Hukkle - Das Dorf

- | Ungarn 2002 | 75 Minuten

Regie: György Pálfi

In einem ungarischen Dorf beobachtet ein mit chronischem Schluckauf geschlagener alter Mann tagein, tagaus, wie gesät und geerntet, geheiratet und gestorben wird. Doch dabei geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Ohne eine einzige Dialogzeile verdichtet sich der Film zu einer Schule des Sehens und Hörens, die die Schönheit des Unscheinbaren begreiflich macht. Ein ebenso innovativer wie unterhaltsamer Erstlingsfilm, der an die reichen Traditionen des Filmlands Ungarn anknüpft. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HUKKLE
Produktionsland
Ungarn
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Mokép
Regie
György Pálfi
Buch
György Pálfi
Kamera
Gergely Pohárnok
Musik
Balázs Barna · Samu Gryllus
Schnitt
Gábor Marinkás
Darsteller
Ferenc Bandi (Onkel Cseklik) · Józsefné Rácz (Hebamme) · József Farkas (Polizist) · Ferenc Nagy (Bienenzüchter) · Ferencné Virág (seine Frau)
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion

Pünktlich zur bevorstehenden EU-Erweiterung verweist Ungarn mit György Pálfis Debüt „Hukkle – Das Dorf“ auf sein noch immer ungebrochenes Potenzial als Filmland. Ein Filmland, dessen ganz eigene Originalität Stalinismus, liberalen Baracken-Sozialismus à la Husák und auch den Einbruch der Marktwirtschaft überlebt hat, dem aber gleichzeitig nie die Reputation zuteil wurde, die ihm eigentlich zustehen würde. Sieht man heute beispielsweise die frühen Filme István Szabós („Vater“, fd 15 829, oder „Feuerwehrgasse 25“, fd 19 503), die ausgreifenden Epen von Miklós Jancsó („Ungarische Rhapsodie“ 1979) oder die komplexen psychologisch-ethischen Studien eines Zoltán Fábri („Das fünfte Siegel“, 1976) – von den experimentell beseelten Arbeiten Mark Novaks, Zoltán Huszáriks und Gábor Bódys einmal ganz abgesehen – so fragt man sich, warum hierzulande kaum Literatur über diese Kinematografie vorliegt. Weitgehend unbemerkt von der westeuropäischen Rezeption wurden in Ungarn kontinuierlich inhaltliche wie formale Grenzen der Filmsprache erweitert. In den Budapester Archiven liegt noch ausreichend Stoff für zahllose Dissertationen und Retrospektiven. Neue Produktionen knüpfen an diese bestehenden Traditionen an. „Hukkle“-Regisseur György Pálfi hat seinen mehrfach preisgekrönten Film nicht von ungefähr seinem Lehrer Sándor Simó (1934 - 2001) gewidmet. Simó ist im Westen unbekannt geblieben, seine Arbeiten (z.B. „Die glücklichen Jahre meines Vaters“, 1966) fokussieren unspektakulär das Leben „kleiner Leute“, die scheinbar zufällig ins Zentrum historischer Umbrüche geschleudert werden. Diese im wörtlichen Sinne exzentrische Perspektive greift Pálfi auf. Ein Dorf in nicht näher beschriebener ungarischer Provinz. Der mit chronischem Schluckauf geschlagene Onkel Cseklik schlürft wie jeden Morgen vor sein baufälliges Haus und nimmt, auf einer Holzbank sitzend, die Parade der alltäglichen Belanglosigkeiten ab. Ziegenherden, Mähdrescher, Polizeiwagen, Beerdigungen und Hochzeiten ziehen an seinem trüben Blick vorüber, wobei sie vom ewigen Schluckauf rhythmisch unterlegt werden. So unterschiedlich die nachfolgenden Handlungsfragmente auch sein mögen, Onkel Cseklik bleibt der Ruhepol des Geschehens, der Film beginnt und endet auf seiner Holzbank. Dazwischen erlebt man ein ganzes Kaleidoskop dörflicher Verwerfungen. Es wird gesät und geerntet, geheiratet und gestorben. Aber irgendetwas stimmt nicht mehr. Die Kegelspieler auf dem Dorfplatz reduzieren sich von Jahr zu Jahr, die meisten Häuser haben Risse, sind notdürftig mit Planen abgedeckt oder werden vom Schimmel aufgefressen. Das Dorf ist ein Ort der Alten; wer irgend kann, zieht hier weg. Aber auch jenseits der normalen Sterbequote häufen sich die Todesfälle. Der stets etwas schmuddelig wirkende Dorfpolizist beginnt mit seinen Ermittlungen. „Hukkle“ ist ein Film der Nahaufnahmen, dies in akustischer wie optischer Hinsicht. Seine Struktur erklärt sich über Details, nicht über Totalen. Das Mikrokosmische des Dorflebens reproduziert sich in den genauen Beobachtungen von Fragmenten, deren Zuordnung sich oft erst nach einigen Momenten ergibt. Das Fell eines Schafes erscheint zunächst wie eine Wildnis, die Haut eines alten Menschen wie ein rissiges Gemäuer. Aus diesem Verfahren resultiert die eigentliche Faszination des Films: Als Zuschauer begibt man sich in ein Vexierbild, in dem man immer wieder auf Überraschungen stößt. „Hukkle – Das Dorf“ kommt ohne eine einzige Dialogzeile aus und wird so zu einer Schule des Sehens und Hörens, die einem die Schönheit des Unscheinbaren begreiflich macht. Nur ganz selten gerät die Methode an den Rand des Manieristischen: wenn etwa ein amerikanischer F-16-Jäger per Computeranimation durch die Landschaft gelenkt wird oder plötzlich der Körper eines Essenden als Röntgenaufnahme erscheint. Eingebettet in das ländliche Kaleidoskop, deutet sich der Krimiplot an. Seine makabren Einschübe verhindern die immanente Idealisierung der archaischen Szenerie. Doch im Gegensatz zu den Fragmenten der bildlichen Ebene verdichten sie sich nie zu einem Ganzen. Glücklicherweise! Denn dadurch werden die grandiosen Einfälle des Films nicht doch noch zum dekorativen Beiwerk eines banalen Whoduit -Arrangements degradiert.

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