitunter schmerzlich nahe bringt.
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