Drama | Österreich 2003 | 74 Minuten

Regie: Ruth Mader

Eine Saisonarbeiterin aus Polen setzt sich in Österreich ab und schlägt sich als illegale Tagelöhnerin durch. In einem Sexclub lernt sie einen einsamen Immobilienmakler kennen, der selbst zu seiner Tochter keinen Kontakt mehr findet. Der Film zeigt Impressionen aus beiden Schicksalen und schildert ausführlich die jeweiligen Lebensumstände vor dokumentarischem Hintergrund. Das beeindruckende Debütfilm setzt sich über dramaturgische Zwänge hinwegt und spiegelt unverfälscht wirtschaftliches Elend und seelische Verarmung. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
STRUGGLE
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Amour Fou/Struggle
Regie
Ruth Mader
Buch
Ruth Mader · Barbara Albert · Martin Leidenfrost
Kamera
Bernhard Keller
Schnitt
Niki Mossböck
Darsteller
Aleksandra Justa (Ewa) · Gottfried Breitfuß (Harold) · Margit Wrobel (Ärztin) · Martin Brambach (Martin) · Rainer Egger
Länge
74 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein vollbesetzter Bus, ein Mann mit einem Mikrofon, eine Reise übers Land – doch was wie eine Kaffeefahrt aussieht, ist triste Wirklichkeit für Erntearbeiter aus Polen. Für ein paar Wochen dürfen sie nach Österreich kommen; zum Schuften unter härtesten Bedingungen. Bei Wind und Wetter pflücken sie täglich zwölf Stunden lang Erdbeeren im Akkord, um mit Mühe auf 50 Euro am Tag zu bekommen. Am Ende der Saison will Ewa jedoch nicht zurück. Zusammen mit ihrer kaum zehnjährigen Tochter macht sie sich davon – und landet auf einer Art Arbeitsstrich an einer Landstraße, wo sie, zusammen mit anderen illegalen Arbeitern, auf die Angebote vorbeirauschender, nicht unbedingt freundlicher Pkw-Insassen wartet – immer auf der Hut vor der Polizei. Wenn sie dann Glück hat, darf sie Geflügel ausnehmen, Schwimmbecken schrubben und was sonst an schmutziger Schwarzarbeit anfällt, für die sich viele Österreicher zu schade sind. Wie zum Ausgleich besucht sie einen Sexclub. Dort trifft sie auf den Immobilienmakler Harold. Wirtschaftliche Probleme kennt der nicht, dafür die Einsamkeit umso mehr. Er verbringt seine Tage allein; selbst seine Tochter aus der gescheiterten Ehe mag ihn nicht.

Die Wienerin Ruth Mader zeigt in ihrem Diplom- und Debütfilm das Elend in Echtzeit. Wenn Harold durch Betonlandschaften fährt und dazu ein viel zu fröhlicher Song aus dem Radio dröhnt, hält die Kamera drauf, ohne zu schneiden, minutenlang. Wenn er allein sein Essen in sich hinein schaufelt, ebenfalls. Wenn das Geflügel ausgenommen wird, dokumentiert Mader die grässliche Prozedur in aller Ausführlichkeit, und selbst das unwürdige Warten an der Landstraße wird wie ungekürzt dargestellt. Geredet wird dabei so gut wie nicht. Es gibt nichts zu sagen, man fürchtet sich scheinbar sogar vor einer Kommunikation, in der man etwas von sich preisgeben müsste. Nicht andeuten, dramatisieren oder metaphorisch vermitteln will Mader die Situation, sondern spürbar machen. Das Konzept ist halbdokumentarisch, die Nebendarsteller sind echte Arbeiter, die Schauplätze existieren und funktionieren so wie im Film. Vor diesem Hintergrund tatsächlicher Ausbeutung, Verelendung und Vereinsamung bildet Mader zwei Schicksale ab, die sich erst gegen Ende annähern und sich bis dahin mehr schlecht als recht durchschlagen. Sie stehen zwar prototypisch für zwei ganz unterschiedliche Lebenswege, wirken aber ebenso aus dem Leben gegriffen wie alles Übrige im Film.

Dies ist ein Konzept, das im österreichischen Film häufiger Anwendung findet und dessen prominentester Vertreter Ulrich Seidl ist. Seidl kommt vom Dokumentarfilm, hat seine Filme aber zunehmend mit Inszenierungen durchsetzt, um seine Sicht auf die fehlgeleiteten und seelisch verarmten Landsleute zu dokumentieren, bis er in „Hundstage“ (fd 35 499) kaum merklich den Übergang zum Spielfilm vollzog. Aber nicht nur die Hybridform verbindet Mader mit ihm, auch das Thema und die Klarheit ihrer Darstellung, die es im deutschen Film so nicht gibt. Dafür, was wirklich los ist hinter Hochhauswänden und Reihenhausfenstern, Werkstoren und selbst den Nobelfassaden, hat dieses Kino eine ganz eigene Sensibilität entwickelt. Es zeigt, mit dem Anspruch der Sozialkritik, was dem Publikum hierzulande kaum oder auf oft unglaubwürdige Weise zugemutet wird: die Schattenseiten der Gesellschaft, die sowohl im wirtschaftlichen Elend begründet sind, das auch die Osterweiterung so schnell nicht überwinden wird, als auch in der Saturiertheit des Mittelstandes, der sich über soziale Absicherung definiert und dafür, im Zwischenmenschlichen, die Quittung bekommt.

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