- | Japan 2001 | 123 Minuten

Regie: Isao Yukisada

Die Identitätssuche eines jungen, seit seiner Geburt in Japan lebenden Koreaners, der sich neben der allgemeinen Perspektivlosigkeit auch gegen die Diskriminierung als Koreaner - und damit als Menschen zweiter Klasse - wehren muss. Dies wird umso drängender, als er sich in ein japanisches Mädchen verliebt. Mal temporeich und verspielt, in der Liebesgeschichte dann wieder verhalten, ist der Detailreichtum der Beobachtungen ebenso beeindruckend wie das Gespür des Films für Atmosphäre, einen unorthodoxen dramatischen Aufbau und ein bestechendes Timing. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GO
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Toei Company
Regie
Isao Yukisada
Buch
Kankurô Kudo
Kamera
Katsumi Yanagishima
Musik
Yôko Kumagai
Schnitt
Takeshi Imai
Darsteller
Yôsuke Kubozuka (Sugihara) · Kou Shibasaki (Sakurai) · Tsutomu Yamazaki (Hideyoshi, Sugiharas Vater) · Shinobu Otake (Michiko, Sugiharas Mutter) · Takato Hosoyamada (Jong-il)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
REM (16:9, 1.85:1, DD2.0 jap.)
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Diskussion
Isao Yukisadas „Go“, der fünfte Spielfilm des 1968 geborenen japanischen Filmemachers, kommt mit einer Direktheit und Energie auf den Zuschauer zu, die ihresgleichen suchen. Yukisada hält sich mit keiner Introduktion auf, die mit dem Personal des Films vertraut machen und Beziehungen klären könnte; kein Exkurs in die Geschichte, um das schwierige Verhältnis zwischen Japanern und Koreanern nach der langen japanischen Besatzung zwischen 1910 und 1945 zu erläutern. Statt dessen nimmt die Kamera die Hauptfigur, den Teenager Sugihara, direkt ins Visier, der schon seit seiner Geburt als „Zainichi“ in Japan lebt, als Sohn eines Koreaners, der nicht die japanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Sugihara bekommt zu spüren, dass solche Leute in Japan als Menschen zweiter Klasse gelten. „Heimatland“, „Nation“, „Grenze“ oder „Patriotismus“ sind deshalb Begriffe, die Sugihara anöden und wütend machen. Diese Wut, die hinter Sugiharas beherrschtem Wesen lauert und ihn immer wieder Amok laufen lässt, reflektiert sich in der Konstruktion des Films, der phasenweise wie sein Held im Übereifer und Fieber dahinrast, als hätten Drehbuchautor, Kameramann und Cutter gleichzeitig die Beherrschung verloren und alle Regeln ihrer Profession vergessen. Sugihara behauptet zwar im immer wiederkehrenden Off-Kommentar, der Film erzähle seine Liebesgeschichte. Doch bevor diese tatsächlich etabliert wird, schildert Regisseur Yukisada zu wildem Techno-Beat in Jump-Cuts, Zeitlupen, absurden Bildbeschleunigungen und exaltierten Kameraperspektiven eine Jugend in Japan, wie man sie in den letzten Jahren auf europäischen Festivals auch in bemerkenswerten Filmen von Toshiaki Toyoda („Pornostar“, „Blue Spring“) oder Shunji Iwai („Swallowtail Butterfly“, „All About Lily Chou-Chou“) beschrieben sah. Jugendliche, die sich ohne Lebensperspektive in einem wirtschaftlich gebeutelten Land dem gesellschaftlichen Druck und jedem Konformismus widersetzen, in mörderischen Mutproben Selbstbestätigung suchen, eine amoralische Grundhaltung propagieren und sich dabei in Gangs zusammenschließen, die schwächere Mitschüler gnadenlos tyrannisieren. Da Sugihara sich von den Boxkünsten seines Vaters einiges abgeschaut hat, weiß er sich seinen Platz zu erkämpfen – und leidet dennoch unter dem Makel, kein echter Japaner zu sein. Nicht zuletzt deshalb kehrt er der nordkoreanischen Schule mit ihren bizarren Ritualen den Rücken zu und geht, der Verachtung seiner bisherigen Lehrer trotzend, auf eine japanische Schule. Erst dann – der Film schlägt nun ein sehr viel ruhigeres Tempo ein – lernt er Sakurai kennen, die sich ihm eines Abends ziemlich selbstbewusst nähert. Plötzlich scheint alles ganz einfach zu sein: Sugihara lässt sich von der kecken Art des Mädchens mitreißen, und unversehens befindet er sich bei ihm zuhause zum ersten Mal inmitten einer japanischen Familie. Aus Angst, die Freundschaft Sakurais zu verlieren, verschweigt er ihr seine Abstammung. Als jedoch sein bester Freund Jong-il in der U-Bahn von einem Jugendlichen erstochen wird, konfrontiert er seine Freundin mit seiner Herkunft. Sakurais Reaktion ist schlimmer als befürchtet: distanzlos und unreflektiert vertritt sie die Vorurteile ihrer Eltern und der meisten Japaner und stößt Sugihara von sich. Sein Vater, der selbst unter der Situation der Heimatlosigkeit leidet, muss hilflos mit ansehen, wie sich das Gefühl der Ohnmacht bei seinem Sohn immer wieder in wütenden Attacken entlädt. „Go“ überzeugt in allen Belangen. Yukisada gelingt das Kunststück, den stilistisch äußerst disparaten Film trotz der teilweise eklektischen Anmutung mit einem feinen Gespür für Atmosphäre, Timing und dramatische Situationen zu einem homogenen Ganzen zu formen. Jenseits chronologischer Abfolgen, zwischen Drama und absurder Komödie changierend, zieht er alle Register und führt fort, was Shunji Iwai (bei ihm war Yukisada Regieassistent) und andere in ihren Filmen begonnen haben: die Zerstörung des klassischen, formal strengen japanischen Erzählkinos und die Suche nach einer Filmsprache, die der Realität der Jugendlichen näher kommt. „Go“ wird dadurch zu einem großartigen Beispiel dafür, wie soziale Themen sich auch einem jungen Publikum näher bringen lassen. Dass er am Ende auch ein wenig nach Hollywood und dessen Faible fürs Happy-End schielt, verzeiht man ihm gerne.
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