A Snake of June

Drama | Japan 2002 | 77 Minuten

Regie: Shinya Tsukamoto

Eine junge Frau wird von einem Unbekannten mit kompromittierenden Fotos erpresst, ihre sexuellen Fantasien öffentlich auszuleben. Als ihr Mann in dieses Spiel einbezogen wird, entwickelt sich eine ungewollte Dreierbeziehung, die auf eine Katastrophe zusteuert. Formstrenges, klaustrophobisches Drama um Krankheit, Sex und Tod. Eine komplexe und anspielungsreiche Geschichte, die die Seelenlage der Figuren auslotet, durch ihren starken Formwillen bisweilen jedoch in Künstlichkeit erstarrt. (O.m.d.U.)
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ROKUGATSU NO HEBI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Kaijyu Theater
Regie
Shinya Tsukamoto
Buch
Shinya Tsukamoto
Kamera
Shinya Tsukamoto
Musik
Chu Ishikawa
Schnitt
Shinya Tsukamoto
Darsteller
Asuka Kurosawa (Rinko Tatsumi) · Yuji Kohtari (Shigehiko) · Shinya Tsukamoto (Iguchi) · Mansaku Fuwa · Tomoro Taguchi
Länge
77 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen einen dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Starmedia (16:9, 1.85:1, DD5.1 jap., DD5.1 dt., DTS dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Eine namenlose Stadt, ein Ehepaar. Er ist schon in die Jahre gekommen, sie nicht mehr ganz jung, Sex scheint es zwischen den beiden nicht mehr zu geben. Eine öde Durchschnittsexistenz, der es zwar nicht an materiellen Gütern mangelt, um so mehr aber an emotionaler Innenausstattung. Nur eine Obsession scheint das Paar zu kennen: die der Reinlichkeit. Penibel säubert der Mann die Wohnung; vor allem die Ausgüsse haben es ihm angetan – als könne er durch Kontrolle jener kleinen, furchterregenden Öffnungen auch das letzte Einfallstor der zivilisatorischen Unterwelt beherrschen. Eines Tages erhält Rinko, so heißt die Frau, Post, die sie zunächst auf sich selbst zurückwirft. Ein Unbekannter hatte sie beim Masturbieren fotografiert und zwingt sie nun mit der Drohung der Veröffentlichung dieser Bilder, ihre heimlichen Fantasien auszuleben. Wenn dies im Folgenden geschieht, wischt die Grenze zwischen Rinkos Sehnsüchten und Wünschen und denen des Beobachters, mit dem sie durch ein Mobiltelefon verbunden ist. Der Film selbst ist auch eine Fantasie, die sich ausmalt, dass Rinko dabei tatsächlich Lust in ungeahnter Intensität empfindet, wenn sie beispielsweise ohne Slip und im zu engen Minirock durch die Großstadtstraßen geht, sich auf einer öffentlichen Toilette befriedigt, demütigen und ausbeuten lässt. Sehr bald stellt sich heraus, dass der Erpresser ein ehemaliger Patient von Rinko ist, die als Telefonseelsorgerin für Krebskranke arbeitet; und bald ist auch der Ehemann in das Spiel miteinbezogen. Eine ungewollte Dreierbeziehung nimmt ihren Lauf, ein strenges und bizarres Drama um Krankheit, Sex und Tod. „Tetsuo“ (1988) machte Shinya Tsukamoto weltberühmt. Danach drehte er „Tokyo Fist“ und „Gemini“– drei radikale Filmexzesse. Immer geht es darin um Familienund Paarbeziehungen; oft werden diese bis zu einem bestimmten Extrem geführt, das Verborgenes zum Vorschein bringt und noch das Intimste als soziales Konstrukt entlarvt. Ähnlich wie David Lynch oder David Cronenberg, mit denen Tsukamoto viele Themen und Interessen teilt, sind seine Filme dabei keine Erzählungen mit Realitätsanspruch, sondern philosophische Versuchsanordnungen. Wie seinen früheren Filmen sieht man auch „A Snake of June“ den Formwillen jeden Augenblick an. Die Bilder sind in strengem Blaugrau gehalten, die Räume sind eng und unübersichtlich, erzeugen eine klaustrophobische Grundatmosphäre. Fast wird der Zuschauer selbst zum Voyeur, zum Beobachter, der gleichzeitig distanziert und mittendrin im Geschehen ist. Dabei zeigen die Bilder nur das Nötigste; fast immer sind sie schön stilisiert. Tsukamoto erzählt skizzenhaft und schnell, weshalb er für die überaus komplexe und anspielungsreiche Geschichte nur knapp 80 Minuten braucht. Manchmal freilich nimmt die Kunstanstrengung überhand, was den Eindruck verstärkt, dass hier eine vielleicht gar nicht so unkonventionelle Story mit allerlei visuellen Elementen fürs Arthouse-Kino aufgepeppt wird.

Auf seine Art ist der Film auch ein Thriller und Horrorfilm. Dabei ist die Prüfung, die eine eingeschlafene Ehe überstehen muss, um sich der gegenseitigen Liebe wieder neu zu versichern, fast ein Hollywood-Thema, zumindest jedenfalls ein moralischer Stoff, dem es um die Seelenlagen seiner Figuren zu tun ist. Das Öffentlichmachen von Intimität, zu dem Rinko gezwungen wird und mit dem sie sich auseinandersetzen muss, scheint dabei ebenfalls ein Thema zu sein. was man von einem japanischen Regisseur eher weniger erwartet hätte: Das Ehepaar ließe sich ebenso gut in Paris, New York oder Berlin vorstellen. Das implizit formulierte Gebot, sein geheimstes Begehren auszuleben, Verdrängungen zu beenden und Tabus einzureißen, um „gesund“ zu werden, wirkt in seinem idealistischen Pathos der Selbstbefreiung – und seinem Optimismus, dass diese auch gelingen könne – fast schon wieder vorpostmodern.

Kommentar verfassen

Kommentieren