Anansi - Der Traum von Europa

- | Deutschland 2002 | 80 Minuten

Regie: Fritz Baumann

Dramatisches Road Movie über eine Gruppe Westafrikaner, die versucht, illegal nach Europa zu immigrieren. Angereichert mit Voice over, Rückblenden und Traumsequenzen, wird emphatisch, ungeschönt und doch mit Sinn für ästhetische Bilder vom Überlebenskampf der Flüchtlinge erzählt. Die Spielfreude der schwarzen Schauspieler, authentische Schauplätze sowie ein realitätsnahes Drehbuch machen den Film zu einer poetischen Parabel über falsche Hoffnungen und die vermeintlichen Glücksverheißungen der industrialisierten Welt. (Auch O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Acista Film/Brainpool TV/Calypso Filmproduktion/Arte/BR
Regie
Fritz Baumann
Buch
Fritz Baumann
Kamera
Arturo Smith
Musik
Roman Bunka
Schnitt
Christian Lonk
Darsteller
George Quaye (Zaza) · Naomie Harris (Carla) · Jimmy Akingbola (Kojo) · Maynard Eziashi (Sir Francis) · Jeillo Edwards (Tante Vera)
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.

Diskussion
„Für verlorene Seelen gibt es kein Paradies.“ Die Erkenntnis kommt Zaza, dem togolesischen Flüchtling, in der Wüste. Zu spät, denn auf halbem Weg nach Europa gibt es für die kleine Gruppe westafrikanischer Flüchtlinge, die vom Kapitän eines russischen Frachters ausgesetzt wurde, kein Zurück mehr. Kojo, der Fotograf, seine Freundin Carla, der Eisverkäufer Zaza und der welterfahrene Francis sitzen fest. Der Weg nach Europa führt für viele afrikanische Emigranten nicht ins Paradies, sondern in die Hölle oder ins Jenseits. „Anansi – Der Traum von Europa“ schildert ungeschönte Geschichten von der illegalen Emigration vieler Westafrikaner und erzählt fast beiläufig vom Verdursten in der Wüste und vom Ertrinken im Golf von Gibraltar. Etliche, die von sozialer und politischer Not nach Europa getrieben werden, verfehlen ihr Ziel. Mehrere Jahre lang hatte der Dokumentarfilmer Fritz Baumann als Entwicklungshelfer auf Jamaika gearbeitet und dabei viele unglaubliche Geschichten illegaler Einwanderer kennen gelernt. Einfühlsam und ideenreich bringt er in seinem dritten Spielfilm das Kunststück fertig, als Deutscher einen afrikanischen Film zu drehen. „Anansi – Der Traum von Europa“ wirkt so authentisch, als ob ein Schwarzafrikaner das Drehbuch geschrieben hätte. Die plastisch stilisierten Figuren wecken Verständnis für die Probleme der Armen und politisch Verfolgten. Zaza, der togoische Flüchtling, der in Kojos Fotoatelier eine vorläufige Schlafstadt gefunden hat, transportiert auf seinem Moped große Eisstangen für die Kühlschränke der Restaurants quer durch die laute ghaneische Stadt, was ohne Kühlung in der Hitze ein schwieriges Unterfangen ist. Wo die Armut groß ist und der Krieg alltäglich, sind Träume überlebenswichtig. Zaza, seit drei Jahren auf der Flucht, plagen indessen mehr Albträume. Wenn ein übelgelaunter Verkehrspolizist seine Papiere kontrolliert, steigen in ihm unwillkürlich Bilder von Verfolgung und Gewalt auf. Der Fotograf Kojo hingegen malt afrikanische Träume: teils naiv, teils realistisch, aber immer lebensgroß; ein westliches Badezimmer, eine Einbauküche und die Gangway vor einem Flugzeug. Vor den gemalten Luxusgütern träumen die Porträtierten lustvoll von einem anderen Leben. Die Kundschaft posiert und lacht, auch wenn sie die Fotos von den Träumen kaum bezahlen kann. Kojo bleibt die Miete fürs Atelier schuldig und zieht - wie Zaza - die Verheißungen vom europäischen Paradies in Erwägung. Sir Francis, der einst aus Deutschland mit einem vollbeladenen Mercedes nach Ghana zurück kehrte, ist der Anführer der Gruppe. „Wenn du mitgekommen wärst, würdest du heute keine Luxusgüter malen, sondern sie längst besitzen“, erklärt er dem noch unentschlossenen Kojo. Carla, Kojos Freundin, schließt sich den Männern an, weil sie nicht wie so viele andere Frauen endlos auf ihren Mann warten will. „Ich werde mein Leben nicht wegwerfen“, sagt sie zu Kojo. Der Titel „Anansi“ spielt auf ein afrikanisches Fabelwesen an. In dieser Erzähltradition steht der Ausdruck für ein mephistotelisches Wesen, das intelligent, aber habsüchtig und unmoralisch ist. Bringt es etwas Gutes, dann geschieht es eher zufällig. In der Erzählung der Off-Stimme, die Zazas Albträumen zu entspringen scheint, klingt die Boshaftigkeit Anansis an. „Wer mit gekreuzten Beinen schläft, kann seinen Albträumen nicht davon laufen. Wer seine Heimat verlässt, verliert seine Freunde. Wer Anansi folgt, ist in seinen Träumen gefangen, und manchmal ist es Anansi selbst, der einem die Beine kreuzt.“ Bemerkenswert ist, dass der Verleih neben einer schlechten deutschen Synchronfassung auch eine untertitelte Orignialfassung anbietet. Der Oud-Virtuose Roman Bunka von der Gruppe Embryo untermalt mit den melancholischen Klängen der arabischen Laute die choreografischen Traumsequenzen, beispielweise die wie in Zeitlupe schwerelos tanzenden Füße, die der Kameramann Arturo Smith ebenso meisterhaft fotografiert wie die Doppelbelichtungen in der marokkanischen Wüstenlandschaft. In Westafrika besaß die Studiofotografie einst eine große Bedeutung. Noch heute betreibt der Fotograf Philip Kwame Apagya in der Nähe der ghanesischen Hauptstadt Accra ein Studio, in dem Kunden tatsächlich fröhlich grinsend in „realistisch“ gemalte Kühlschränke greifen oder vor imaginären Gangways in die Kamera des Fotografen winken. „If you know how to look at a picture, you will always see what is hidden deep inside“, verrät Apagya. In diesem Sinn ist „Anansi“ ein unaufdringlich lehrreicher, zutiefst poetischer Film über falsche Hoffnungen und leere Versprechungen. Wie in Apagyas Bildern ist in „Anansi“ die Fiktion reizvoll und offensichtlich zugleich.
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