Manzan Benigaki

Dokumentarfilm | Japan 1984/2001 | 90 Minuten

Regie: Shinsuke Ogawa

Ein dokumentarisch-ethnografisches Essay über japanische Dörfer, die im Verschwinden begriffen sind, und deren vornehmlich ältere Bewohner. Anhand von Szenen der Ernte und Verarbeitung von Kakipflaumen erzählen Regisseur Ogawa Shinsuke (1935-92) und seine Schülerin Peng Xiaolian von einer Lebensweise, die zunehmend der Moderne weicht, sowie von deren Legenden und Anekdoten. Aus leisen, minutiösen Beobachtungen entsteht ein philosophisch grundiertes Gruppenbild, das eine fast verschwundene Vergangenheit für die Zukunft bewahrt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MANZAN BENIGAKI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1984/2001
Produktionsfirma
The Kaminoyama Delicacy Benigaki Documentary Film/Planet
Regie
Shinsuke Ogawa · Xiaolian Peng
Kamera
Masaki Tamura · Lin Jong
Musik
Daiko Jomon
Schnitt
Xiaolian Peng
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Die Arbeit an diesem Film begann vor rund 20 Jahren. Ogawa Shinsuke, einer der bedeutendesten Dokumentaristen des japanischen Kinos, hielt für sein ethnografisches Essay „Geschichten aus Magino – Die tausendjährige Sonnenuhr“ (1984-86) Bilder aus dem Leben seines Volkes fest, die von der Moderne verschluckt zu werden drohten. Dabei filmte er auch Szenen von der Ernte und Bearbeitung der Kakipflaumen, einer Frucht, die sowohl zu Marmelade als auch zu Trockenobst, Alkohol und Medizin verarbeitet werden kann. Nach Ende der Aufnahmen war so viel Material vorhanden, dass sich der Regisseur von einigen Rollen trennen musste, die er für spätere Projekte beiseite legte. Nach Ogawas Tod 1992 regte dessen Witwe die junge chinesische Filmemacherin Peng Xiaolian an, sich erneut mit dem Thema zu befassen. Peng hatte Ogawa noch persönlich kennengelernt und ein Buch über den von ihr verehrten Meister geschrieben; nun nutzte sie die Chance, die Bewunderung auch filmisch zu manifestieren. Das Entree bildet eine Begegnung mit Ogawa selbst. Eine Leinwand wird aufgestellt, ein Projektionsapparat installiert; dann ist der Regisseur zu sehen, der, von seinem Kollegen Nagisha Oshima befragt, sein Credo mitteilt: Er betrachte eine seiner Aufgaben darin, die verschwindenden Dörfer des japanischen Nordens, ihre vornehmlich älteren Bewohner und deren Dasein im Bild festzuhalten. Dem Credo folgt dessen Realisierung: Ogawas Kamera zeigt Männer, die Früchte pflücken oder selbst konstruierte, von Generation zu Generation vererbte Schälmaschinen vorführen, und Frauen, die die Kakipflaumen zum Trocknen auffädeln. Ogawa nimmt sich Zeit sowohl für ihre Handbewegungen als auch für Legenden und Anekdoten. Aus konkreten Vorgängen entstehen Umrisse einer uralten Tradition, während die Geschichten mitunter ins Heiter-Philosophische münden; etwa, wenn ein Mann von US-Soldaten erzählt, die 1945 in sein Dorf kamen, die rohen Früchte als ungenießbar empfanden – aber gleichzeitig Dutzende Büchsen mit Tomatenketchup zurückließen, das wiederum von den Japanern als nicht essbar beurteilt und ans Vieh verfüttert wurde. Etwas 60 Prozent der Aufnahmen stammen von Ogawa; für die andere knappe Hälfte des Films kehrte Peng Xiaolian an dessen damalige Drehorte zurück und suchte nach früheren und neuen Interviewpartnern. Die 1984 und Ende der 1990er-Jahre entstandenen Szenen verschmelzen bruchlos ineinander; dazu trug nicht zuletzt die Kamera von Jong Lin bei, der den Stil seines „Vorgängers“ Tamura Masaki behutsam adaptierte. Zu den besonders beeindruckenden Momenten des Films zählt das Finale, in dem Peng eine Reihe von Figuren einblendet, die inzwischen verstorben sind und deren Erinnerungen dank des Films bewahrt bleiben; als letztes Foto fügt sie ein Porträt von Ogawa an. Diesem hatte sie schon im Zentrum des Films einen Ehrenplatz eingeräumt: Hier ist Ogawa zu sehen, wie er die Zeitraffer-Aufnahmen eines Gestells zum Trocknen der Früchte realisiert. Während dieser Tätigkeit erscheint ein Bauer, den der Regisseur erkennt und dessen Arbeit lobt. Ogawa, der plötzlich in den Dialekt der Gegend verfällt, nutzt die Chance für ein Gespräch über den Standort des Gestells, wobei aus seiner „kleinen“ Frage eine „große“ Antwort über Sonneneinstrahlung und Windrichtung, die Bedeutung der Temperatur und selbst des Wassers, das unter der Erde fließt, für den Geschmack der Früchte erwächst: Mensch und Natur in schöner Harmonie. Der zärtliche, in ruhigem Erzählfluss gehaltene, völlig uneitle Film macht keinen Hehl daraus, dass ein Ende all dieser Traditionen absehbar ist. „Manzan benigaki“ bewahrt die fast vollendete Vergangenheit für die Zukunft, erweist sich als cineastisches Gedächtnis für die Jungen, die ihre Dörfer meistens schon lange verlassen haben. Nach und nach sind die Märkte für die sorgsam getrockneten Früchte nicht mehr rentabel; von der Ernte, die früher ganze Familien ernährte, kann längst niemand mehr existieren. Mit diesem Teil des japanischen Lebens werden auch jene einprägsamen Bilder verschwinden, die in „Manzan benigaki“ noch einmal in ihrer ganzen Kraft aufleuchten: beginnend mit den an langen weißen Seilen aufgefädelten rohen roten Früchten bis hin zu den geschälten, nun ganz weißen Trockenpflaumen, die – in Zellophan gewickelt, mit rosaroten Schleifen und Gütesiegel versehen – in der Stadt zum Verkauf angeboten werden.
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