Abouna - Der Vater

Drama | Frankreich/Tschad/Niederlande 2002 | 84 Minuten

Regie: Mahamat-Saleh Haroun

Ein achtjähriger Junge und sein 15-jähriger Bruder aus dem Tschad suchen nach ihrem Vater, der die Familie ohne eine Erklärung verlassen hat. Sie finden jedoch nur Projektionen seines Lebens, etwa als Darsteller in einem Kinofilm, den sie stehlen, um ihm nah zu sein. Zur Strafe schickt sie die Mutter in eine Koranschule. Nicht unbedingt ein Film über die allein gelassenen Knaben oder über den Tschad, sondern eher ein europäisch anmutender Autorenfilm, der in Afrika spielt. Mit guten Hauptdarstellern und zuweilen wunderschön komponierten Bildern zeigt er, wie zwei Jungen erwachsen werden und lernen müssen, mit ihren Sehnsüchten und der Realität umzugehen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ABOUNA | OUR FATHER
Produktionsland
Frankreich/Tschad/Niederlande
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Goi-Goi/Tele-Chad/Ministry of Promotion and Development/Commission Européenne/Duo/arte France Cinéma/Hubert Bals Fund
Regie
Mahamat-Saleh Haroun
Buch
Mahamat-Saleh Haroun
Kamera
Abraham Haile Biru
Musik
Diego Moustapha Ngarade
Schnitt
Sarah Taouss-Matton
Darsteller
Ahidjo Mahamat Moussa (Tahir) · Hamza Moctar Aguid (Amine) · Zara Haroun (Mutter Achta) · Mounira Khalil (stummes Mädchen) · Koulsy Lamko (Vater)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama

Diskussion
Ein Mann geht allein in die Wüste, man sieht seinen Rücken, bis er zur Silhouette wird, die in der Ferne verschwimmt. Schon die ersten malerischen Szenen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass „Abouna – Der Vater“ ein Film ist, der ganz auf die Bilder setzt, die ebenso sorgsam konstruiert sind wie die Gesgchichte, die Mahamat-Saleh Haroun erzählt. Sie spielt im Tschad, wo nur wenige Filme gedreht werden, und handelt von dem dort häufig anzutreffenden Fall, dass ein Mann plötzlich verschwindet und nicht wiederkehrt. Doch Haroun fragt nicht nach dem Warum des Verschwindens (oft gehen die Männer weg, um Arbeit zu suchen), ihn interessieren diejenigen, die zurückbleiben und darunter leiden, vor allem der achtjährige Amine und sein 15-jähriger Bruder Tahir. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die nur darüber schimpft, wie unverantwortlich ihr Mann gehandelt hat, ansonsten aber ihr Leben weiterlebt, vermissen die Kinder ihren Vater. Sie suchen ihn dort, wo er immer hinzugehen pflegte. Aber N’Djamena, die Hauptstadt des Tschad, ist groß, weshalb sie ihn nicht finden.

Seltsamerweise scheint sich niemand über die beiden Jungen zu wundern, die die Schule schwänzen. Die Erwachsenen behandeln sie freundlich, auch wenn sie ihr Anliegen nicht wirklich verstehen können. Bis Tahir und Amine ihren Vater sehen – in einem der wenigen Kinosäle des Landes, auf der Leinwand, mit zwei anderen Jungen im Arm. Sie stehlen den Film, um sich die Szenen genauer anzusehen, werden dabei aber erwischt und landen bei der Polizei. Bestraft aber werden sie nur von ihrer Mutter, die sie in eine strenge Koranschule steckt. Dort laufen die beiden weg, werden aber dank unglücklicher Umstände wieder gefasst, wobei sich Amine verletzt. Deshalb fügen sie sich mehr oder weniger in ihr Schicksal. Aber immer noch träumen sie von ihrem Vater, auch wenn Tahir sich inzwischen in ein taubstummes Mädchen verliebt hat. Die Sehnsucht wird noch größer, als ein Onkel ein Poster mitbringt, das ihm ihr Vater in Tanger mitgegeben hat: Es zeigt das Meer, die andere, für sie unerreichbare Welt. Wenigstens für einen Augenblick, als sie es an die Wand heften und anschauen, vergessen sie ihr Leid. Doch bald stirbt Amine, die Mutter landet im Irrenhaus, nur Tahir und seine Freundin scheinen glücklich zu sein. Wie fast alle Spielfilme afrikanischer Filmemacher, die in Europa leb(t)en und dort ihr Handwerk lernten, beeindruckt auch „Abouna“ durch eine poetische Art der Licht- und Farbsetzung und seine einfachen Bilder, die das Besondere der Landschaft und seiner Menschen betonen. Doch anstelle eines Märchens („Yeelen“, fd 27 497, „Yaaba“, fd 28 107) oder einer Komödie hat Haroun (Jahrgang 1961), der seit über 20 Jahren in Frankreich lebt, nach einigen Kurzfilmen und einem autobiografischen Dokumentarspielfilm („Bye, Bye Afrika“, 1999) im Grunde einen europäischen Autorenfilm gedreht. Denn im Mittelpunkt steht nicht die gegen Ende immer zerfahrener werdende Geschichte, sondern die Reflexion über das Leben anhand von Projektionen: den Wunschvorstellungen der beiden Jungen über ihren Vater, das reale Filmbild, mit dem sie nichts anfangen können, weil es für sie nichts Nacherlebbares hat, und das Foto vom Meer, in dem der Vater schließlich ganz verschwindet.

Obwohl Haroun vor allem die Perspektive der Verlassenen beschreiben wollte, hat sein Film nichts Mitleidiges, sondern wirkt eher wie ein Road Movie mit einem ungleichen, aber doch harmonischen Gespann eines Kindes und eines Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst. Die beiden halten zusammen, und in den dichtesten Momenten werden ihre Blicke und Gesten im Einklang mit der raffinierten Lichtgestaltung zu einer universellen Studie über das Erwachsenwerden in mehreren Zeit- und Bewusstseinsstufen. Im Prinzip könnte „Abouna“ überall spielen, denn die kleinen Gesten – etwa wenn Tahir seiner Freundin etwas schüchtern die Ohrringe ansteckt, die er ihr geschenkt hat, oder wenn die Geschwister ihre Mitschüler aus dem Zimmer jagen, damit sie wenigstens einen privaten Augenblick haben, um das Geschenk ihres Vaters zu betrachten – sind nicht typisch afrikanisch. Die Tatsache, dass wenig gesprochen wird, auch nicht. Die Sonne, die Kargheit vieler Szenen, auch bei denen, die im Innern der einfachen Wohnungen spielen, und die melancholisch-verspielte Musik geben dem nicht immer stringent inszenierten Film ein besonderes Flair, auch wenn es Haroun nur in wenigen Szenen gelingt, an die magischen Bilder von Cissé, Sembène oder Ouédraogo anzuknüpfen.

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